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Ulli Zeller

Ulli Zeller zog mit seinem kleinen Zelt durch die Lande und zeigte den Leuten seine Tricks. Er verbog Schuhlöffel. Nur ein klein wenig. Die Leute mussten genau hinsehen. Anschließend verspeiste er vor aller Augen ein Salatblatt. Mit einer Stimmgabel. Das brach den Bann. Die Leute gerieten außer sich vor Staunen. Manche forderten, man müsse ihn teeren und federn, andere bewarfen ihn mit faulen Eiern und Tomaten, der Währung jener Jahre.

„Ulli Zeller!“
Merkwürdig, aber seine Eltern hatten ihn nie anders gerufen. Stets nannten sie ihn auch bei seinem Nachnamen. Selbst als er ein Baby gewesen war. „Na, was hat Ulli Zeller denn da gemacht? Ein bisschen Aa?“
Wenn ihn später Freunde besuchen kamen, sagten sie Dinge wie „Ulli Zeller muss lernen“ oder „Ulli Zeller hilft seinem Vater beim Betrachten der Außenwelt.“ Ja, das musste Ulli Zeller manchmal machen: Mit seinem Vater am Fenster sitzen und nach draußen blicken. Vater hatte es gerne, wenn sein Sohn dabei war. Er hatte die Hoffnung, sie wären aus einem Holz geschnitzt.

Ulli Zeller wuchs in einer Stadt auf, in der die Leute glaubten. Sie glaubten an alles Mögliche, was nicht eintrat. Sie glaubten daran, dass es nicht regnen würde und liefen in T-Shirts und kurzen Hosen durch einen Sturm. „Wir glauben nicht, dass es stürmt!“, riefen sie. „Wir glauben, dass die Sonne scheint.“ Das ging so weit, dass sie auch nicht an den Tod glaubten und ihre Toten nicht mehr beerdigten. „Die schlafen nur.“ Gestank lag ihrem Glauben zufolge nicht in der Luft. „Wir glauben, dass es nach Veilchen duftet.“ Ja, die Leute dieser Stadt glaubten sich allmählich in den eigenen Untergang.

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Der Unerwünschte

Der Unerwünschte. Da stand er. In Strumpfhosen. Und in einem T-Shirt, auf dem ein U prangte. Als hätte er sich verlaufen. Verfahren. Ein U wie der Hinweis eines Navigationssystem: Wenden Sie bitte bei der sich nächst bietenden Gelegenheit. Seine Eltern hatten den Unerwünschten losgeschickt. „Kauf etwas Wurst in Berlin“, hatten sie gesagt. Dabei wohnten sie in einem Kaff tief im Süden der Republik. „Was willst du?“, bellte ihn der Metzger an. „So einen wie dich können wir hier nicht gebrauchen!“ Der Unerwünschte sah sich mit seinen speziell ausgebildeten Augen um, die alles erfassten, was im Umkreis von einem Meter geschah. „Ich hätte gerne …“ Weiter kam er nicht. Eine aufgebrachte Menge, die sich selbst DER MOB nannte, stürmte den Laden. Man ersuchte den Metzger, ihnen augenblicklich ein Lynchjustizopfer auszuhändigen. Der grobschlächtige Kittelträger verwies sie auf den Unerwünschten. DER MOB musterte den Unerwünschten von oben bis unten. Man verzog das Gesicht. Nein, den wolle man nicht. Um nicht umsonst eingetreten zu sein, klemmte man sich den Metzger unter die Arme, um ihn auf dem Marktplatz einer dunklen Gottheit namens SELBSTGERECHTIGKEIT zu opfern. So kam der Unerwünschte zu seinem ersten und letzten Metzgereifachgeschäft.

„Wer ist das?“, fragte die Metzgereitochter die Metzgereimutter. Der Unerwünschte erklärte sich kurz. Er sei ein Sendbote der Moderne. Ein Superheld, den niemand wolle. Dann reichte er ihnen Bierschinken. Tochter und Mutter schüttelten den Kopf. Er sei hier unerwünscht, erklärten sie dem Superhelden barsch. „Ja, das bin ich“, erklärte der Unerwünschte. Ohne sich beirren zu lassen, arbeitete er weiter. Wurstscheibe auf Wurstscheibe schichtete er um. In der Ferne konnte man die Schreie des Metzgers vernehmen, der vom MOB hingerichtet wurde, indem man ihm Lieder der letzten DSDS-Staffel vorspielte. Nur selten musste man noch eine Folge von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ vorführen. „Ist das unser Vater?“, fragte die Metzgereitochter. Der Unerwünschte schüttelte den Kopf. Der sei er nicht, er könne es aber werden, wenn erwünscht. Er dachte kurz nach. „Lieber nicht!“, sagte er. „Ich bin der Unerwünschte.“ Sprach’s und sprang aus dem Laden auf die Straße. Vorbei die Zeit, da er dem Metzgereifachhandel hatte dienen müssen. Freiheit, lautete die Losung.

