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Mischmasch

Auslaufmodell

Hahn ist ein Außenseiter, einer, der am Rand steht und zusieht, was die tun, die in der Mitte stehen. Er drückt sich an den Hauswänden entlang, als müsste ihn das Mauerwerk absorbieren können. Er ist kein Chamäleon, obwohl er sich für eins hält. Er durchmisst das Viertel mit staksigen Schritten, die ihm schwer fallen, er hebt die Beine, weil ihm jeder Untergrund wie ein Sumpf vorkommt. Er steckt fest. Bis zum Hals in der Scheiße. Trotzdem soll er weitermachen. Schweiß, kalt wie Eis, klebt auf seiner Stirn, hinter der er sich verbirgt. Die Leute wissen nicht viel von ihm, nur dass er Trinker ist. Kein seltener Beruf im Viertel. Hier wird jeder Dritte Trinker, jeder, der was auf sich hält, fällt mit einer Flasche Wodka auf und hin und wieder durch eine Scheibe. Man will Scherben hinterlassen, damit man wenigstens etwas hinterlassen hat, wenn man in die Erde gelassen wird. Der Friedhof läuft mit ihnen über, ganz besoffen ist er von den Trinkern, die sich in ihn versenken wie in ein Buch, von dem man nicht mehr lassen kann. Liegen da rum und faulen. Alles wie zu Lebzeiten. Nichts ändert sich.

Die Aussicht auf den Tod lässt Hahn schneller trinken, denn jeder braucht ein Ziel, auch der Trinker. Also hetzt er von Flasche zu Flasche, von Schlägerei zu Schlägerei, von Frau zu Frau, von Fick zu Fick. Erschöpft erwacht er an den Nachmittagen, gequält von den Dämonen, die sich in seinen Blutbahnen austoben. Trinker zittern nicht des Entzuges wegen, sondern weil unzählige Teufel sie mit ihren Dreizacken um den Verstand bringen wollen.

Hahn ist kein Mensch, auch wenn er wie einer aussieht. Er ist ein Platzrein, ein Läufer und ein Schlagrein.

Jetzt ist es wieder soweit. Er dringt in Maries Wohnung wie Wasser, wie etwas, das sich aus der Kanalisation nach oben gedrückt hat und nach Scheiße und Unrat stinkt.

(Fürchterlich. Niemand hält das aus.)

Er pocht gegen die Tür, schwappt gegen Maries Wohnungstür. Eine Welle, die branden will. Hahn. Wieder betrunken, damit er das sein kann, was er schon immer sein wollte: Flüssigkeit, die sich verteilen kann, die überall ist, die zum Universum selbst wird.

Hahn läuft in die Wohnung, von Zimmer zu Zimmer, nässt alles ein. Ein Sturm, der alles verwüstet.

Du pisst dir in die Hose!, schreit Marie.

(Marie hat er irgendwann geheiratet. Er kann sich nur nicht mehr erinnern, wann und wo, und vor allem weshalb.)

Die Marie-Klage interessiert Hahn nicht, der es eh nicht hören kann, weil seine Ohren mit einem Rauschen gefüllt sind, einem seltsamen Geräusch, das tief aus der Erde kommen muss. Hahn lauscht dem Rauschen, Hahn, der sich über die Kinder beugt und ihnen seinen bösen Drachenatem in die Gesichter bläst, damit sie in See stechen können, damit sie ihm folgen können auf seiner Suche nach dem kürzesten Seeweg ins Grab.

Schon läuft er weiter, läuft er aus und dann von Zimmer zu Zimmer, bis er überläuft. Das kommt davon, wenn man sich seit dem frühen Morgen flutet. Hochwasseralarm im Hahnkörper. Das Hochwasser hebt die wenigen Speisen, die er sich gegönnt hat. Hahn reißt die Augen auf. Er scheint besessen zu sein. Schon wieder. Sein Körper zuckt. Da ist ein Dämon, der das Kommando über seinen Körper übernommen hat. Er schlägt sich auf die Brust, will das Ding aus seinem Körper haben.

