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Motorsäge des Schicksals

Freitag II

Als Kind wollte ich ein Zuggeräusch sein. Durch die Nacht poltern, bis ich von einem Ohr gefangen wurde. Rein in das Ohr und drin die Fantasie anstecken, bis sie brennt, wie ein loderndes Haus. Als Geräusch hat man, dachte ich, gute Chancen, wahrgenommen zu werden. Ich hätte später beim Film unterkommen können. „Wo ist das Zuggeräusch?“, hätte der Regisseur gerufen. Im nächsten Moment wäre ich um die Ecke getönt gekommen. Er hätte mir die Szene erklärt. Ich hätte vor Ort gearbeitet, um die Schauspieler einzustimmen, und nachher im Nachvertonungsstudio hätte ich alles gegeben. Wurde nichts draus. Ich wurde kein Zuggeräusch. Lange trauerte ich der vertanen Chance nach. Lag in den Nächten wach und lauschte den Zügen, die in der Ferne die Leute durch die Dunkelheit trugen. All die Geschichten, all die Lieben, die Hoffnungen, das Begehren, die Todsünden, die Morde. Ein Zug voller Menschen ist ein Regal voller Romane. Und was liegt näher, als das Geräusch zu sein, das mich derart erregte. Ein Zuggeräusch ist wie ein Stöhnen, das aus einem Fenster dringt, an dem man vorübergeht. Man bleibt stehen und schon springt der Kopfprojektor an. Man sieht alles, ohne etwas zu erblicken. Körper, die sich ineinander verknäulen, die tausend Hände und noch mehr Zungen haben. Geräusche sind der Brennstoff für Träume.

Guten Abend, Welt!

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