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Im Angesicht des Wollhasen

Dienstag

In den frühen Morgenstunden entfalten die Straßen ihre wahre Schönheit. Keine Menschenseele unterwegs. Zog mich nackt aus und drehte ein paar Runden durchs Viertel. Wälzte mich im Vorgartengras des Nachbarn. Ein sexueller Übergriff, von dem er nichts ahnt. Ich bin ein Schalk. Rückkehr und Frühstück. (Wein und Zigaretten.)

Abends: Besuch in einem Altenheim, das in Kürze aufgelöst wird. Im Laufe der Zeit hätten sich, gerade bei einem solch großen Haus, eine Menge alte Leute angesammelt. Einige hätte man schon entsorgt. Wir dürften gerne zugreifen, wenn wir wollten. Lehnten mit dem Hinweis auf unsere Motterplage ab, obwohl meine Frau einen Opa ins Auge gefasst hatte, der sich gut in unserem Sessel neben dem Bücherregal machen würde. Sein Auswurf auf meinem Schuh unterstütze uns in der Meinung, ihn seinem Schicksal überlassen zu müssen. Essay über die Wegwerfgesellschaft verfasst. Warf ihn später fort.

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Im Angesicht des Wollhasen

Montag

Unser Wellensittich hält sich für einen Hund. Dumpfes Bellen aus dem Käfig. Knurren. Außerdem die Ausbildung scharfkantiger Zähne. Legte ihm probehalber ein Halsband und eine Leine an. Die Leute werden sich an den Anblick gewöhnen. Könnte ihn als Wachwellensittich vermieten.

Später Vormittag: Jede Generation hat vermutlich ihre Wenn-wir-alt-sind-Baby-Sicht. Hier meine Version:

Wenn wir alt sind, Baby,
werden wir alt sein.
Wir werden so alt sein,
dass wir nicht mehr sprechen,
wir werden nichts mehr rächen,
keine Verbrechen, die uns
angetan wurden,
keine Geburten
von Kindern, die uns jetzt
nicht mehr besuchen.
Wenn wir alt sind, Baby,
werden wir sabbern,
wir werden nichts mehr sehen,
wir werden verwehen,
wie der Wind, der an unseren Fensterläden rüttelt,
der sie schüttelt,
wie ich meinen verkümmerten Penis,
aus dem nichts mehr kommt,
nicht mal Urin.
Ein Spleen, wirst du sagen wollen,
dass ich immer schüttel,
sagst es aber nicht,
weil, wenn wir alt sind, Baby,
ist das Leby bald vorbei.
Wir werden genug zu tun haben,
wir müssen atmen, irgendwie,
müssen sitzen, irgendwo.
No, no, no!
Wenn wir alt sind, Baby,
werden wir uns daran erinnern,
wie es war, als wir jung waren,
wir werden denken, scheiß der Hund drauf,
so gut war das auch nicht,
wir waren nur jung, mehr nicht.
Wenn wir alt sind, Baby,
wird die Wohnung stinken,
der Tod wird winken,
wir werden Sorge haben,
wie wir den nächsten Tag erleben.
Eben darum geht es.
Durchhalten, die nächsten Minuten
verwalten, noch einen Gang runterschalten.
Falten im Gesicht.
Baby, wenn wir alt sind, kommt nichts,
außer dem, was war.
Das Leben schreibt keine Geschichten.
Das Leben kann nicht dichten.
Baby, wenn wir alt sind, sind
wir blind, wir sind das Rind
auf dem Schlachtblock des Todes.
Alt, Baby, heißt bald zu gehen.
Es wird nichts mehr stehen,
nicht mehr ER, nicht mehr ich.
Baby, wenn wir alt sind,
sind wir alt.
Wann das ist?
Bald!

Mittags: Ich werde beobachtet. Angst, aufs Klo zu gehen. Rase durch die Wohnung, um unscharfe Bilder zu provozieren. Schreibe keine Mails mehr. Telefoniere nicht. Stattdessen erste Versuche mit Rauchzeichen. Ärger deshalb mit dem Nachbarn. Wahnsinn! Er arbeitet also auch für die NSA. Trauer und Wut! (Wenn man das hier lesen kann, hat mein neues Codierungssystem versagt!)