Marie möchte schreien: Nicht hier!

Zu spät, viel zu spät. Er hält sich bereits den Bauch, leider nicht vor Lachen, auch wenn das Marie zu wünschen gewesen wäre.

Hahn übergibt sich. Es liegt nicht an ihm und dem, was er will, sondern am Mitteilungsbedürfnis seines Körpers. Es ist eine Art der Kommunikation, die den Leuten verraten soll: Ich habe die Schnauze voll.

Es stinkt fürchterlich, da kommt so vieles hoch, sein Lebensüberdruss, seine Ängste, seine Träume, Bier, Schnaps, ein paar Scheiben Toast, und ganz am Ende noch mal eine Wagenladung Angst. Angst hat er genug, der Hahn, mit der Angst könnte er handeln, könnte sie an den Ecken verkaufen, feilbieten. Könnte raunen: Hey, komm her, ich hab da was für dich. Kann jeder gebrauchen, macht das Leben erst wertvoll.

Marie schreit auf, weil sie es nicht mehr sehen kann, ihn,  diesen Seelenverkäufer von Mensch, der ihr Mann ist und der hier aufläuft und leck schlägt und mit ihrem Leben vollläuft. Sie würde ihm am liebsten eins überziehen, vielleicht mit einem Baseballschläger. Die Hiebe würden ihm gut stehen, bestimmt sogar, die Wunden würden ihn kleiden.

So steht sie neben ihrem Ehemann, der sich stoßweise übergibt und die Kinder aus dem Schlaf kotzt, bis sie ihren Papa mit Weinen begrüßen. Die Kinder kennen es nicht anders, denn wenn der Papa die Wohnung flutet, dann ersaufen sie an seinen Geräuschen, an seinem anschließenden Brüllen, gefolgt von Mama, die er mit gezielten Schlägen in die Ecke katapultiert. Schon schlägt der Gong zur ersten Runde. Die Nachbarin gongt sich an der Wohnungstür die Seele aus dem Leib. Sie treibt ihn an.

Sie wird die Polizei rufen, wenn hier nicht bald Ruhe einkehrt.

Marie würde gerne kehren, sie kann es aber nicht, weil sie längst mit einem gebrochenen Nasenbein vor dem Bett ihres Jüngsten liegt, der seine Mama jetzt beim Sterben beobachten darf. (Er weiß es noch nicht, aber er wird an diesem Bild ein Leben lang arbeiten. Er wird es kauen wie einen Kaugummi, an dem er ersticken wird, auch wenn die Leute behaupten werden, der Strick, den er sich um den Hals legen wird, hätte ihn getötet.)

Hahn knurrt etwas, das niemand versteht. Er ist jetzt ein Hund, der die Zähne fletscht, der aus der Wohnung stürmt, schon nicht mehr wankend, denn sein Hirn meldet ihm, dass es besser wäre, das Weite zu suchen.

(Bloß weg hier!)

Hahn schlüpft durch das Loch zwischen Tür und Rahmen, er schlägt die Schale entzwei, die ihn noch im Ei der Gesellschaft hielt und tappt in die Welt der Flüchtigen.

(Endlich!)

Hahn weiß bereits auf der dritten Treppenstufe, dass er das  hier nicht hätte tun sollen. Schlagen ja, aber nicht zu fest, denn sie könnte draufgehen. (Wird sie, aber das weiß Hahn noch nicht.)

Er will laufen: auslaufen, weglaufen, einlaufen, zulaufen, durchlaufen.

Hahn ist ein Läufer, das weiß jeder im Viertel. Also läuft Hahn rüber zu Engelmann und lässt sich volllaufen.

Dann kann er später wieder auslaufen. Mit gebreiteten Armen auf das offene Meer des Viertels rudern. Zu einem Schiff werden. Kentern.

(Erde zu Erde. Staub zu Staub.)

Hahn öffnet die Jacke, sie flattert im Wind, er setzt Segel und steuert den Hafen an, der ihn träumen lässt.

