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Motorsäge des Schicksals

Dienstag

Dienstag. Dabei wäre mir lieber, es wäre Mittwoch. Oder Donnerstag. Am besten wäre Freitag. Samstag wäre auch eine Alternative.

Putzmuckel, der Kater, lag auf meiner Decke. Das Tier ist wunderschön. Ach, wenn er noch leben würde, was hätte ich meinen Spaß!

Aber auch ausgestopft macht er einiges her. Seine Samtaugen, die sich in einer nicht näher bestimmbaren Ferne verlieren. Seine Tatzen, die Krallen, die leicht ausgefahren, von vergangenen Kämpfen berichten.

Ich streichelte ihm sein Fell, redete auf ihn ein, erklärte ihm, dass es dort, wo er sich jetzt aufhielt, bestimmt besser sei.

Wenn man ganz besonders still war, meinte man ihn Schnurren zu hören.

Ich hob ihn auf den Boden und setzte ihn neben Fridolin und Tatjana, meinen Hund und mein Rehkitz, beide ebenfalls präpariert. Wie sie mich ansahen! Treu bis über den Tod hinaus.

Ich tätschelte ihnen die Köpfe, die irgendwo einen Laut ausgemacht haben könnten, so starr hingen sie in der Luft. Ich bin mit ihnen früher gern gelaufen. Stundenlang liefen wir um das Haus. Runde für Runde. Die Tiere schien nichts erschöpfen zu können.

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich Tatjana. Sie steht versonnen auf der nahegelegenen Lichtung. Verträumt hebt sich ihr Blick und verliert sich im Dickicht des angrenzenden Waldes. Wie gerne wäre sie wohl dorthin gelaufen. Allein die Ketten meiner Liebe banden sie an den Pflock, den wir in einen Betonklotz eingelassen hatten.

Sie sollten nicht schlecht über mich denken. Ich bin als ein unbedingter Tierfreund bekannt. Wenn es geht, besuche ich Zoos. Ich gurre mit den Tauben, die in der Stadt meine Wege kreuzen. „Gurr, gurr, gurr“, sage ich zu ihnen. Sie sehen mich entsetzt an. Sie können es gar nicht glauben, dass es tatsächlich einen Menschen gibt, der ihre einfältige Sprache gurrt. „Gurr, gurr, gurr“, antworten sie mir. Und ich darauf: „Gurr?“ So geht es oft stundenlang hin und her. Ein kleiner Plausch mit einer Stadttaube ersetzt die Zeitung.

Ich kommuniziere auch mit den Mäusen, mit den Vögeln, egal welchem Stamm sie angehören. Kein Tier, das nicht von mir in eine kleine Diskussion verwickelt wird.

Und weil ich nicht die Finger von denen lassen kann, die einst Tisch und Bett mit mir teilten, lasse ich sie ausstopfen. Meine Frau findet das allerdings äußerst geschmacklos. Sie hofft darauf, nach mir das Zeitliche segnen zu dürfen.

Guten Morgen, Welt!

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Die Stimmen

Die Stimmen (7)

Sonntag, 18. August 2013

Er hat wieder den ganzen Morgen herumgealbert. Texte, die alles zulassen, auch Fehler. Er ist jedes Mal selbst gespannt, was entsteht, wenn er die Zügel schleifen lässt.

Das sind die Stimmen, denkt er, diese unzählig vielen Stimmen, die in ihm tönen.

Jetzt hat sich, in dem Moment, da er etwas in sein Tagebuch einträgt, die Küchentür geöffnet. Seine Frau hat den Kopf rausgestreckt, im Haar eine Bürste, sodass sie aussieht wie ein Indianer. Er habe doch versprochen, heute nichts mehr zu schreiben, sagt sie. Aber, wehrt er sie ab.

Sie ist erzürnt. Verärgert. Nicht, dass er schreibt, sondern weil sie nicht möchte, dass er etwas verspricht, das er nach einer halben Stunde bricht.

