„Was willst du denn mal werden?“, fragte mich mein Vater oft.
„Na, nichts, ich will hier sitzen und bis ans Lebensende alle Folgen von Ein Colt für alle Fälle gucken.“
So lautete für gewöhnlich meine Antwort. Ich war super im Umschalten. Keiner hielt die klobige Fernbedienung so gekonnt wie ich. Wie ein Revolverheld. Wie ein Dauerwichser. Mein rechter Arm bildete sich aus. Die Muskeln schwollen an. Sie explodierten regelrecht.
Es kam im Laufe der Jahre zu einem körperlichen Ungleichgewicht. Rechts Masse, links nix. Aber meine Augen waren beide trainiert. Adlerspähzupackaugen. Ich konnte jeden noch so kleinen Gegenstand im Fernsehen entdecken. Kleinste Haare, die vielleicht Schamhaare waren. Dinge, die eklig waren, und die man vergessen hatte, fortzuwischen. Meine Augen fanden oft solche unpassenden Hinterlassenschaften. Wie Menstruationsblut. Die Derrick-Folgen waren voll damit. An jeder zweiten Stuhllehne klebte welches. Ich schrie im Schlaf auf. Weil ich davon geträumt hatte. Man stellt sich Fragen. Wie kommt das Menstruationsblut auf die Stuhllehne?
Schließlich wurde ich älter. Ich ergraute. Meine Haut fiel ein. Nur die Muskeln im rechten Arm blieben. Mein Stück Beständigkeit im Leben.
Das Fernsehen veränderte sich. Die Privaten kamen dazu. Die Werbepausen wuchsen. Zunächst genoss ich sie noch, diese kleinen Filmchen, die von Glück und Unglück, von Wäsche und von Autos erzählten, von Familien im Dauerlachmodus, aber nach einer Weile langweilten sie mich doch.
Auf dem Tisch vor mir, ich war damals übrigens gerade 30 geworden, lag ein Bogen Papier. Und ein Stift. Ich sah sie mir an. Wie Insekten. Ich hatte Angst vor ihnen.
Ein wenig bereute ich es, nie in die Schule gegangen zu sein. Ich griff nach dem Insekt, nach dem Blatt. Malte etwas vor mich hin. Kleine primitive Männchen, die auf einem Sofa lagen und eine riesige Fernbedienung in der Hand hielten. Glückliche primitive Männchen, die wild vögelten. Mit einem Sofakissen. Ich weiß, auch die Sexualität leidet unter einem Leben auf dem Sofa.
„Ja, willst du denn nie eine Familie gründen?“, fragte mich meine Mutter und blickte meinen Vater dabei an. Als ob sie sich vor mir und meinen Augen fürchtete.
„Aber Mutter, ich bin noch so jung. Das hat doch noch Zeit. Bring mir lieber das Schreiben bei.“
Mutter setzte sich neben das Sofa, weil darauf kein Platz mehr war. Dort lagen ja bereits meine Beine und leere Packungen von diversen Pizzalieferanten.
Und so kam ich zum Schreiben. In den nächsten Jahren brachten Mutter und Vater mir das Schreiben bei. Nur in den Werbepausen, weil ich doch nichts verpassen wollte. Auch die zahlreichen Wiederholungen nicht, die ich wie Wiedersehensfeiern gestaltete. Da wurde viel geheult. Manchmal sah ich vor lauter Tränen nichts. Das A-Team in Schlieren. Es könnte auch am Fernseher gelegen haben, der allmählich den Geist aufgab.
Vor einem Jahr, ich wurde gerade 43 Jahre, beendeten wir die Ausbildung.
Jetzt könnte ich ein erfolgreicher Autor sein, habe aber gar keine Zeit, weil ich RTL Nitro entdeckt habe, einen Sender auf dem sie alle alten Colt-Seavers-Folgen wiederholen.
Nur manchmal, wenn ich nicht einschlafen kann, schreibe ich, während draußen Fulda zum Leben erwacht. Fulda ist eine gemeine und laute Kleinstadt, die mit Gummireifen und Priestern überläuft. Die Priester ziehen durch die Straßen und singen auf Latein, dass die Leute ihre Kinder herausgeben sollen. Zum Glück sprechen nur noch wenige Fernsehzuschauer Latein. Ich weiß es aus dem Fernseher, was hier geschieht. RTL EXPLOSIV, das ist eine der Sendungen, die einem alles erklären, was man wissen muss, um in Kleinstädten wie Fulda zu überleben.
The vorläufiges End

Der junge Mann hat ein wenig Ähnlichkeit mit Colt Seavers. Er sieht hin. Diese Augen, die alles entdecken. Auch Schamhaare.