(Der Friedhof. Er wankt Richtung Friedhof, macht aber einen Umweg über Engelmann, der sein muss, weil Engelmann die Seefahrer mit allem Nötigen ausstattet.)

Hahn lässt das Bier laufen, literweise, er blickt auf seine blutige Hand und wundert sich.

(Die Teufel, die unter seiner Hand leben, müssen entkommen sein. Ein geglückter Ausbruchsversuch.)

Hahn flutet sich und wartet darauf, überzulaufen, denn wenn das geschieht, dann entleert er sich, dann treibt alles Böse aus seinem Körper auf die Straße.

Er will sich verflüssigen, will in alle Ecken des Viertels rinnen, will zum Viertel selbst werden.

Er hebt die Flasche und spürt, dass er kurz vor seinem Ziel steht.

(Zuerst im Magazin >>>>GETIDAN erschienen)

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Lesereise des Grauens

Samstag

Ich bin angekommen. Ich bin ab sofort ein Teil der politischen Landschaft.

Und wer will das nicht sein? Teil einer Landschaft werden, heißt, dass man mutiert. Plötzlich wachsen einem Äste, Gras wuchert auf den Zähnen. Man steht da. Still und starr. Ist Teil einer Landschaft.

Wird man Teil der politischen Landschaft, wachsen die Hände. Sie werden größer und größer. Gigantische Dinger, damit man sie den Steuerzahlern unter die Nasen halten kann.

Demokratie schön und gut, aber wir wollen es mit dem Mitbestimmungsrecht nicht gleich übertreiben. Deshalb gibt es uns. Die Politiker.

Seit gestern bin ich nicht nur ein erfolgreicher und von den Frauen geliebter Bestsellerautor, sondern auch ein erfolgreicher und von den Frauen geliebter Politiker. Ja, Sie haben richtig gelesen. Ich bin ein Teil der politischen Landschaft geworden. Als Mitglied der Partei DIE PARTEI möchte ich mich in die politischen Entscheidungsprozesse einbringen. Und dies so rasch wie möglich.

Ich bin das, was Sie, liebe Leserinnen und Wählerinnen, schon lange gesucht haben, nämlich ein Spitzenpolitiker, der nicht nur gut aussieht, sondern für den Worte wie Korruption und Lobby keine Fremdworte bleiben sollen. Ich will diese Worte hegen, pflegen und in die Tat umsetzen. Denn daran mangelt es in den heutigen Zeiten. An der Tat. An der Umsetzung. An der Unmittelbarkeit.

Bis es soweit ist, werde ich meinen Corpus bräunen, auch wenn er mehr der Blässe zugeneigt scheint, was auf meine adligen Ahnen schließen lässt. Ich entstamme einem nordischen Genpool, aber so etwas sollte ungesagt bleiben, sonst wird man rasch ins rechte Lager gesteckt, in das ich sicherlich nicht gehöre. Warum? Weil ich ein Feind aller Gruppen bin, die ich nicht anführe. Daher bin ein Feind der Islamisten, der Christen, der Juden, der Buddhisten, der Deutschen, der US-Amerikaner … Die Liste ist schier unerschöpflich.

Ich werde nun meine Meerschaumpfeife in mein Mündchen stecken, um Hagenbecks Mischung No. 78 658 zu schmauchen.

Guten Morgen, Welt!

Partei 006

 

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Das linke Ohrläppchen des Satans