Weniger, denkt er. Du musst weniger schreiben. Und das schreibt er auf. Da steht es, dass er weniger schreiben will.

Und jetzt?

Der Sonntag liegt wie eine freie Fläche vor ihm. Wie ein Stück Wiese, auf dem er sich austoben könnte. Er kann alles tun. Einen Kopfstand. Er könnte sich aufs Sofa legen. Lesen. Gut, denkt er. Nur nicht schreiben. Er hat es doch versprochen.

Er schreibt alles auf.

Gut, wenn man seinen Tag auch ohne die Schreiberei verbringen kann.

Morgen ist alles vorbei. Morgen wird er im Laden stehen und die Regale bestücken.

Aber aufschreiben werde ich das nicht, denkt er. Und was macht er? Er schreibt es auf.

Wenn ich morgen wieder arbeiten will, denkt er, ist der Sonntag eine Zeitbombe, die mir um die Ohren fliegen wird. Er sollte den Tag gut nutzen.

Das wird er tun. Heute wird er eine Schreibpause einlegen, denkt er – und schreibt es gleich auf.

Mehr nicht. Er will es ja nicht übertreiben.

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Lesereise des Grauens

Donnerstag II (Gespräch mit Zisslinger)

Saß eben auf dem Balkon. Paffte eine Zigarette. Schöne Situation. Genoss es richtig. Dachte dabei an Zisslinger, der mir kürzlich erzählte, dass er an einem neuen Buch arbeitet.

Ich zu Zisslinger: „Na, alter Junge, was machen die Verkäufe Ihrer Bücher?“

Zisslinger: „Hören Sie auf, Rohm. Sie wissen genau, dass ich überhaupt nicht schreibe.“

Ich: „Mal nicht so bescheiden, Zisslinger. Sie sollten mit dem Zeug mehr hausieren gehen. Sonst verkauft es sich am Ende nicht. Und das hätten Sie und Ihre hervorragenden Romane auf keinen Fall verdient.“

Zisslinger: „Wie oft soll ich Ihnen noch erklären, dass ich Autos verkaufe?“

Ich: „Ja, ja, Sie alter Scherzkeks. – Und die letzte Lesung, wie war die? Will mal hoffen, dass sie ein voller Erfolg war.“

Zisslinger: „Keine Bücher. Keine Lesungen. Nur Autos.“

Ich: „Wo Sie gerade beim Thema sind … Ich habe von meinem Verleger gehört, dass sie an Ihrer Autobiografie arbeiten.“

Zisslinger: „Ich habe … Ich muss jetzt …“

Ich: „Der Ruf der Schreibmaschine! Kenn ich alter Junge. Na, lassen Sie sich mal nicht aufhalten.“

Zisslinger. Vorname Anton. Guter Mann. Den Namen sollten Sie sich merken. Man wird noch viel von ihm hören. Viel. Sehr viel sogar. Ganz bestimmt.

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Funkenmariechen des Todes

Die Trauer des Killers

– Du bist traurig.

– Ich bin müde.

– Bist du unglücklich?

– Das Töten will mir keinen Spaß mehr machen.

– Vielleicht hast du es mit dem Töten übertrieben. Wer tötet schon jeden Tag? Die Leute gewöhnen sich an deine Morde. Sie übersehen sie.

– Kann sein. Aber das ist es nicht. Ich bin mit der Art, wie ich töte, unzufrieden. Es ist eine Methode geworden. Ein Widerholungszwang, der nichts Neues mehr hervorbringt. Ich will die Sprache des Todes immer wieder neu entdecken. Will mit einem anderen Instrument töten.

– Tot ist tot. Und der Tod ist der Tod! Das Ergebnis wird dasselbe sein, egal, wie du es anstellst.

– Müde. So müde.

– Überarbeitet. Auch ein Killer braucht mal Urlaub.