Der Unerwünschte stand auf der Straße. Die Straße war dafür bekannt, dass auf ihr Autos auf der Jagd nach Fußgängern fuhren. Minütlich wurde einer überrollt. Blut lief in die Kanalisation. Blut, als würde es aus Schläuchen laufen. Was es auch tat. Unentwegt quoll es aus menschlichen Schläuchen. Der Unerwünschte entsann sich seiner Kindheit in einem Taubenschlag. Tag und Nacht war er vollgeschissen worden. Die Tauben hatten ihn nicht als ihresgleichen anerkannt. Er war ein Fremder. Ein Unerwünschter. Dies war seine Geburtsstunde. Die des Unerwünschten. In den Nächten kratzte er sich den getrockneten Kot aus den Haaren und nähte an seinem ersten Superheldenanzug. Später, so schwor er sich, würde er als Erkennungszeichen für die Polizei ein Licht in den Nachthimmel werfen, eines in der Form einer kackenden Taube. Während neben ihm ein Mann totgefahren wurde, schwelgte der Unerwünschte in seinen Erinnerungen. Freiheit kann tödlich enden, dachte der Unerwünschte.

Der Unerwünschte strolchte durch Berlin. Eine Stadt, wie gemacht für einen Superhelden. Überall junge Leute. Schriftsteller, wohin seine Augen blickten. Die könnten ihn beschreiben. Könnten ihm ein Denkmal setzen. Ein Comiczeichner, das war es, was er brauchte. Einen, der ihn bannte, auf Papier, hinein in ein Heft. Der Unerwünschte stürmte mitten ins Getümmel. Ergab sich dem Lärm. „Wollt ihr mich beschreiben?“, fragte er eine Gruppe Autorinnen, die sich der Beschreibung einer Bank verschrieben hatten. Ein Beschreibungsdurcheinander. Alle beschrieben alle. Nur ihn wollte niemand beschrieben, ihn, den Unerwünschten. Sie drückten ihn fort. „Weg!“, forderten sie. Und so ging er gesenkten Hauptes der Sonne entgegen. Er überlegte, wo sie unterging. Dank seiner Schulbildung wusste er, dass es „dort drüben“ war. Seine ausgestreckte Hand zeigte es an. Wies den Weg. Die Zukunft lag in Gotham City.

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Nebel – Der unabgeschlossene Nebelkurzroman

Nebel kroch über den Waldboden. An manchen Stellen bestieg er die Bäumen, sie umarmend, sie küssend, sie liebend. Ein erotischer Nebel, der den Sex, den er sich in dieser Nacht gönnte, genoss.

War man still, bat man, die Geräusche, die es sonst noch gab, ruhig zu sein, konnte man ihn keuchen und stöhnen hören. Dieser Nebel hatte es auf alles und jeden abgesehen. Ein unersättlicher Nebel, der Schwade für Schwade die Landschaft verschluckte, bis er plötzlich vor einer Hütte erschrocken verharrte. Er schnüffelte. Er spürte, dass hier etwas nicht stimmte. Diese Hütte war anders. Sie beherbergte etwas. Das Böse.

Der Nebel hätte aufgeregt mit den Wimpern geklimpert, hätte er welche besessen. Leider war dem nicht so. Wie oft hatte er schon davon geträumt, Wimpern zu haben. Und Augen! Augen, die sahen, was er mit seinen Armen und Beinen umschlang, die im menschlichen Sinne keine Arme und Beine waren, sondern nur aus Sicht des Nebels. Des blinden Nebels, der sich einredete, Arme und Beine zu haben, die er gar nicht hatte.

Es war alles sehr kompliziert. Der Nebel wusste um all die Dinge, die sein Leben verkomplizierten, aber er dachte nicht darüber nach, weil er kein Hirn hatte, auch wenn er sich das nicht eingestehen wollte.

Er wollte es nicht wahrhaben, dass er nur ein einfacher Nebel war, eine vorübergehende Erscheinung. Er kam und ging. Nie konnte er bleiben, und das machte ihn fuchsteufelswild. So wild und böse, dass er sich in die Treppe, die zur Hütte hinaufführte, verbiss.