Dienstag II

So ein Sonnentag ist ein Tag zum Rumliegen! Sich mal nicht rühren. In der Totenstarrposition verharren. Mal zum Möbelstück werden. Zum Sekretär. Zum Tisch. Zum Vorleger. Den anderen vorliegen, wie man richtig liegt. Aufliegen muss der Körper. Ganz flach auf dem Sofa aufliegen. Und dann mit den Gedanken fliegen. Hoch hinaus. Mindestens bis zur Sonne. Links daran vorbei. Und dann Richtung Unendlichkeit. Und drüber hinaus, weil die Unendlichkeit noch nicht weit genug ist. Man hat ja Zeit. Abendessen gibt es noch nicht. Nicht mal eine Zwischenmahlzeit. Dafür eine Zwischenlandung, eine hirnmäßige, auf dem Planeten der Geräusche. Da bekommt man einen satten Rausch von all den Geräuschen. Mähdreschergeräusche. Und die vom Vogel, der im Zimmer in seinem Käfig sitzt. In der Küche rührt die Frau in einer Schüssel. Die elektrische Pfeffermühle quickt. So ist das, wenn man aufliegt und via Kopf zum Geräuschplaneten gereist ist. Eine Menge an Geräuschen. Keine Menschenseele zu sehen. Auch keine von einem Außerirdischen, der dort ein Innerirdische ist, während du ein Außerirdischer bist. Das Leben dort besteht aus eine schier unsinnig großen Ansammlung von Geräuschen. Da sind welche, die sich waschen. Und welche, die sich für die Arbeit fertig machen. Das muss schon sein. Man kann nicht an die Arbeit, ohne sich fertig gemacht zu haben. „Drecksau! Nichtswürdiger! Unhold! Sträfling! Arschloch!“ Immer schön drauf. Immer schön fertigmachen. Ist das geschafft, geht es ab an die Arbeit, während man selbst aufliegt. Auf dem Sofa. Was will man denn sonst an einem solchen Tag machen? Einem solchen Sonnentag. Sich ausstrecken. Zur Strecke werden. Zur Fahrbahn für Gedanken und Träume. Zur Start- und Landebahn für Worte. Probeliegen für den Sarg. Für das endgültige Aus! Abschalten. Totstellen. In der Sonne liegen und die Leber beweinen. Mengen von Wein, damit man wächst und gedeiht.

Und aufs Hirn schlägt sie auch, die Sonne. Klar!

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Funkenmariechen des Todes

Der Donnerbalken im eigenen Auge (Leseprobe aus einem Regionalkrimi)

Das Dorf liegt noch im Schlaf. Man schnarcht sich durch das Weltgeschehen. Kein Wunder, sind die Einwohner doch nicht besonders aufgeweckt. Müde sind sie, weil sie gefeiert haben. Ein Feierabend war das. Da haben sich die Balken gebogen, die Kunstpalmen. Das Bier ist in Übermaßen geflossen, flussweise ist es in die Münder geronnen. Versickert, als wären es keine Körper, sondern Böden, staubige Erdböden in einem weit entfernten Wüstenkaff.

Jetzt wird ausgeschlafen, damit man wach ist. Da kann man ohne schlechtes Gewissen gerne mal ein bis drei Stunden an den gewöhnlichen Schlaf dranhängen. Die Kühe freut es nicht. Die Euter platzen bald. Egal. Nach dem Suff, muss den ausgemergelten Leibern eine gewisse Entspannung vergönnt werden. Später wieder Arbeit. Zum Feierabend feiern. So geht es seit Generationen. Da hat sich noch jeder mit Fleiß ins Grab gesoffen.

Heute wird es eine Überraschung geben, weil es eine Tote gibt. Die liegt bei Meiers im Wohnzimmer. Die Kehle durchtrennt wie eine schlechte Angewohnheit. Weg mit dem Kopf. Hinaus in den Garten. Vielleicht wachsen da andere Köpfe. Man sät, was man erntet. Heißt es doch im deutschen Bauernjargon.

Hat der Ernst Maier seine kopflose Frau erst entdeckt, wird es zu einer Schreierei kommen, die sich gewaschen hat. Brüllen, bis der Notarztwagen eintrifft. Der kann den Tod feststellen, sich über die Leich beugen und sagen:“Tot!“

Das sind eben Feststellungskünstler in so einem Notarztwagen. Beugen sich über ein zersprengtes Körperwerk und verzeichnen: „Kopf fehlt!“

Ist dann erst die Polizei im Dorf, wird es hin sein mit der Ruhe. Polizisten sind eh eine Plage. Landauf, landab. Keiner will sie haben. Sollte das eigene Leben allerdings einmal in Hochnot schweben, könnte der Ruf nach den Uniformierten rasch erklingen. Da ist man nicht so, sondern sich selbst der Nächste.