– Und was macht ein Killer im Urlaub?

– Er tötet nicht. Er lebt. Er lässt leben. Er schaltet ab. Konzentriert sich auf die Dinge, die er bisher übersehen hat.

– Und wenn der Urlaub vorüber ist?

– Ist er vielleicht ein anderer!

– Will ich ein anderer sein? Ich weiß es nicht. Ich bin süchtig nach dem Töten, nach dem perfekten Mord. Es ist der Kick, der mich leben lässt. Nur der Tod hält mich am Leben.

– Wenn es der Tod ist, bist du nicht mehr am Leben. Du bist ein lebender Toter. Ein toter Lebender. Ein Zombie.

– Ja, so fühle ich mich. Wie ein Zombie. Ich schreite in den Tag. Ich fühle mich leer. Das Hirn ist eine Hülle. Das Herz ist ausgebrannt. Die Seele ist nur ein Begriff, den ich nicht näher beschreiben kann. Die Worte, sie fehlen. Die richtigen Worte. Die wahren Worte. Ich bin sprachlos.

– Du redest ziemlich viel für einen Killer, der seine Sprache verloren hat.

– Das ist das einzige, was mir geblieben ist. Es sind die Worte, die meine Sprachlosigkeit zum Ausdruck bringen. Sie und die Müdigkeit sind mir geblieben.

– Du hast Depressionen.

– Kann sein. Vielleicht ist das das richtige Wort für meinen Zustand.

– Du musst lernen, wieder mit Freude zu töten. Du musst morgens aufstehen und Spaß am Töten haben, dann kommt die Lebensfreude von ganz alleine zu dir zurück.

– Es ist eine Lebensfreude, die auf dem Tod basiert. Auf der Trauer. Auf dem Schmerz.

– Töten ist dein Lebensinhalt.

– Ich habe ihn dazu gemacht, er muss es nicht unbedingt sein; es könnte auch einen anderen Lebensinhalt geben.

– Und das wäre?

– Ich weiß es nicht. Nicht jetzt. Ich muss erst den nötigen Abstand zum Handwerk des Killers finden. Ich muss abschalten.

– Dann tu das.

– Wenn es doch nur so einfach wäre. Ich versuche es.

– Jeder Tag ohne einen Mord befreit dich ein Stück von deiner Sucht.

– Ich sollte die Hände von Waffen lassen?

– Du könntest es versuchen.

– Und wenn es mir nicht gelingt?

– Dann wird dich deine Unzufriedenheit killen. Du wirst wie eine Blume eingehen, die kein Licht und kein Wasser bekommt.

– Mein Licht und mein Wasser sind?

– Der Tod. Das Töten. Mord!

– Ich kann gewinnen.

– Kann sein.

– Ich muss es versuchen.

– Tu das. Versuch es. Am Ende wird es so oder so einen Gewinner geben.

– Und wer wird das sein?

– Entweder wird deine Sucht nach dem Tod sterben. Oder du wirst sterben. Oder du wirst wieder töten. So oder so, der Tod wird der klare Gewinner sein.

– Ich kann ihm also nicht entkommen?

– Die Chancen stehen schlecht, die Chance stehen schlecht.

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Funkenmariechen des Todes

Jetzt bin ich krank

Jetzt bin ich krank. So unendlich krank. Die Nase läuft über. Ich zieh Schleimspuren durchs Zimmer. Da muss man vorsichtig sein, sonst rutscht man auf denen aus. Zack! Schon liegt man, Bein gebrochen, und das nur, weil ich die Nase nicht halten konnte.

Den Nachmittag habe ich mir zerlegen, in kleine Portionen habe ich ihn gelegen, mal auf der rechten, mal auf der linken Seite.

Unterbrochen wurde ich nur von mir. Da niest man sich wach, dass man keine Freude dran hat.

