Glock muss ja gut geschlafen haben. Zumindest vermutet er das. Erinnern kann er sich nicht daran.
Wenn er schläft, ist er ein Anderer. Es ist, als würde er in eine Rolle schlüpfen. In die des Schläfers. Einer, der unter seine Bettdecke kriecht, unter sein modernes Fell mit einem Überzug aus dem Kaufhaus, auf dem Kreise sind, die einen normalerweise ganz wirr machen, psychedelische Kreise, die man im Schlaf sieht, wenn man zuvor Drogen genommen hat. Normalerweise machen die Kreise auf dem Überzug keinen Sinn, weil man sie als Schläfer nicht sieht. Aber eine Bettdecke soll gut aussehen. Die soll etwas hermachen. Hey, sollen die Leute rufen, wenn sie im Schlafzimmer stehen, tolle Kreise hast du da auf deinem Überzug. Ganz stolz soll man sein und darauf hinweisen, dass es psychedelische Kreise sind, die man eigentlich nur sieht, wenn man Drogen genommen hat. Um den Besuchern den Vergleich zu ermöglichen, kann man diverse Pilze verteilen.
Glock als Schläfer, da wüsste Glock gern mal, was der Schläfer so über ihn denkt. Das wird er nie rausbekommen.
Der Schläfer schläft neben seiner Frau. Soll er da jetzt eifersüchtig werden? Unsinn. Denn die Frau wird von einer Schläferin ersetzt, obwohl seine Frau sich oft an ihre Träume erinnern kann, also schläft sie noch selbst. Wo gibt es denn so etwas? Frechheit, sich selbst durch die Nacht zu schlafen. Warum darf sich der eine schlafen und der andere nicht? Das muss Glock mal beantwortet werden.
Während Glock bereits kalauerglockenhell ist, schlafen seine Frau und die Tochter, die nicht vom Glock stammt, noch. Die Familienverhältnisse bei Glocks sind dazu angetan, Verwirrung zu stiften. Glock hat zahlreiche Kinder aus zahlreichen Ehen, die nicht bei ihm leben. Er ist Autor und hat kein Geld. Also hat er sich ein Kind gesucht, das nicht von ihm ist. Für das muss er nicht zahlen. Die Frau ist auch nicht von ihm. Noch besser. Glock reibt sich die Hände, weil er ein verschlagener Mensch ist. Ein übler Übeltäter.
Gestern erst hat Glock wieder eine seiner zahlreichen depressiven Schübe gehabt. Er sitzt dann trostlos rum. Die Augen geweitet wie eine Wüste. Da kann ihm nichts helfen. Nicht mal der Sex. Die Frau bot es an. Sie kann es nicht sehen, wenn ihr Glöckchen unglücklich ist.
Nein, seine Depressionen lässt er sich nicht nehmen. Die sind sein Eigentum. Die hat er sich in vielen Jahren redlich erarbeitet. Hat haufenweise Bücher geschrieben, die niemand kauft. Das Wetter macht ihn auch fertig. Ganz wetterhörig ist er. Hängt am Wetter wie am Rockzipfel einer Lolita. Betet das Wetter an. Es soll wieder sein schönes Gesicht aufsetzen, bittet er seine Dolores Wetter. Die grummelt und blickt finster auf ihn hinab. Leiden soll er. Soll alles tun, um ihr zu beweisen, dass er sie auch wirklich liebt. Und was? brüllt Glock vom Balkon zu Lolita hinauf. Nachtdunkles Schweigen. Blöde Kuh, murmelt der Meisterdichter und schreitet in seinen Palast zurück.
Mal hin an den Schreibtisch. Da dampft der Kaffee bereits. Stampft wie eine Lok auf der Stelle. Der Kaffeezug will nicht in einem Zug geleert werden. Genossen will er werden. Glock nimmt einen Befreiungsschluck, der ihn wach machen soll, so richtig hellwach. Ah, da glänzen die Augen. Der gute Möwenshit-Kaffee. Unendlich Teuer. Aus dem Kot von Möwen gewonnen. Glock meint, den Kot schmecken zu können. Leicht salzig ist er. Im Abgang schmeckt er nach Freiheit. Das offene weite Meer. Glock schließt die Augen. Er kann es sehen. Das Meer brandet. Es schäumt auf. Schäumt über. Eine Riesenschaumwelle begräbt die Welt. Untergang. Todesvision am Morgen. Augenaufriss. Glock hat überlebt.
Er surft ein wenig durchs Internet. Er sieht sich ein paar Busen an, studiert sie mit Kennerblick. Die Nachrichten lässt er an sich vorbeischwimmen, die braucht er nicht. Die gleichen sich seit Jahren.
Im Schlafbereich wird noch gesägt. Frau und Tochter versuchen sich am Baumbestand des Amazonas. Nicht schön, was da nächtlich von den Schläfern an Baumbeständen umgelegt wird. Das zerstört die Umwelt. Nachhaltiges Schlafen, denkt sich Glock, sollte das Gebot der Stunde sein. Mal nicht so egoistisch schlafen, sondern für alle. Nachher muss Glock die Baumbestände wieder auf Idealstand saufen. Es gibt da diese Brauerei, die zahlen für jede Kiste einen gewissen Obolus, um sich um den Amazonas zu kümmern. Massen von Alkoholikern wagen ihr Leben für den Planeten, und so ein Grüppchen Schläfer sägt alles wieder kaputt. Fürchterlich. Ob er sie wecken sollte? Lieber nicht. Erst etwas schreiben. Eine Geschichte über … Glock stützt den rechten Arm ab, versenkt sein Kinn in der Handfläche. Eine Geschichte über ein Kinn, das in armen Verhältnissen groß wird. Es flieht aus dem Kinnwaisenhaus nach London. Dort gerät es in die Fänge der berüchtigten Rock-Bande, die den Frauen die Röcke auf offener Straße vom Unterleib klauen. Sie sind Profis, deshalb merken es die Frauen erst spät, erst dann, wenn sie bereits zu Hause sind. Das Kinn wird zum Held der Straße, zum gefeierten Rocker, vor dem kein Rock der Stadt sicher ist. Später geht das Kinn auf Tournee und stirbt an einer Überdosis Heroin.
Glock reibt sich Hände. Endlich hat er wieder eine gute Idee gehabt. Eine sehr gute sogar. Mit der wird er die Literaturgeschichte umkrempeln. Er wird sie umschreiben. Noch ein Schluck vom Kaffee. Kalt. Er spuckt ihn neben den Schreibtisch auf den Teppich. Da kann sich nachher die Frau drum kümmern. Er hat keine Zeit. Er ist unterwegs, und zwar in Sachen Weltliteratur. Fleißig tippt er sich sein Hirn leer. Ja, strahlt er innerlich. Er kann es noch. Ihm kann keiner an den Karren pinkeln.
Was hat er auch erwartet? Er ist Glock. Das sagt doch alles!