Dieses Verbrechen wird nicht so einfach abgehandelt sein. Es wird eines Detektivs bedürfen, der sich des Falls annimmt, weil eine Leich im Dorf, lässt auf einen Mörder im Dorf rückschließen.

Eduard von Hofmann wird sich des üblen Verbrechens annehmen. Extra aus der Kleinstadt, in der sein Büro einliegt, wird er anreisen, um das fürchterliche Aussehen der Frau Maier mit einer Erklärung zu versehen.

Aber noch weiß niemand im Dorf von Umtrieben und von Aufständen, von Verdächtigen, von der kleinen Alkoholsucht und der kleinen Scheidung des Privatermittlers, weil noch der Schlaf der Unseligen vollzogen wird.

Wer gesoffen hat, der hat ein Recht auf seinen Ausschlaf. So ist das, so wird das ewig sein.

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Funkenmariechen des Todes

Ein wahrhaft schwarzer Sonntag

Jetzt sind wir aus Kleinlüder zurück. Familienbesuch. Man wohnt neben der Kirche, so wie es sich gehört.

Taucht ein Dämon auf, kann man ihn gleich an seinen Feuerhaaren vor den Altar schleifen und opfern. Kann ihm auch im Weihwasserbecken die Bösartigkeit aus den Lungen quetschen. Die Kirche vor der Tür ist eine unabdingbare Notwenigkeit. Der Parkplatz des Gläubigen sozusagen. Ganz normal, dass man nach der Arbeit schnell mal in der Kirche verschwindet, um Gott zu bitten, dass es nächsten Samstag mit dem Lottogewinn zu klappen hat. Der plötzliche Unfalltod des Vorgesetzen steht außerdem auch noch aus.

Hat man keine Kirche, neben der man wohnt, sollte man sich eine zum Aufblasen besorgen, damit man zwischen Abendbrot und Tatort im Beichtstuhl die Verfehlungen des Tages einer Priesterpuppe ins Ohr flüstern kann. (Aber Vorsicht, es könnte geschehen, dass sie wegen eines Loches in ihrer Außenhaut mit einem Pfeifen in sich zusammensackt. Die Pfarrer sind nicht mehr das, was sie mal waren. Luftlose Wesen, die – wie es scheint – längst mit ihrer Berufung gebrochen haben.)

Und jetzt sitze ich hier und lese von den 10% für die FDP. Da soll man nicht den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren, wenn die Sendboten Satans so eindeutig von seinen Jüngern an die Schalthebel der weltlichen Macht gewählt werden. Alle Vorwürfe, die ich dem Priester, der bei uns eine Art Puppenkirche bewohnt, ein Haus aus Pappe, das ich im Baumarkt kaufte, vor seinen schwarzen Lackschuhe werfe, bleiben von ihm unbeachtet. Sein Papierkörper wackelt hin und her. Der wird nicht im Fegefeuer schmoren, sondern bald schon im Ofen der Familie in Kleinlüder.

Kein Tag für mich. Ein wahrhaft schwarzer Sonntag.

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Funkenmariechen des Todes

Wo Gott einen Tischfußball aufstellt, da muss er mitten unter den Menschen sein

An Sonntagen geht der Fuldaer in die Kirche. Früher war das so. Der Vater streifte sich seinen Mantel über, klopfte ihn ab, als müsse er sich selbst auf Schusswaffen untersuchen. Er nickte seiner Frau zu, die das verstand, obwohl sie es nie verstand. Es war ein sonntägliches Vor-der-Kirche-Nicken, das der Vater schon bei seinem Vater beobachtet hatte, und der bei seinem Vater. Die ganze Ahnenkette hinunter bis zum ersten Vater haben sie ihren Frauen zugenickt, die es mit einem stoischen Blick hinnahmen. Es wird schon etwas bedeuten, werden sie alle gedacht haben. Nie hat das Nicken etwas zur Folge gehabt. Warum also nachfragen, wo es sich so offensichtlich um einen genbedingten Defekt handelt.