Oh, du elende Treppe, dachte er, obwohl er nicht denken konnte.

Und die Treppe bäumte sich. Sie spürte den Biss. Dies alles geschah in einem mystischen Bereich, der den Augen von Menschen nicht zugänglich ist.

Wäre der Besitzer der Hütte jetzt vor die Hütte gekommen, er hätte nicht sehen können, was eben alles so feinfühlig beschrieben wurde.

Er hätte einzig Nebel gesehen, der alles einhüllte, der herumlag wie eine faule, fette Ratte. Ein Nebel, dem man auf die Sprünge helfen müsste.

Und während der Nebel die Treppenstufen allmählich zu Tode biss, machte sich im Inneren der Hütte ein Mann bereit, der Welt die Unschuld zurückzugeben, die sie vor Urzeiten verloren hatte.

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Unbrauchbar

Heidewitzka, wer kommt denn da durch das Unterholz gekrochen? Das ist doch Familie Mhor. Mal genauer hinsehen, auch wenn es die Augen schmerzt, die sich erst an die Dunkelheit gewöhnen müssen. Tatsächlich! Das sind sie ja. Ganz vorne Retep Mhor, dahinter Adreg, sein geliebtes Weib, die ihren Sohn Odiug anstachelt, voran zu gehen, da man nicht weiß, was die Fremde offenbaren wird.

„Kauf, du undankbarer Sohn meines Mannes!“, herrscht die Mutter den Sohn an. Erschrocken zuckt sie zurück, wollte sie doch herrschen: „Lauf, du undankbarer Sohn meines Mannes!“

Odiugs Augen blitzen auf. Kaufen, hat sie gesagt. Und schon zischt er davon, hin zum nächsten Kiosk, das nicht weit entfernt auf Kunden wartet.

Familie Mhor kroch durch das Unterholz, das sich neben dem Spielplatz befindet.

Odiug ist Kaufsüchtig. Hätte er genug Geld, nichts wäre vor ihm sicher, nicht einmal die Katze des Kioskbesitzers Herr Schaft, der auf eine lange Ahnenreihe von Kioskbesitzern zurückblicken kann. Schon sein Vater besaß eins. Sein Großvater. Sie alle standen hinter dem kleinen Tresen, der sie von den Normalsterblichen trennt.

„Was darf es sein?“, fragten sie alle.

In manchen stillen Abendstunden kann Herr Schaft ihn hören, den großen Chor, der aus Vergangenheit dröhnt und fragt: „Was darf es sein?“

Die Katze des Kioskbesitzers trägt den Namen Kater. Kater ist den ganzen Tag auf der Mäusejagd. Mäuse sind seine Bestimmung. Gott, wie er sie liebt.

Eben gerade, da Odiug den Laden betritt, hat sie sich hinter einer Maus aufgebaut, um sie, wenn möglich, mit einem gezielten Prankenschlag zu erlegen.

Das sind die Gesetze der Kiosknatur. Hier überlebt der Stärkere, weshalb Herr Schaft gewaltbereiten Kunden auch gerne mal etwas schenkt. Ein Colafläschchen oder auch zwei.

Odiug zittert am ganzen Leib.

„Ja, was ist denn mit dir, mein armer, kleiner Junge?“, fragt Herr Schaft, ganz erstaunt, dass er nicht gefragt hat, was es sein darf.

Bemächtigt sich da etwa eine menschliche Regung seines Dasein. Er will es nicht hoffen, denn so tickt er nicht. Er ist Kapitalist, mit Herz und Hand, die er nun ausstreckt.

Odiug blickt in die geöffnete Hand. Ob er sie schütteln sollte? Er könnte auch einschlagen. Das ist cooler, das hat er von seinen Schulkameraden gelernt.

Odiug entschließt sich, zuerst die Frage zu beantworten, die man an ihn stellte. Immerhin ist er gut erzogen.

„Ich zittere, weil ich Kaufsüchtig bin“, sagt Odiug.

Herr Schafts Augen glänzen bei dem Wort KAUFSÜCHTIG. Solche Menschen wünscht sich sein Kapitalistenherz.

„Dann lass dich nicht aufhalten“, rät Herr Schaft Odiug.

Jetzt fällt es von Odiug ab. Er kann es nicht länger halten. Bisher hatte er sich noch im Griff. Hemmungslos weint er los und klagt: „Ich habe gar kein Geld, aber meine Mama hat mir befohlen, ich müsse kaufen!“

„Eine gute Mutter“, sagt Herr Schaft.