Überhaupt, wenn ich mir im Spiegel begegne, bekomme ich einen Riesenschreck, weil da die pure Röte durchkommt. Die Nase sieht aus, als hätte ich sie mir schlagen lassen. So etwas könnte auch vom jahrelangen Alkoholkonsum kommen. Schnell gerät man in eine Beweisnotsituation. Von Amazon hab ich auch was verlinkt, da muss ich mich nicht wundern, wenn mir heute Abend noch einer die Scheiben einwirft.

Scheißtag!

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Funkenmariechen des Todes

Vom Sex mit einem leeren Blatt Papier oder: klököäkzgsdfabcjcn, shdhdbcfsvvskkn dbn

Wo anfangen, denke ich.

Mit einem ersten Buchstaben ist noch nichts gesagt, gar nichts, es gibt nur diesen ersten Buchstaben, der nicht allein bleiben will, der also eventuell eine Aussage treffen möchte. (Er trifft aber keine, nicht mal einen zweiten Buchstaben trifft er, der einsame Bursche.)

Viele Buchstaben müssen auch keine Aussage treffen. Es könnte sein, dass sie nur viele Buchstaben bleiben wollen, in etwa so: klököäkzgsdfabcjcn, shdhdbcfsvvskkn dbn. (Diese bringen uns hier nicht weiter.)

Als Kleinkind kam ich mit einem Ohhh recht weit, weil Ohhh alles war, zum Beispiel die Oma, die mich nicht ausstehen konnte. Da ich das Produkt einer Verbindung war, die sie nie gutgeheißen hatte, betrachtete sie mich stets mit einem gewissen Ekel in ihrem Gesichtsausdruck. Sie tippte mir mit ihrem Finger auf die Brust, als sollte ich etwas zugeben. Vielleicht hoffte sie auch, ich würde platzen, wenn man nur lange genug eine Stelle bearbeitete. Ballons lösen sich in Fetzen auf, warum also nicht ein Mensch, der klein und auch hauptsächlich mit Gas gefüllt ist? Das könnte sie sich ausgesponnen haben, ich will es nicht behaupten, nicht als Anklage in den virtuellen Gerichtsraum führen, auch weil sie längst tot ist und sich nicht wehren kann. (Sie liegt nicht weit von meinem Vater, und man müsste sich einmal in der Nacht auf den Friedhof schleichen, um den Seufzern und Schimpftiraden der Toten zu lauschen. Mein Vater und meine Großmutter werden sich nichts zu sagen haben, sie werden schmollen, die längst zerfallenen Köpfe zur Seite gedreht, damit sie nicht zufällig in die Richtung des jeweils anderen blicken. – Selbst im Tod können wir uns nicht entkommen, hier in der Provinz schon mal gar nicht, wo es geschehen kann, dass man in der Nähe seines Erzfeindes beerdigt wird, der es sich nicht nehmen lassen wird, üble Gerüch(t)e in der Geisterwelt zu verbreiten, einzig damit die ewige Ruhe nicht zu friedlich verläuft. – Auf der anderen Seite, das kann ja was haben, so ein Jenseitsnachbarschaftsstreit, denn wenn es so sein sollte, dass da nicht viel bzw. gar nichts kommt, wird man froh um jede Ablenkung vom Trist des Friedhofsalltags sein.)

Ist ja täglich ein Wunder, einen Text zu beginnen, von dem man nie weiß, wo er einen hinbringt. Eine Ansammlung von Buchstaben, die irgendwann Zellen und Haut und Augen und Gebiss einer Notiz sind, die einen spazieren führt, obwohl es anders geplant war. Dabei soll doch der Autor Herr über seine Schöpfung sein, und nicht umgekehrt.