Man ist dann zur Kirche gewallt. Der Vater mit seiner Frau, vor ihm die Kinder, damit man sie ihm Blick hat. Ein Kind ist eine Gefahr für einen Kirchgang. Stets kommt es auf eine dumme Idee, stellt es sich wie ein Kind an, sodass der Vater dem Kind, wenn es nicht hört, eine Gemeinheit ins Ohr flüstern muss, damit es spurt. So ein Kind, beobachtet man die Erwachsenen, kann nicht von Gott erfüllt sein, denn der macht die Glieder seiner Gläubigen steif. Er lässt sie ernst dreinblicken. Wenn man sich die Katholiken ansieht, muss man davon ausgehen, dass Kinder nicht im Plan Gottes vorgesehen waren. Es muss sich bei ihnen um einen Fehltritt handeln. Um eine Prüfung. Um einen Streich. Gott muss an dem Tag, als er die Kinder erschuf, einen über den Messwein getrunken haben. Sonst hätte der Katholik (ein Wort, das wie nach krampfartigen Darmschmerzen klingt) nicht so ein Problem mit ihnen. Und das er da einen Handlungsbedarf sieht, kann man inzwischen beinahe wöchentlich in einer Zeitung lesen. Die ganzen sexuellen Übergriffe, das ist ein schlimmes Thema.

Keins für einen Sonntag. Denn der ist heilig, auch wenn ich selbst längst aus der Kirche ausgetreten bin, nicht aus einem bestimmten Gebäude, sondern aus der Glaubensgemeinschaft. Jetzt bin ich draußen, und ich höre schon welche vor meinem Rücken laut reden, dass es kein Wunder sei, dass ich solche Verleumdungen über den Katholiken aufschreibe, wo ich als Ehemaliger bestimmt noch eine Rechnung offen habe. Das ist Unsinn, weil ich mich als Kind wohl gefühlt habe im Schoß der Kirche, die bei uns mit einem Tischfußball ausgestattet war. Wo Gott einen Tischfußball aufstellt, da muss er mitten unter den Menschen sein.

Die Zahlen der praktizierenden Kirchgänger, der Mitglieder, die ihren Beitrag vom Staat eingetrieben bekommen, schwindet, da muss man nicht mal mehr genau hinsehen. Die Kirchen werden leerer, auch die in Fulda. Ein Wunder ist das, zumal Gott hier mindestens seinen Zweitwohnsitz hat. Hier werden beinah wichtige Entscheidungen von der Bischofskonferenz getroffen. Auch die, dass es keine Rückkehrmöglichkeit für gefallene Engel wie mich geben darf. Ausgetreten ist ausgetreten. Recht so. So ein Glaube ist ja ein tiefempfundenes Gefühl, und kein Schluckauf, der vergeht, wenn man sich erschrecken lässt oder die Luft anhält. Hat man sich erst einmal, wie ich das tat, dazu entschlossen, den Pfaden Satans zu folgen, kann man mich nicht in geweihter Erde begraben. Das würde den gesamten Friedhof verseuchen. Am Ende sickert das Böse von Sarg zu Sarg und infiziert die selig Gestorbenen. Große Gefahr.

Jetzt war ich heute Morgen eine Zigarette auf dem Balkon rauchen. Das mache ich so nach dem Aufstehen. Das kommt – wer weiß – von meinem Kirchenaustritt. So ein gesundheitsschädliches Verhalten könnte eine Spätfolge sein. Wie ich da auf dem Balkon stand, blickte ich mich um, und sah lauter Fenster, bei denen die Jalousien noch unten waren. Die Autos standen vor den Häusern. Keine Bewegung auf der Straße. Da kam mir der Gedanke, dass die alle hier nicht zur Kirche gehen. Das mag natürlich Zufall sein. Einer der undurchsichtigen Winkelzüge Satans, der mich in eine Straße hat ziehen lassen, in der sich sämtliche Fuldaer Kommunisten und Atheisten sammeln.