Er überlegt. So schlecht, wie er bisher annahm, scheint es um die Erziehung des Menschengeschlechts noch nicht bestellt zu sein, wenn Mütter ihre Kinder dazu anhalten, Geld auszugeben. Die Kauflust, denkt Herr Schaft, sie ist es, die uns von den Tieren unterscheidet. Tiere kaufen nicht, das ist ja das Widerliche an ihnen. Darum töten und essen wir sie auch. Niemals würde man so mit potentiellen Kunden verfahren.

„Wenn du kein Geld hast“, sagt Herr Schaft, „musst du eben welches verdienen!“

Odiug blickt erstaunt auf. Verdienen? Irgendwo hat er dieses Wort doch schon mal gehört.

„Du verdienst Prügel!“

Jetzt fällt es ihm ein. Sein Vater benutzt das Wort, wenn der Fernseher wieder mal nicht richtig funktioniert. Erbost steht der Vater davor und drohte dem Gerät, es aus dem Fenster zu werfen, wenn es nicht bald die gewünschten Bilder auszuspuckt.

Odiug blickt hinauf ins Antlitz des Kioskbesitzers und fragt: „Geld kann man verdienen? Was muss ich dafür tun? Etwa streiken?“

„Nur, wenn du Mitglied in einer Gewerkschaft bist.“

Odiug sinnt. Nein, Mitglied in einer Gewerkschaft ist er nicht, dafür aber in einer Bande, die er mit seinem Freund Xela dereinst vor vielen wilden Wintern gründete. Sie nannten sich Familien-Bande.

Odiug steht mitten im Kiosk und erinnert sich. Xela war mit seinem unsichtbaren Pferd angeritten gekommen. Sie alle besaßen solche unsichtbaren Pferde. Wild aufbäumend, kaum zu bändigen. Wie oft war er abgeworfen worden? Bestimmt siebenundfünfzigmal.

Sie waren Kauboys. Die einzigen im Viertel, die sich aufs Saufen, Kauen und den Viehtransport verstanden.

Nachts schliefen sie zu Hause, auch wenn sie sich einbilden konnten, unter den Sternen zu nächtigen, was sie ja auch irgendwie taten, rechnete man die Decke und das Dach mal ab, die sie vom Universum trennten.

Der Tag, an dem sie die Bande geründet hatten, war ein heißer Tag gewesen. Die Sonne hatte den ganzen unbarmherzig am Himmel gestanden und gestrahlt, als hätte sie am Morgen eine frohe Botschaft erhalten.

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Und dann?

Zuweilen wurde Aldous von einer gewissen Nervosität gepeinigt, die ihn in seiner Wohnung auf- und ablaufen ließ. Überzeugt davon, dass das Leben sinnlos ist, hatte er sogar schon versucht, sich von einem der Küchenstühle zu stürzen.

Aber wie alles, was er anfasste, war auch dies weniger glücklich verlaufen, als er sich das zunächst in seiner kühnen Fantasie ausgemalt hatte. Nicht einmal eine Hand brach er sich, sodass er schließlich auf den Gedanken verfiel, sich durch Verkühlung umzubringen. Stundenlang saß er am offenen Fenster, ein dem Tode geweihter, wie er dachte, der einem Tonband seine letzten Gedanken anvertraute.

„Ich möchte, dass mein Unterhemd an meinen guten Freund Norden geht, in der Hoffnung, dass er es versetzen und sich einen neuen Namen kaufen kann. Er leidet sehr unter seinem jetzigen. Erst gestern im Treppenhaus, vertraute er mir an, dass sein Name eine Qual für ihn sei. Viel lieber würde er Süden oder Westen heißen. Osten ginge auch noch, aber Norden mache ihn krank. Er sei deshalb schon in Behandlung, nicht nur deshalb, sondern auch wegen der Sache mit seinem Kleiderbügel. Er hält seinen Kleiderbügel für eine Widergeburt von …“

So diktierte Aldous, fest davon überzeugt, den morgigen Tag nicht zu erleben, seine letzten Worte.

„Gestorben? Ich habe mir nicht mal den Tod eingehandelt, dafür aber eine Riesenerkältung. Der Arzt hat gesagt, wenn ich nicht aufpasse, könnte sie sich zu einer ordentlichen Lungenentzündung ausweiten. Liebe Kinder: Selbstmordversuche sind gefährlich. Nein, nicht mit mir. Ich werde zukünftig die Finger davon lassen. Am Ende stirbt man noch an ihnen. Und dann? Wer kann mir denn garantieren, dass das Jenseits nicht viel sinnloser als das Leben ist, hm? Aber tot ist tot. Drüben kann man sich ja nicht einmal umbringen.“

Fortan bejahte Aldous das Leben.