So ein Rottweilertext zerrt an der Leine, schnüffelt bald hier, bald dort. Man verdreht die Augen und hofft, dass einen niemand beobachtet. Sonst kommt der Leser aus dem Kichern nicht mehr raus. „Hihihi“, wird er lachen. „Haste den gesehen? Der hat einen Text, der mit ihm Gassi geht. Und, Mann, guck mal jetzt, was der für einen Haufen hinterlässt. EKELERREGEND!“

Jetzt ist es mehr als ein Buchstabe geworden, auch mehr als die Ansammlung dieser Buchstaben, die keinen Sinn ergeben hätten: klököäkzgsdfabcjcn, shdhdbcfsvvskkn dbn, aber weniger, als ich hatte schreiben wollen. Geplant war etwas Politisches, etwas, das die Leute zum Nachdenken bringt.

Das kommt davon, wenn man den Worten die lange Leine gibt und sie schnüffeln lässt, wo sie wollen.

Wenn man einen Text loswerden will, kein Problem. Schnappen Sie ihn sich, streicheln Sie ihn, beruhigen Sie ihn, sagen Sie ihm, was für ein Prachtkerl er ist und binden Sie ihn an der Leitplanke ihres Blogs fest. Soll sich doch jemand anders um ihn kümmern.

Man dreht sich um und blickt nicht zurück, pfeift sich ein Lied, und sollte man auf den Text angesprochen werden, kann man immer noch behaupten: „Nein, das ist nicht meiner. Der sieht ihm nur ähnlich. Nie würde ich meinen Liebling einfach so aussetzen. – Wo er momentan ist? Äh, ich weiß nicht. Es könnte sein, dass er abgehauen ist. Dämliches Ding, das macht er zu gern.“

Und weil der alte Text fort ist, setzt man sich an die Zeugung eines neuen. Den Zeigefinger auf die Tastatur, und dann vor-zurück, vor-zurück, vor-zurück. Zwischendurch ein bisschen heftig atmen, schneller, heftiger. Schreien. Man zeugt einen Text, das kann ruhig mit Lust geschehen.

Beginnen Sie mit einem ersten Buchstaben, lassen sie andere folgen, stecken Sie ihr Ding (Hirn) tief rein, lassen Sie das Ding nicht wühlen, ziehen Sie es mit Gefühl hinaus, nicht ganz, wieder rein. Das wird schon. Sie werden es dem leeren Blatt schon besorgen. (Keuchen Sie: „Du geile Sau!“)

Erschreiben Sie sich ein Kind der Liebe. Und wenn es mit ihnen nicht funktionieren sollte, können Sie das Kind-Hund-Text-Ding aussetzen, ganz so wie oben beschrieben.

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Funkenmariechen des Todes

Zeitflüchtlinge

Die Zeit stürmt davon, erblickt sie einen Raucher. Sie ist ein militanter Nichtraucher, deshalb nimmt sie stets Reißaus, wenn sie einem Raucher in den blauen Dunst läuft, erklärt mir einer der Zeitflüchtlinge.

Sie muss sich um ihre Gesundheit kümmern, denn seit sie gelesen hat, dass es mit ihr nicht zum Besten steht, müht sie sich um einen Lebenswandel, der ihre Lebenserwartung beträchtlich erhöht.

Der Zeitflüchtling grinst und zündet sich eine langstielige Damenzigarette an, die einen merkwürdig süßen Geruch verströmt.

Aus „Zeitflüchtlinge – Vom Umgang mit der Zeit in den Zeiten der Zeitlosigkeit“

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Funkenmariechen des Todes

Ich bin und bleibe Mäuseträger

Es soll Menschen geben, die noch keine Maus auf dem Kopf tragen. Ich kann es mir gar nicht vorstellen, denn seit ich eine Maus auf dem Kopf trage, hat sich mein Leben grundlegend geändert.

Mäuse auf dem Kopf führen stets zu einem Gespräch, vor allem, wenn man auf Leute trifft, die auch eine Maus auf dem Kopf tragen.

Leider soll das Tragen von Mäusen auf dem Kopf in öffentlichen Räumen demnächst verboten werden.

