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Funkenmariechen des Todes

Neue Schreiben

Inzwischen bewege ich mich auf Schreiben. Das Gehen scheint damit wieder in greifbare Nähe gerückt zu sein. Zumindest eine dem Gehen verwandte Art. Schreibe für Schreibe stochere ich mich durch die Wohnung, um so allmählich wieder Anteil an meinem Umfeld nehmen zu können. Wären die Schreiben nicht, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre. (Die Schreiben wurden – so die Auskunft des mich behandelnden Arztes – in Nimmerland gefertigt. „Dort stellen sie die besten Schreiben her. Wir hätten auch im Auenland kaufen können, aber ich habe immer noch hervorragende Kontakte nach Nimmerland. Vertrauen Sie mir einfach. Die Schreiben, die von dort kommen, werden Sie wie auf Wolken durch ihren Alltag tragen.“)

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Funkenmariechen des Todes

Alles hat seinen Platz

Meine Morgenstunden sind minutiös durchgeplant. Alles hat seit seinen Platz. Die Nacht hat den Auftrag, erst zu weichen, wenn sie vom elektrischen Licht verscheucht wird. Die Nachbarn, obwohl wach, müssen in ihren Betten verharren, so meine Anweisung, bis ich meinen ersten Kaffee getrunken, meine erste Zigarette geraucht habe. Beginne ich zu tippen, dürfen sie sich langsam von den Matratzen auf den Boden fallen lassen. Manchmal stelle ich mir vor, wie sie in ihren Schlafzimmern liegen und den Atem anhalten, darauf wartend, dass ich das verabredete Zeichen gebe, das ihnen erlaubt, sich ins Tagesgeschäft zu flüchten. Es ist bestimmt nicht leicht für diese Menschen, Teil meiner Inszenierung zu sein. Ziehe ich in ein neues Viertel, sind stets bereits Akteure engagiert. Autolärm ist mir ein Graus, deshalb läuft man auf Zehenspitzen die Straße auf und ab. Man hütet sich zu schreien, denn ein unbedacht ausgestoßener Ruf könnte einen entstandenen Gedankengang ruinieren, er könnte gar zum Einsturz des gesamten Gebäudes führen. Ist eine Idee verschüttet worden, rücken Rettungsteams an, die ihn bergen wollen. Rasch bringt man mich – meist sind es drei, vier Mann, die einen Hund mit sich führen – in eine angenehme Rückenlage, fächert warme Luft aus dem Süden in Richtung meines Rachenraums. Bringt die Wärme nicht den gewünschten Erfolg, beginnen die Bohrungen. Man fragt, man lässt nicht nach, bis ich die verletzten Auskünfte erbrochen habe. Dann kämmt man mich, setzt mich vor den Schreibtisch und legt meine Finger auf die Tastatur, mit der Bitte, ich möge zu Ende führen, was von mir begonnen wurde.

Nichts wird hier dem Zufall überlassen. Alles hat seinen Platz.

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Funkenmariechen des Todes

Logik des Spaziergängers

Dies sei, erklärt Eiding mit einem angedeuteten Lächeln, das ideale Wetter für einen Spaziergang, denn da sei man wenigstens alleine unterwegs, treffe auf keine Menschenseele, nicht einmal auf eine Hunde- oder Katzenseele, weil die Seelen es sich in ihren Wohnungen gemütlich machen würden, nicht aber seine Seele, die jetzt bei diesem Wetter aufblühe, denn er lasse sie sich begießen, sagt Eiding und zeigt mit dem Finger in den düsteren Himmel hinauf, der, so Eiding, nicht düster, sondern nachdenklich sei. Vom vielen Nachdenken werde jedes Gemüt – auch das des Herrgotts – irgendwann dunkel, nachtschwarz nahezu, fährt Eiding fort, denn das Nachdenken führe geradewegs in die Depression, derer er sich aber nicht ergebe, denn er tue etwas gegen den Eiszustand der Gefühle, unter anderem indem er sich ergehe, egal bei welchem Wetter, am liebsten aber bei diesem, da er dann ganz ungestört seinen Gedanken nachhängen könne, auch, jetzt senkt Eiding plötzlich den Kopf, wenn sie ihn von Zeit zu Zeit, gerade an solchen Tagen, er weist uns auf einige Laubblätter hin, an Sterblichkeit, Krebs, Weltuntergang und das internationale Bankenwesen erinnern würden, denen er nichts entgegen zu setzen habe, als eben nur einen Marsch an der frischen klaren Luft, der sich in  solchen Stunden, da man ungestört flanieren könne, anbiete, ja!, aufdränge, denn man dürfe sich nicht hängen lassen, gehen schon, auch wenn seine Eltern ihm das anders beigebracht hätten. Aber darüber wolle er jetzt nicht länger nachdenken, denn man wisse ja wohin das führe. Da müsse man sich nur den Himmel ansehen.