„Ist das nicht Aldous, der dort singend mit einer Blume die Straße entlangläuft? Das muss er sein!“

Aus „Die geheime Lebensgeschichte des Aldous Huxley“

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Der Drogenbaron (Der abgeschlossene Kurzkrimi)

Mama erzählt: Bevor dein Vater dich zeugte, war er ein berühmter Detektiv. Er war so berühmt, dass er nie das Haus verlassen konnte. Überall standen Fotografen, um ein Bild von ihm zu schießen. Und weil er das Haus nie verließ, verblasste allmählich sein Ruhm. Er löste ja keine Fälle mehr. Nicht einen.

Um sich abzulenken, schmuggelten wir ihn in einem Koffer an den Flughafen. Wir buchten ihm einen Flug nach Teneriffa.

Als er dort ankam, schwitzte er so fürchterlich, dass er sich wünschte, nie sein Haus in Osthessen verlassen zu haben.

Er fuhr mit einem Taxi vom Flughafen zum Hotel.

„Ich möchte ein schattiges Zimmer.“

Man gab ihm ein Zimmer, das im Schatten eines Krematoriums lag. Tag und Nacht verbrannte man dort die Leichen. Der Gestank setzte sich in seine Nase, bis er der Meinung war, die Toten sprechen zu hören.

Nach drei Tagen fühlte er sich derart von den Toten belästigt, dass er sich in die Hotelhalle setzte, um die dort ausliegenden Zeitungen zu studieren. Leider konnte er kein Spanisch, sodass er sich Inhalte ausdachte.

Die Berichte drehten sich meist um Mord und Totschlag. Es juckte ihn in den Fingern. Er wollte einen Fall lösen. Detektive müssen das, dachte er.

Er drehte seinen Kopf und verdächtigte augenblicklich den Empfangschef, ein weltweit gesuchter Drogendealer zu sein. Um seine Theorie zu untermauern, beschattete er den ahnungslosen Mann fortan Tag und Nacht.

Am Abend fuhr der Empfangschef nach Hause zu seiner Frau, die in einem kleinen Haus am Rand der Hauptstadt wohnte. Die Tarnung des Empfangschefs schien perfekt zu funktionieren. Niemand verdächtigte ihn, niemand ahnte, dass in seinen Blutbahnen das Böse tobte. Nur dein Vater wusste davon.

Er mietete sich zur Untermiete bei dem Empfangschef ein, der so tat, als würde er den Gast aus Zimmer 23 nicht erkennen.

Um näher an den Drogenboss heranzukommen, lud sich dein Vater selbst ein.

Er tat so, als sei er kurz vor dem Verhungern, obwohl er das gar nicht war. Er hatte einen Rucksack voller Süßigkeiten dabei.

Sie sahen sich gemeinsam Fußballspiele an. Dein Vater wartete den idealen Moment ab, um den Drogenbaron verhaften zu lassen. Aber noch fehlten ihm die Beweise.

Allmählich ging ihm sein Geld aus. Er rief mich an und ich überwies ihm dreihundert Mark, die er in Drogen anlegte, um sie dem Drogenbaron unter das Kissen zu stecken. Dann rief er die Polizei. Man fand die Drogen und verhaftete den Mann, der nicht wusste, was er gemacht haben sollte. Dein Vater war mehr als zufrieden, endlich wieder einmal einen Fall gelöst zu haben.

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Aus meinem Leben (2)

Während meiner Geburt, die sich sage und schreibe siebzehn Tage hinzog, strickte meine Mutter einen Pullover, den ich zu meinem zehnten Geburtstag bekommen sollte. Sie summte ein lustiges Lied, während mein Vater, der Kettenraucher, sich genüsslich zwei Zigaretten gleichzeitig ansteckte. „Des kommenden Ereignisses wegen“, sagte er und spielte auf die Übertragung der Federballweltmeisterschaften an. Mein Vater war ein großer Anhänger des Federballspiels, das er wiederum von seinem Vater nie beigebracht bekommen hatte. „Das bringt dich nicht weiter“, hatte sein Vater erklärt. „Besser ist es, du wirst Schlammcatcherin.“ Und so kam es dann auch. Mein Vater wurde zu einer berüchtigten Schlammcatcherin und zog zeitweise mit einem Schlammcatcherzirkus durch Mexiko. Bei dieser Gelegenheit lernte er, wie man auf den Fingern pfiff. Das Fingerpfeifen wurde rasch zu seinem zweiten Standbein. Pfeifend und catchend wurde er innerhalb kürzester Zeit zum Idol von zwei Kindern, die ihm auf Schritt und Tritt folgten. Wohin er auch ging, die Kinder waren schon da und erwarteten ihn. Sie nannten sich Jörg und Jorge. Viel, viel später sollten sie zu meinen ersten Geschwistern werden, die ich nicht kennenlernte, weil sie in Mexiko geblieben waren. Was wohl aus ihnen geworden ist?