Ich werde meiner Maus einen kleinen Mantel stricken lassen, damit sie nicht friert, wenn ich mit ihr vor einem Restaurant stehe. Wir werden unseren Freunden, die keine Maus haben, zuwinken.

Obwohl das Tragen von Mäusen auf dem Kopf ungesund sein soll, werde ich es nicht sein lassen. Die Warnungen, die man zukünftig ins Fell der Mäuse brennen lassen will, scheinen mir eine überzogene Reaktion. Ich denke nicht, dass man tatsächlich an einem Hirntumor erkrankt, nur weil man eine Maus auf seinem Kopf trägt.

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Funkenmariechen des Todes

Es sei hiermit ausschläglich betont, dass ich ein Fantasy-Roman sein könnte

Da hat etwas meinen Körper angefallen. Rot ist er – ich wollte schon schreien: Die Kommunisten haben das Ruder übernommen! -, übersät mit kleinen Hügeln.

Was ist das? Ein Überfall des Hamburger Rotlichtmilieus? Der Einmarsch eines barbarischen Bergvolkes, die ihre erhebende Weltsicht mitgeschleift haben?

Jucken tut es auch, sodass ich unablässig kratzen will wie an einer Gefängniswand. Es ist, als wolle meine Haut mir erzählen, dass ich etwas unter ihr finden könnte, würde ich nur kräftig genug graben.

Und tatsächlich, meine Fingernägel schaben die Hügel hinfort und stoßen auf Blutadern. (Sind nicht Zwerge ganz verrückt nach dem roten Saft? Oder waren das Vampire?)

So wird man, ohne dass man es einforderte, zum Schlachtfeld für einen Fantasyroman. Er blüht auf mir als Wundergarten.

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Funkenmariechen des Todes

Notiz zu MOONRISE KINGDOM

MOONRISE KINGDOM ist ein Film, der mich ausgesperrt hat. Seine Bilder, die wie mit dem Lineal gezogen wirken, gingen an mir vorüber, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Das ist beim Betrachten eines Films nicht sein Fehler. Ich hätte vermutlich genauer hinsehen müssen. So ist nichts aus uns geworden.

Dabei hatte ich mir vorgenommen, mich zu bemühen, weil ich ganz wild darauf war, einen wunderbaren Film zu sehen, einen, der mich verwirrt, betört, der die Haare nach hinten wirft, um den Ansatz einer Glatze zu offenbaren. Dieser war ein Kinderkarussell, auf das ich an diesem Tag nicht steigen wollte. Schade.

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Funkenmariechen des Todes

Notiz für eine Geschäftsidee

Ich habe mich eingepackt, habe mich unter unzähligen Schichten aus Kleidung versteckt. Eine Hose habe ich über die Hose gezogen. Zwei Pullover über einen ersten. Socken. Mehrere davon. Brillengestelle fand ich keine mehr. Also beließ ich es bei dem, das mir auf der Nase sitzt. Hüte waren nicht zu finden. Aber Handschuhe. Sieben Paare. Die müssten genügen, um die Kälte in mir einzusperren, um sie zu zwingen, sich zu ändern. Wärme soll sie werden. Hitze gar. Schreiben – zugegeben – lässt es sich schlecht. Kaum einen Buchstaben, den ich tatsächlich treffe. Ganze Blöcke erwische ich gleichzeitig. Nicht die schlechteste Methode, um rasch einen unverständlichen Roman zu beenden. Ich könnte ihn in wenigen  Tagen an einen Verlag übersenden. Sollten dort Fragen zum Inhalt aufkommen, würde ich ihnen mitteilen, dass ihnen hier  eine gänzlich neue Romanform vorliege. Die Buchstaben, so würde ich telefonisch mitteilen, lägen dem Leser ja vor. Nun sei der Leser der Moderne aber einer, der gefordert werden müsse. Mit Schere und Klebstoff. All die Buchstaben seien auszuschneiden und zu sortieren, damit der Leser nicht länger Opfer sei, sondern zum Täter werde. Lägen erst all die Buchstaben vor ihm, dann müsse der Käufer seinen eigenen Roman kleben. Dies sei die Zukunft der Literatur, würde ich dem Verlag mitteilen, um so der Not etwas abgerungen zu haben, will ich doch nicht auf meine Handschuhe verzichten. Man fühlt weniger von der Welt. Schmerzunempfindlicher ist man geworden. Selbst Töpfe, die brodelnd auf dem Herd stehen, können für Minuten berührt werden. Mit den Handschuhen komme ich jenem Teil der Welt auf die Spur, der mich bisher ungerührt abwies. Auch lästige Alltagsgewohnheiten entfallen. Das Händewaschen war mir schon lange eine Last, nicht nur des unsäglichen Wasserverbrauchs wegen. Tätigkeiten werden eingespart. Ein Zeitgewinn ist zu verzeichnen. Der erste Durcheinander-Roman wird – so vermute ich – am Nachmittag abgeschlossen sein. Und konnte ich den Verlag erst überzeugen, werden die Folgeteile in Arbeit gehen müssen.