Nachmittags: Nachmittagsschlaf wegen Reaktorstörung ausgefallen. Aufregung, bis man uns mitteilte, das Ganze sei ein Scherz der örtlichen Radioanstalt. Frage mich, wer so krank ist? Ließ beim Sender anrufen und hinterließ eine Bombendrohung. Räumung des Gebäudes. Schadenfreude, die in roten Flecken über meinen Körper läuft.

Über Motter: Motter sind nicht in der Lage, mit Meser und Gabel zu essen. Wir sollten sie aber deshalb nicht jagen und töten. Vielmehr sollten wir ihnen ein Bespiel sein, wie man mit Tieren umgeht, die eklig aussehen.

Abends: Dunkelheit trotz meiner Nachtphobie. Grummeln. Werde nicht mehr ernst genommen. Lachen überall. Selbst die Motter auf dem Dachboden bekommen sich nicht mehr ein. Rückzug als letzte Chance. Die Enge in unserem Einbauschrank lässt mich erstmals seit Wochen aufatmen.

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Sonntag

Über Nacht fiel Schnee, ganz gegen meinen Rat. Wintersport ist ja nichts für mich, höchstens er findet erst gar nicht statt. Dann mache ich auch mit. Kopfschmerzen plagen mich. Eine Packung Zigaretten und eine Flasche Wein haben bisher noch jeden Schmerz gelindert. Verliere Brusthaare! Das Ende?

Abends: Unordentlich geruht, was schwerer ist, als es sich anhört. Man muss sich zerknautschen können. Sich zerwühlen. Sich ins Chaos liegen. Nach dem Mittagsschlaf mit Erstaunen das Verstreichen der Zeit registriert. Jetzt Abendrücken, mein Begriff dafür, wenn der Abend näher rückt. Wir sind des Todes!

Superziegelhütergedicht

Ziegelhüter (Gedichte über Traumjobs I)

Ich liebe meinen Job
als Ziegelhüter.
Die Dinger liegen eh nur rum.
Faul wie ich.
Wir sind füreinander
bestimmt.

Später am Abend: Auf dem Dachboden Geräusche, wie sie nur ein Motter verursachen kann. Laut meiner Frau gibt es die gar. Lachhaft. Wurde von einem aufgezogen. Muss mehr Frostschutzmittel trinken, um hier nicht verrückt zu werden.

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Samstag

Kälte scheint ein Produkt der Wintertage zu sein. (Warum nur? Muss man alles hinnehmen, was die Natur einem vor die Füße wirft?) Deckte mich mit allen Katzen zu, die ich in der Nachbarschaft auftreiben konnte. Aufgekratzt erwacht. Deckenfrage überdenken. Jetzt Holz schlagen, damit die Hände wenigstens warm werden.

Mittags: Zurück vom Bäcker, der auch Haare schneidet. Sieben Brötchen und ein Kurzhaarschnitt. Außerdem vertickt er Bleirohre. Eines steht jetzt neben der Spüle. Überlegungen, wohin damit.

Abends: Wegen Rückenschmerzen den Nachmittag über auf dem Esstisch gelegen. Am Abend steht ein Besuch bei Freunden auf dem Programm. Wie werden wir den Tisch dorthin bekommen?
Randbemerkung: Abendliche Ausflüge sollen Prostatakrebs auslösen.

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Freitag II

Nachmittags auf offener Straße geraucht. Verkehr lahmgelegt. Hupkonzert ignoriert. Jetzt heiterer Stimmung.

Schneehaufen

Ich hatte einen Schneehaufen
neben die Haustür gesetzt.
Igitt! schrien
die Nachbarn.
Ich schob es
auf den Hund.

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Freitag

Versehentlich geschlafen. Nach dem Aufstehen wieder hingelegt. Das soll den Kreislauf in Schwung bringen. Draußen kein Schnee, dafür aber Außenwelt. Noch schlimmer kann es nicht werden.

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Donnerstag

Darüber nachgedacht, ein Drehbuch zu entwickeln. Es wird auf einen Drehteller gelegt. Man setzt sich im Kreis um das Drehbuch. Und los geht es! Es könnte zu einer Symbiose von Literatur und Roulette kommen. Oder wie wäre es mit Roboterbüchern? Oder einem Rennbuch, das vor einem flieht? Wer es bekommt, der darf aus ihm vorlesen. Oder eines mit Raketen auf dem Buchrücken. Ein Buchsöldner. Die Buchlandschaft muss DRINGEND revolutioniert werden. Warum nicht dreihundert Seiten auf einer unterbringen? Oder ein Buch, das man sich als Kette um den Hals hängt. Das würde die Rapper in den Kreis der Buchliebhaber holen. Wie gegen den Ebookmarkt ansteuern? Indem in jedem siebten Buch eine Figur versteckt ist. Etwa Herbert Clairwinkle aus „Die Not der der kühlen Finger“.