Es könnte auch sein, dass der Glaube Probleme hat. Selbst hier bei uns. (Das Unterhaltungspotential ist flöten gegangen. Früher hat Bischof Dyba wenigstens noch im Minutentakt die Glocken wegen irgendwelcher Verfehlungen läuten lassen. Krach schlagen, war seine Devise. Und heute? Man hört nichts. Nicht mal eine Castingshow, um sich des Problems des schwindenden Priesternachwuchses anzunehmen, ist geplant.)

Ich muss das jetzt abbrechen, weil ich mich um meinen Kaffee kümmern muss.

Wir lesen uns, so Gott will.

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Funkenmariechen des Todes

Ein Apfel und ein Ei

Weil Samstag ist, waren wir beim Chinesen. Da bekommt man das Mittagsbuffet für einen Apfel und ein Ei. Und eine Aussicht hat der Chinese über Fulda. Fürchterlich, weil überhaupt nicht vorhanden. Nur Dächer.

Ich sitze da und stelle mir vor, wie Cary Grant über die Ziegel rutscht. Bei Dächern denke ich immer an Cary Grant. Ist eine Filmunart. Filme haben mich versaut. Nicht nur moralisch. Auch die Sicht auf die Welt. Oder eben die Dächer von Fulda.

Wir haben gegessen. Zehn Teller voll. Für einen Apfel und ein Ei muss man rausholen, was in den Töpfen drin ist. Bei unserer finanziellen Lage gibt man nicht oft einen Apfel und ein Ei her. Die isst man selbst. Muss ja irgendwie satt werden. Obwohl Unterernährung nicht mein Problem ist.

Glücksbotschaften bekommt man auch gereicht. In English. And in Deutsch. Damit man weiß, wie die Zukunft verläuft. Auf meiner stand keine Prophezeiung. Eine Warnung war es, dass ich mit meinen Kräften haushalten solle. Meine Frau bekommt laut Keksinnenleben Gegenliebe für ihre Liebe. Und das alles für einen Apfel und ein Ei.

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Guldaer Notizen (9)

Seit Stunden regnet es in Gulda. Das wird ein böses Ende nehmen, raunen die Leute. Ängstlich verbergen sie ihre Häupter unter Regenschirmen. Entdecken sie eine Pfütze, dann schreien sie entsetzt auf und informieren die Städtischen Wasserwerke, damit man sich rasch um den entstandenen Wasserschaden kümmern kann.

Sie stürmen in die Kirchen, beten um Vergebung, bitten darum, ihnen alles zu verzeihen. Anschließend rasen sie noch in die Moschee, in die Synagoge. Alle Götter, so ahnen sie, regnet es inzwischen doch bereits unglaubliche sechs Stunden, müssen besänftigt werden, wenn es sein muss, auch mit einem Opfer.

„Nehmt dieses Kind!“ schreit ein verzweifelter Vater.

Der Beifall der Menge, die ihn auffordert, den Worten die Tat folgen zu lassen, ist ihm Bestätigung, diesen Vorschalg nicht gedankenlos geäußert zu haben.

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Funkenmariechen des Todes

Äpfel aus Papier

Das Studio des Künstlers ist ein Allesraum, in dem nicht nur Kaffee getrunken wird. Es gibt dort ein altes Tonband, auf dem die Stimmen toter Vögel gefangen sein könnten. Ein Ofen schmachtet den Fremden aus der Ecke an. Überhitzt vom Feuer strahlt er siegreich in den Raum. Ein Wettkämpfer ist er, der das Holz verzerrt, der es kaut, bis es irgendwann schwarz aus seinem Maul bröseln wird. Davor sitzen und sich einem Roman, der in der Kälte spielt, in einem Regenland, einer Regenstadt, London bietet sich an, hingeben, um dann den Tropfen zu lauschen, die wie tausend tote Käfer auf das Blechdach prasseln und vom nahen Weltende künden. Hier ließe sich alles ertragen. Hier könnte man es aushalten, könnte den verkündeten Untergang aussitzen.