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Montag

Die Leute fragen sich oft, wie das so ist, wenn man vom Erfolg verwöhnt wird? Ob da Hände aus dem Nichts auftauchen, die einen dauerhaft liebkosen? Ich sage daraufhin, dass es anders ist. Anders? Ja, man ist ein Gefangener der Erwartungshaltungen, die einen rasch zu erdrücken drohen.

Wenn ich z.B. einkaufen gehe, was inzwischen nur noch selten bis gar nicht mehr vorkommt, und die Leute erkennen mich, erwarten sie von einem Krimiautor meines Kalibers, dass er irgendwie leicht irre wirkt. Seelisch instabil. So einer kann doch nicht normal sein, denken und hoffen sie.

Ich beginne also, mit dem linken Augen zu blinzeln, unkontrolliert, ich sabbere, bis sie nicken und ausrufen, ja, genau so hätten sie sich mich vorgestellt. Oft, bin ich mir erst einmal sicher, dass ich zum Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit wurde, murmle ich auch noch etwas von Tod und Teufel, und dass man allen den Hals aufschneiden und umdrehen müsste, um sie auslaufen zu lassen. Blut, zische ich, ich rieche Blut.

Schritt für Schritt weichen meine Fans, die das von mir erwarten, zurück, während ich zu hinken beginne. Ich schnuppere, die Nase hocherhoben, die Luft ab. „Menschenfleisch“, flüstere ich aufgeregt und komme an der Kasse noch schneller dran.

„Ist er das nicht?“

„Der …“

„Genau.“

„Soll auf einem einsamen Gehöft leben.“

„Seine Frau ist spurlos verschwunden.“

„Der wird doch nicht?“

„Nein.“

Die Aufgabe des erfolgsverwöhnten Krimiautors ist es, sich an die Erwartungsvorgaben seiner Leser zu halten. Deshalb öffne ich meine Haustür auch stets mit einem bluttriefenden Messer und brülle meinem Gegenüber ins erstaunte Antlitz: „Ja, Sie wünschen?“

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In Deutschland hatte ich einen Fall gelöst, über den ich inzwischen nicht mehr reden darf. Zu viele Politiker würden stürzen, es käme zum Fall der Regierung, die sich auflösen würde, und das wäre ein Fall, den ich nicht mal lösen wollte, selbst wenn ich wollte. Ich dachte über meinen letzten Satz nach, der beunruhigend konfus klang. Hatte ich das gedacht, wirklich ich? Ich konnte es mir nicht vorstellen, obwohl ich mir im Moment vorstellte, wie ich es mir nicht vorstellen konnte. Bei Wittgenstein, ich sollte nicht so viel denken. Dafür sollte ich die Seele baumeln lassen, sollte sie sich hinlegen lassen, auf ein weiches Baumwolltuch, das durch die Ausbeutung der Ärmsten der Armen hergestellt worden war.

Das war mein erster Urlaub seit Jahren, aber ich konnte mein Meisterdetektivhirn nicht bändigen. Unablässig dachte ich über die verschiedenen Möglichkeiten, die eine Sache bereithielt, nach. Nicht mehr lange und ich würde in einer Nervenheilanstalt landen, ohne Ausweispapiere, unmündig. Der Fall Montag hatte gezeigt, wie schnell es gehen konnte, wie rasch einen Staat und Exfrau austricksen und in einem psychiatrischen Krankenhaus verschwinden lassen konnten, ohne dass man die Chance auf ein ordentliches Interview während der Unterbringung bekam.

Zum Glück für Montag hatte ich mich eingeschlichen. Ich hatte mich als leicht trotteliger Professor Wedekind aus Karlsruhe ausgegeben und hatte Montag nach monatelanger Suche schließlich im Besucherraum entdeckt.

– Auszug –