Als ich Zadie das letzte Mal anrief, ging keiner ran. Vermutlich stand sie unter der Dusche oder schrieb. Ich wollte ihr erzählen, dass ich ihren letzten Roman London NW gelesen hatte, darüber, wie es ihren Protagonisten Leah, Michel, Natalie, Nathan, Felix ergangen war, und ich wollte darüber sprechen, dass London NW inzwischen überall ist, wenn auch ein wenig mehr NW in NW steckt als im Rest der Welt, was ich aber nur vermuten kann, weil ich nie dort war.
Das ist das Problem und die Schönheit, weil Exotik eines Romans, dass man sich einlassen, fallen lassen muss, um am Grund eines Buches aufzuschlagen, am besten mit Schürfwunden, damit man die Geschichte auch körperlich liest.
Als ich Zadies Buch aufschlug, war das erste, was mir entgegenschlug, ein bedrückendes Gefühl der Schwüle, der Unbeweglichkeit, der Zeit, die nicht vergeht, aber vertan und gefüllt werden will. Wie wir alle träumt Leah, die mit Michel verheiratet ist, davon, das Glück zu finden. Es mit ihren Nägeln aus dem Sud zu schaben, in dem sie lebt. London NW ist zu einem Schmelztiegel geworden, in dem die Hautfarbe kaum noch eine Rolle spielt. Der Anpassungszwang, der Wille, sich zu integrieren, schafft am Ende die gleichen Wirtschaftsmonster. Kommunismus als Endziel innerhalb des Kapitalismus. Alle sind gleich, bleiben aber nur gleich, wenn sie das Ziel haben, noch gleicher als alle anderen zu sein.
(Na, wenn ich mich da jetzt mal nicht in ein Knäuel verworrener Gedanken geschrieben habe.)
Die Sprache, noch ein Wort zu ihr, weil ich das Zadie auch sagen wollte. Sie ist gekonnt, so gekonnt, dass es manchmal fast zu handwerklich aussieht. Aber wenn sie rappt, wenn sie alles auffängt, was ihre Figuren sehen, wenn es zu einem jazzigen Anspielen aller Lebensseiten kommt, wenn Müll, Schilder, Gestank und Gedanken sich vermischen, ist es wunderbar. Man lauscht der Textmelodie und wippt mit den Füßen, mit der Gewissheit an etwas ganz Großem teilzuhaben. Das Buch wird zu einem verrauchten Club, in dem man sich an Leute lehnt, um ihren Storys, die sich mit der Restatmosphäre vermischen, zu lauschen.
Leah will ein Kind, flüstern sie, lässt abtreiben, liebt Michel, sie stammt von Pauline, die ihren kleinen Rassismus pflegt, sie stammt aus Caldwell wie Felix, der den Drogen entkommen ist dank Grace, der sich nicht entkommen kann, nicht seinem Körper.
Am Ende könnte man das Buch auch wie einen Film nennen, den ich kürzlich sah: PRISONERS. Alle sind sie gefangen, in sich, den Lebensumständen, den Anderen, der Herkunft, und alle strampeln sie, um vor dem Tod noch gelebt zu haben.
Ein aktueller Roman, kühn und kühl und angefüllt mit Klang. Das alles wollte ich Zadie erzählen, als ich anrief, aber sie nicht abhob, weil sie gerade unter Dusche war oder schrieb.
Egal wann du das hier liest, und auch wenn es schwer über das Googleübersetzungsprogramm wird, einen Sinn darin zu erkennen: DANKE!