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Funkenmariechen des Todes

Suchtgesund

Kleine Verteidigung der Sucht

Ich bin süchtig nach dem Schreiben. Süchte liegen mir einfach. Ich bin süchtig nach meiner Frau, meinen Kindern, Filmen, Büchern (mir reicht schon ihr bloßer Besitz), Zigaretten, Kaffee. Ich würde mich nicht als Suchtkranken beschreiben, sondern als Suchtgesunden, weil die Süchte mich am Leben halten. Meine Süchte sind leidenschaftsfördernd. Sie regen mich an und auf. Die Süchte treiben mich durch den Tag, sie lassen mich von einer Ecke zur anderen rennen, lassen mich in Büchern blättern, auf der Suche nach dem einen perfekten Satz, lassen mich schreiben, in der Hoffnung, eine Wortkombination zu finden, die es noch nicht gab, einen Satz, der geschliffen wie ein Edelstein wirkt, der wild wie ein Dschungel ist, lebendig, offen nach allen Seiten, durchdrungen von Schreien, die ich nicht zuordnen kann. Als Süchtiger jage ich dem totalen Kick hinterher, den ich vielleicht nie erreichen, nie erfahren werde. Wenn ich nicht mehr süchtig bin, dann bin ich tot. Ich bin ein Suchtgesunder, den die Sucht am Leben hält.

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Funkenmariechen des Todes

Geheimnis

Nein. Niemals. Er wird es nicht verraten. Er wird es mit in sein Grab nehmen. Ins Jenseits. Sofern es das gibt. Bewiesen ist nichts. Und überhaupt: Epikur hat alles dazu gesagt. Auf den könne er sich berufen. Tut er auch. Sagt: Ich und Epikur, Epikur und ich. Das waren Zeiten, die sind hier oben abgespeichert, sagt er und tippt mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. Trotzdem bliebe das Geheimnis unausgesprochen. Eher würde er sich entseelen, also mit einem Messer ein Loch in den Körper bohren, damit entweichen kann, was Gott kurz vor der Geburt in den Leib gestopft hat, damit er ein frommer Mensch  werden kann. Fromm wäre er, auch wenn man es ihm nicht ansehen würde, man solle vom Haarschnitt nicht auf den Grad der Frömmigkeit schließen. Aber jetzt weiche er ab, erklärt er, denn es ginge ja um das, was nicht ausgesprochen werden solle, also sein Geheimnis, dem wir, er kann es von unseren Nasenspitzen ablesen, gern auf die Spur kommen würden, denn ein Geheimnis, das nicht offenbart wurde, ist nichts wert, das ist ein Geheimnis ohne Sinn und Verstand, ein solches Geheimnis ist eine Missgeburt, ein Kind, mit dem sich auf Dauer keiner abgeben will, denn wer will schon etwas mit einem Kind zu tun haben, dessen Gesicht er nie erblicken dürfe. Und weil er das alles einsehe, weil seine ins Feld geführten Argumente ihn überzeugt hätten, voll und ganz, würde er uns jetzt, wir sollten doch bitte ein wenig näher kommen, sein Geheimnis verraten.

Wir lauschen und können nicht glauben, was wir da zu hören bekommen. Ja, das schlägt dem Fass den Boden aus, das wird die Drehung der Erde um die Sonne aufhalten, das wird die Geschichte der Menschheit für immer verändern.

Wahnsinn, denken wir, und beschließen, das Geheimnis, seines explosiven Inhalts wegen, für uns zu behalten. Sie werden sicherlich Verständnis für unsere Entscheidung haben.