Manchmal muss man nur frieren, um dem Erfolg endlich in die Arme zu laufen.

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Funkenmariechen des Todes

Willkommen auf der MS Ego!

Entdeckt man sich im Spiegel, zuckt man zurück, weil man nicht glauben kann, was man erblickt. Bin ich das, fragt man sich. Ganz nahe tritt man an den Spiegel heran, weil man zwar in sich drinsteckt, sich aber nicht von außen wahrnimmt. (Selten, nur selten tut man das. Wir wollen es doch für Sie hoffen. Und sollten Sie doch zu der Spezies gehören, die sich berufsbedingt betrachten muss, dann werden Sie mir vielleicht davon berichten können, wie fremd man sich wird, wenn man dem äußeren Selbst ausgeliefert wird.)

Laufe ich mir über den Weg, stolziere ich plötzlich durch das Netz z.B. an mir vorüber, weil ein Bild von mir irgendwo veröffentlicht wurde, dann beuge ich mich über mich und inspiziere mich. Ganz nahe will ich mir kommen, daher rücke ich mir mit einer Lupe auf den Leib, an dem, wir sind doch längst von allen Seiten versaute Wesen, mir stets ein Makel auffällt, denn ich so aber belasse, weil ich mir die meiste Zeit über recht egal bin. Nicht gänzlich. Eine dicke fette Lüge wäre es, wenn ich das erzählen würde. Die Haut, die ich zu Markte trage, wird mit Kleidung (auch mit literarischer) verhängt, in der ich mich wohlfühlen muss. Der Bauch muss ordentlich weggepackt werden. Kleidung ist mir ein Koffer, in dem ich stecke, um nach draußen zu gehen und zu verreisen.

Ich kann mich oft nicht verstehen, obwohl ich mich in einem dauernden Selbstgespräch befinde. Viele Entscheidungen, die ich treffe, werden später von mir bereut.

Um also endlich einmal zu erfahren, wer das ist, der da in mir ist, beuge ich mich über meine Bilder, nähere ich mich meinem Spiegelbild. Es ist, als würde mich ein Fremder anstarren. Der dort zu sehen ist, so denke ich, der bin ich nicht. Das ist ein Anderer, einer, der in meine Rolle schlüpft und Dinge für mich erledigt. Ich bin mir ausgeliefert. Muss nehmen, was kommt.

An Tagen, an denen ich meinen Weg kreuze, zucke ich zusammen. Ich freue mich, weil es mich noch gibt, gleichzeitig bekomme ich Angst vor dem, was er noch tun wird, der behauptet, er wäre ich.

Ich sollte mir aus dem Weg gehen. Das könnte immerhin eine Möglichkeit sein, nicht mit mir zusammenzuprallen, nicht mit mir in Streit zu geraten.