Bilder an der Wand, nicht zu mächtig, damit sie einen nicht erschlagen, nicht zu schmächtig, damit man sie nicht übersieht. Bilder, die zu Freunden werden könnten. Verschiedene Posen, Gesichter, die nicht in das Studio blicken, damit man sich nicht beobachtet fühlt. Alles ist so, als wäre es bereits vor Urzeiten eingerichtet worden, als hätte es nur darauf gewartet, besetzt und belebt zu werden.

Ein Kind, des Künstlers Tochter, springt zu seinem kleinen Tisch, der für das Kind nicht klein ist. Er hat die rechte Größe, denn Größe wird durch den Blickwinkel bestimmt. Im nächsten Moment steht das Kind neben mir und reicht mir einen Apfel aus Papier, einen Schlüssel, der eine geheime Truhe aufschließt. Ganze Länder würde ich darin finden. So das Kind, dem man an den Augen ablesen kann, dass es die Welt noch so sieht, wie man sie sehen sollte. Voller Geheimnisse, voller Truhen mit Ländern, voller Äpfel aus Papier, die hier zu jeder Jahreszeit wachsen und fallen. Dieses Kind erntet jederzeit.

Und später graben wir uns in unsere dicken Jacken und schlüpfen in die Nacht, im Rücken die Lichter des Studios, in dem bereits neues Obst an unsichtbaren Bäumen sprießt.

Wir brausen durch die Dunkelheit, hin über den nassen Asphalt, und schmecken noch eine Weile den Papierapfel auf den Lippen.

 

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Funkenmariechen des Todes

Gespräch über die Landschaftseinheit mit dem amtlichen Kennzeichen 28.11.2012

Heute steht ein Gespräch an. Es wird darüber zu sprechen sein, wie das Gespräch in nicht mehr ganz zwei Wochen verlaufen könnte. Die Wege des zukünftigen Gesprächs werden großzügig abgesteckt. Fragen werden zu klären sein, weil es Antworten geben soll. Dort in der Zukunft, im Gespräch, das es noch nicht gibt. Bei einem Kaffee wird abzuklären sein, was ich erklären könnte. Welche Höhen sollen begangen werden? In welche Spalten sollte man steigen? Es wird heute zu einer ersten Gesprächstour kommen, zu einem Ablaufen der möglichen Zielpunkte. Man könnte Fähnchen hinterlassen, um die Punkte, die man erläuft, wiederzufinden. Ist eine Stelle aufzusuchen, von der die Aussicht besonders schön ist?

Nicht nur die Gesprächswanderung ist auf einer Karte zu vermerken. Der Ort, der in der Zukunft liegt, will beschrieben werden, damit man ihn findet, wenn die Stunde gekommen ist. Worte, die fallen werden, existieren bereits. (Das ist bei Lesungen so.) Ich habe sie schon vor einiger Zeit in einen Textrucksack gepackt, den ich an diesem Abend in der Zukunft vor der mir folgenden Gruppe entpacken werde. Satt wollen sie werden. Wir werden sehen.

Es gibt alle Landschaften der Zukunft bereits. Sie befinden sich in einer unaufhörlichen Bewegung. Erd- und Gefühlsbeben formen sie noch.

Berg- und Taltouren, auch die in die Ebene, können im Grunde nicht geplant werden. Und doch sitzt man dem Versuch stets aufs Neue auf, die Zukunft vor dem Betreten ausloten und bestimmen zu wollen.

Grobes kann gesagt werden. Drum werde ich mich heute einem Gespräch über die Wetterbedingungen, die Abgründe und Stolperfallen hingeben, die mich in der Landschaftseinheit mit dem amtlichen Zeichen 28.11.2012 erwarten könnten.