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Funkenmariechen des Todes

Winterrüstung

Wir haben uns gegen die Kälte gerüstet, spazieren in Schneeanzügen durch die Wohnung, Feuerstellen säumen unsere Wege. Jeder Schritt ist eine Kraftanstrengung sondergleichen, will man sich drehen, geschieht das Unvermeidbare: Vasen zerschellen auf dem italienischen Marmor, Bücher werden vom Tisch gefegt, Statuen (Rohrbach, Reiher, Rodin) poltern über das Parkett. Scherben verteilen sich über den Boden, um später von uns aufgelesen zu werden.

Mit den Handschuhen ist es mir kaum möglich zu schreiben. Der Atem beschlägt das Glas des Helms. Der Funkkontakt zu meiner Frau ist abgebrochen. Wir sollten, so überlege ich, doch auf konventionelle Winterkleidung umstellen, um uns und die Welt nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Auch der Gang auf die Toilette würde endlich wieder möglich werden.

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Funkenmariechen des Todes

Zwischennotiz

Der Sonntag ist ein Rumgelage, eine Sofawohltat, ein Sinkschlafintermezzo, ein Schaufelrein, ein Denkdichwegwohinauchimmer, ein Träumlein, ein Sattsein und Dasein, ein Angstsein vorm Ewigen Nichtstun, ein Sitzvor und ein Starrraus, ein Zappelrum und ein Tippwasrein.

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Zukunftsnotiz

Die Amazon-Zukunft gehört nicht nur denen, die ihre elektronische Literaturware billig oder gar kostenlos offerieren, sondern bald auch jenen, die ihren Lesern Geld bieten werden, wenn diese sich ihre E-Books runterladen. Seht, werden sie an ihre Facebook-Pinnwand schreiben, ich habe – dank Ausgaben in Höhe von X – soeben Platz 7 in den Top 100 der erkauften Kindle-Werke erreicht. Biete jedem, der sich die Umstände macht, mein Meisterwerk abzuspeichern, eine noch auszuhandelnde Summe, mindestens aber 0,89 Euro. Ja, einen solchen Kleckerbetrag gebe ich gerne aus, damit mein Jahrhundertwerk seine Leser sicher erreicht.

Das ist nicht der Ausverkauf der Literatur, sondern der Einkauf des Lesers.

So geht Zukunft.

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Handlungsnotiz

Unglaubliches ist geschehen.

Meine Hände hatten sich vorübergehend der Selbstständigkeit verschrieben, wanderten sie gestern doch – ganz gegen meinen Willen – über die Schreibtischplatte, sie inspizierend, schnüffelnd an diversen Stiften, die sie anstießen wie Körper, die sich jeden Moment rühren müssten. Von der Totenstarre der Schreibwerkzeuge enttäuscht, zogen sie unter meinen erstaunten Augen in Richtung eines kleinen Bücherbergs, an dessen Ostseite sie aufstiegen. Sich an einem Krimi klammernd, dessen Buchrücken ein wenig hervorstand, verschnauften sie, um dann die letzten drei Bücher mit einem gewagten Sprung zu überwinden. Eine Kraftanstrengung sondergleichen, denn die Hände schliefen mir nur wenige Sekunden später ein. Selbst ein Schnarchen war, konzentrierte man sich genügend, zu vernehmen.

Nach dem Erwachen schienen sie wieder voll und ganz meine gewohnten Hände zu sein, gehorchten sie doch – ohne Sträuben, ohne Widerworte – meinem Willen. Noch erschrocken über das Geschehene, steckte ich sie probeweise in die Gesäßtaschen meiner Jeans, dann wieder brachte ich sie in die Nähe von Handschuhen, die ich ihnen als Drohung präsentierte. Wer nicht gehorche, so flüsterte ich in meine Handinnenflächen, würde über kurz oder lang (eventuell spurlos und für immer) verschwinden. Keine Regung von Seiten der Hände. Vielleicht, so dachte ich, war ich nur einem Tagtraum aufgesessen. Vielleicht hatte sich aber auch alles wirklich so ereignet. Wie dem auch sei, ich werde meine Hände fortan mit zwei kritischen Augen im Blick behalten.