Ja, das ist es. Ich werde mir eine Auszeit gönnen, einen Urlaub vom Ich. Werde aus mir auslaufen, werde an der Reling stehen und mir zuwinken, der ich mit einem Taschentuch am Hafen stehe, bis von mir nichts mehr zu sehen ist, bis ich samt Kreuzfahrtschiff Teil der untergehenden Sonne werde.

Und dann am Morgen, ich fühle mich bereits ein wenig erholter, werde ich an Deck treten und mir die anderen Gäste betrachten. Erschrocken werde ich feststellen, dass da nur ich bin. Ich in unzähligen Variationen. Ich beim Frühstück mit mir als Dame. Ich als Kapitän, der mich an die Schulter fasst, um mich mit den Worten zu begrüßen: „Willkommen auf der MS Ego!“

Ich würde schreien, glauben Sie mir, würde ich es zulassen. Aber so wie ich mich kenne, werde ich mich knebeln und mir ins Ohr flüstern: „Ganz ruhig, ganz ruhig, endlich können wir uns ein bisschen besser kennenlernen. Wir sind hier immerhin bis zum Lebensende zusammen unterwegs.“

Und dann schreie ich doch, auch wenn es keinen Sinn macht.

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Funkenmariechen des Todes

Den Dingen eine Geschichte schenken

Die Dinge, die hinter mir liegen, verschwinden im Abendrot. Sie liegen auf einer Bank, vergessen, während ich auf der Pritsche eines Lastwagens sitze und mir den Kopf halte, durch die Nacht brausend, dem Morgen entgegen. Wind schlägt mir, der ich der Abwechslung wegen manchmal stehe, ins Gesicht, ein Wind, der von vorne kommt, aus der Zukunft, in die wir rasen. Straße ist ein Stück Zeit. Autos sind Zeitmaschinen. Ich holpere über die Zeit, werde von der Maschine, die jede Zeitunebenheit zur Kenntnis nimmt, die sie aufnimmt und weiterleitet, durchgeschüttelt. Die Zeitmaschine,  auf deren Pritsche ich lebe, ist alt. Der Rost hat sich in sie verbissen wie ein stürmischer Liebhaber, der seine Geliebte zum Fressen gern hat. Müllreste (dies könnte ein ehemaliger Müllwagen sein) verkümmern in den Ecken. Dort, eine Brotscheibe ohne Belag, die aussieht, als wäre sie vom Teller ihres Besitzers gerissen worden, einfach so, man mag sich gar nicht vorstellen, was geschah. Vielleicht wurde er verhaftet, vielleicht traf ihn der Tod, bevor er sein Frühstück angehen konnte. In der Zeitmaschine finden sich allerlei Dinge, die ich nicht gebrauchen kann, die aber etwas mit ihren Vorbesitzern zu tun haben müssen, und die mir etwas erzählen wollen, dass ich nicht verstehe. Zu abstrakt sind ihre Geschichten. Ein Gürtel liegt dort. Ein halbe Packung Tempos. Ein Buch ohne Titel und Inhalt. (Ja, es sind tatsächlich leere Seiten, drum stecke ich das Buch ein, in der Hoffnung, bald noch einen Stift ergattern zu können, um die Seiten bei Gelegenheit zu füllen. Ich könnte aus dem Buch ohne Inhalt ein Notizbuch machen. Ein Notizbuch wäre eine feine Sache, denke ich, denn dann fänden all die Gedanken und all die Sachen, die ich hier hinten auf der Pritsche dieses Zeitmaschinenlastwagens noch finde oder bereits geortet habe, ein neues Zuhause. Ich könnte den Dingen, die scheinbar keine Geschichte haben, eine Geschichte schenken.)

Der Wagen donnert weiter, direkt in den neuen Tag hinein, immer weiter Richtung Zukunft. Ich halte mir weiterhin den Kopf und genieße die aufkommende Morgenbrise.