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Mittwoch

Zehn Zeilen geschrieben. Unzufrieden darüber. Gelöscht und Zähne geputzt. Unzufrieden mit den Zähnen. Nochmals geputzt. Danach aus Zorn ein Buch durchgeblättert, dafür aber nicht angelesen. Angst vor einer Schreibblockade. Mehrmals Obama, Anschlag, Bombe getippt und per Mail an ehemalige Verleger gesandt, um die NSA herauszufordern. Keine Reaktion. Anschließend wieder Zähne geputzt.

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Montag

Mit einer gewissen Unruhe geschlafen, die den Schlaf in Teilzeitarbeit packte. Schlaf, Nicht-Schlaf, Schlaf, Nicht-Schlaf. Eine Ruhesituation wie bei einem Schluckauf. Plan für ein bevorstehendes Poem ausgebrütet. Titel: Im Land der Hickser. Ein oder mehrere Hickser könnten sich in der Wüste verirren, um dort, konfrontiert mit Stille und Ruhe, dem Hicksen entsagen zu wollen. Eine Forderung wider ihrer Natur, die darin enden muss, dass sie sich gegenseitig nicht wiedererkennen. Das Ende vom Lied: Mord, Totschlag, Irrsinn. Sollte ich das so lassen? Überdenkenswert!

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Sonntag

Déjà-vu: Dieser Tag scheint einem Tag vor drei Jahren zu gleichen, der wiederum einem Tag vor sieben Jahren ähnelte. Deshalb muss ich also jede Nacht schlafen. Die Ewige Wiederkunft des Gleichen. Nietzsche gelesen, obwohl ich die betreffenden Stellen bereits kannte. Wir sind zur Wiederholung verdammt. Diese Erkenntnis lässt das Fernsehprogramm in einem neuen Licht erscheinen.

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Samstag

Träumte von Arno Schmidt, der meine Gedichte und Kurzgeschichten etymisierte und dabei einen latenten Hang zu abgeschnittenen Fingernägeln nachweisen konnte. Lange Fingernägel, so Schmidt, der sich in meinem Traum Arno Müller nannte, seien zu einem Trauma für mich geworden, das ich durch mein Werk zu bewältigen suche. Er fragte nach, ob er mich zerstückeln und in seinen Karteikasten stecken dürfe, was ich vehement verweigerte. Grummelnd zog er mir sein Fernglas durchs Gesicht und ließ mich erwachen. Heute wäre Arno Schmidt 100 geworden. Eine Gratulation erspare ich mir des Traumverlaufes wegen.

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Freitag

Und wieder einmal habe ich eine meiner hervorragenden Rezensionen geschrieben, die sich dazu eignen, den Tag ausklingen zu lassen. Auch im Bett können sie von Nutzen sein, z.B. wenn man nicht einschlafen kann. Man sollte sie ausdrucken und sie sich auf das Gesicht legen, mit dem Text nach unten, damit er seine Strahlkraft voll und ganz entfalten kann. Sie sind unerlässlich in Beruf und Privatleben. Schon so mancher Soßenfleck wurde mit meinen Rezensionen (alle handgefertigt) beseitigt. Stillende Mütter sollten ihre Hände von ihnen lassen.

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Donnerstag

Träumte in der Nacht von Goethe, der sich an mein Bettende setzte, um dort Wurzeln zu schlagen. Der Mensch sei eine Pflanze, erklärte er mir mit leuchtenden Augen. Nachfragen blieben unbeantwortet. Er notierte aber auf einen Zettel, dass er in Kürze ausschlagen werde. Und tatsächlich bildeten sich auf den Armen Knospen. Nur wenige Minuten später stand er in voller Blüte. Wir wurden den Dichter dank einer Motorsäge und eines hilfsbereiten Waldarbeiters wieder los. Erwachte mit einem seligen Lächeln.