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Wäsche aufhängen

Wäsche aufhängen. Sie baumeln lassen. Die Ärmel lasch. Gravitätisch. Tot ist tot. Sie aufknüpfen. Man soll sie erst von der Leine lassen, wenn sie trocken ist. Nicht hinter den Ohren, denn sie hat keine. Ein Wesen ohne Ohren, ohne einen Kopf, mit Beinen, mit Armen, mit Bäuchen, die leer wie eine Wüste wirken. Abnehmen muss sie nicht bei solch dürren Leibern, abgenommen wird sie später. Verstaut in einem Korb, im Schrank, bis sie gepflückt wird, gerissen aus der Tiefe einer Schublade, hinauf ins schale Tageslicht der Wohnung. Man streift sie sich über, füllt die leeren Bäuche, bläst sie auf wie einen Ballon. Trägt die Wäsche durch den Tag, führt sie vor, bis sie wieder in der Waschmaschine landet. Gereinigt und geschleudert. Dann wird wieder gehängt.

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Filmnotiz

Ein Film ist ein Haus, das man betritt, ist jemand, dem man folgt, ist eine Jacke, die man überstreift. Mal fühlt man sich in den Zimmern wohl, mal vertraut man dem, der einen leitet, mal fühlt man sich gewärmt. Es gibt aber auch Filme, die einen aussperren. In denen man sich verläuft. Die einen in die Irre führen, die Löcher haben, und die einen frieren lassen. Es gibt Filme, die eine Wüste sind, in der man verdurstet, in der man verhungert, in der man plötzlich von Luftspiegelungen heimgesucht wird. Flirrend tanzen die Bilder in der Hitze, um sich zu verlieren, will man sie fassen.

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Der erste Schnee

Der erste Schnee ist gefallen. Ein zaghafter Versuch. Häuser, als wäre ein Gottbäcker mit einem Sieb über sie hinweg marschiert und hätte sie mit Puderzucker bestäubt. Der Himmel grau wie eine alte Eminenz, die traurig in der Ecke hockt, weil ihre besten Sommer vorüber sind, weil nun nur der Tod noch am Horizont als Ziel verkümmert. Die Straße nass, vollgesogen mit dem, was einst Schnee hätte werden sollen, wenn die Kälte seine Kindheit in eine glückliche Jugend überführt hätte. In der Wohnung schräg gegenüber residiert eine Familie am Frühstückstisch. Man mustert sich mit zusammengekniffenen Augen. Teilt Käsekarten aus, verlangt nach der Marmelade, die stumm gereicht wird. Ein Frühstück wie eine illegale Pokerrunde. In der Ferne steigt eine Rauchsäule. Alles verliert sich in einer klammen Ungewissheit. Es ist, als würde der Tag nicht auf die Füße kommen, als würde ihm die Kraft fehlen, sich aus der Hocke nach oben zu stemmen.

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Erlaufungen

Eine Stadt will nicht erfahren, sondern erlaufen werden. Die Schritte sollen sie vermessen. Der Blick schweift. Erfahrungen sind dem Läufer nichts, Erlaufungen dafür alles. Die Füße fühlen die Unebenheiten, sie weichen aus, sie übersteigen, sie betreten. Die Hände schwingen im Takt der Bewegung. Der Körper wird zum Metronom. Der Kopf ist das Teleskop, das sekündlich ausgerichtet wird, auf der Suche nach neuen Galaxien, nach Bauarbeiterhelmen, die ihm gleißende Sonnen sind. Ein Überquerer ist der Läufer, ein Seher, der die Zeichen der Ampel deutet. Autos schwimmen wie überfressene Fische an ihm vorüber. Der Verkehrsfluss ist zum Baden nicht geeignet, auch wenn die Inseln, die einsam darin liegen, die Sehnsucht nach einem verlassenen Ort keimen lassen. Kaffeeduft strömt in seine Nasenflügel, spielt dort anhand der Duftnoten eine rasch verwehte Melodie. Die Gerüche wechseln. Es ist, als würde man durch eine Großküche schreiten. Eine Stadt will nicht erfahren, sondern erlaufen werden.