Ein merkwürdiger Beginn
Glock, der berühmte Schriftsteller, trat ans Fenster. Er nuckelte an einer Pfeife. Draußen fuhr eine Droschke vorüber. Er wohnte seit Wochen in der Baker Street 221a.
„Ich denke“, sagte er plötzlich.
„Seit wann denkst du? Das wäre ja mal etwas ganz Neues.“
Die Frau, zu der die Stimme gehörte, saß im Hintergrund, verschluckt von einem Schatten, den das gewaltige Bücherregal neben ihr warf, und stopfte eine Socke.
„Du solltest nicht so reden“, sagte Glock.
„Ich rede, wie es mir passt“, sagte Mathilda, seine Frau, die er vor – Glock musste überlegen – sieben Tagen geheiratet hatte. Wie hatte er das nur tun können? Der Teufel musste ihn geritten haben. Ein Teufel? Nein! Mehrere.
„Ich denke“, setzte er von Neuem an, „ich denke, dass ich einen Roman schreiben werde. Keinen dicken Roman, sondern ein schlankes Heft für das Schundbüro. DPR, du hast ihn auf unserer Hochzeit kennengelernt, Kleines, hat mich gebeten, etwas für ihn zu schreiben, und ich denke, dass ich auf den Vorschlag eingehen werde.“
„Schreiben, schreiben, immer nur schreiben. Mir wäre es lieber, wenn du endlich einmal deinen ehelichen Pflichten nachkommen würdest. Dieser PPR, oder wie er heißt, stopft nicht deine Socken.“
Glock zog nachdenklich an seiner Pfeife und beobachtete eine junge Dame, die eben im Begriff war, die Straße zu überqueren. Ein junge Mann folgte ihr.
„Könnte er nicht auf einer Straße beginnen?“
„Was?“
„Mein kleiner Roman.“
„Scheißidee. – Besser wäre es, er würde in einem Schloss spielen und von einer verwunschenen Prinzessin erzählen, die an einen impotenten Schriftsteller geraten ist.“
„Reite nicht immer darauf herum, Mathilda!“
„Worauf?“
„Auf unserem Sexualleben.“
„Das muss ich ja. Du machst es ja nicht.“
Glock trat zu seinem Ohrensessel. Er schlug die Seiten seines Morgenmantels nach hinten und setzte sich.
„Es sollte ein Krimi werden, Mathilda. Ich bin für meine Krimis berühmt geworden.“
Mathilda verdrehte die Augen. Glock, der arme Schriftsteller, sah es zum Glück nicht.
„Du bist für deine Erfolglosigkeit berühmt geworden. – Mama hat recht gehabt. Ich hätte dich niemals heiraten sollen. Ich hätte das Angebot des Kritikers Thomas Thams annehmen sollen. Er hätte mir alles bieten können, wonach eine Frau verlangt.“
Glock verschluckte sich am Rauch und hustete.
„Thams … Gutes … du … bist verrückt. Thams ist unersättlich.“
„Vielen Dank“, sagte Mathilda, „jetzt sehne ich mich noch mehr nach ihm.“
„Schweig von diesem drittklassigen Kritiker, der dem Erfolg wie ein Kind dem Eismann hinterherläuft. – Mein Roman …“
“ … wird ein kolossaler Misserfolg werden. Ich werde mich scheiden lassen und du kannst nicht mal meinen Unterhalt zahlen.“
Glock schluckte. „Du willst dich scheiden lassen, Darling?“
„Ich muss und werde mich scheiden lassen. Wir sind schon viel zu lange verheiratet.“
„Es sind erst sieben Tage.“
„Was? Schon ganze sieben Tage! Gott, wie die Zeit vergeht. Da sitze ich hier und bin alt neben dir geworden. Sieh dir nur meine Falten an!“
„Sieben Tage. Das ist gerade einmal eine Woche.“
„Alt!“
Mathilda legte den Strumpf zur Seite und drückte sich aus dem Sessel nach oben. Sie machte einen Schritt, sodass Glock ihr Gesicht sehen konnte.
Glock biss die Zähne zusammen. „Zugegeben“, murmelte er, „du bist alt geworden.“
„Das sage ich doch. – Hier“, Mathilda zeigte auf ihre Beine, „ist alles voller Krampfadern. Und einen Buckel habe ich in der Woche auch bekommen.“ Sie lief ein paar Meter. Glock konnte es nicht fassen. Sieben Tage hatten genügt, ihr einen Buckel wachsen zu lassen.
„Aber Darling“, sagte Glock, „den Buckel hattest du vor sieben Tagen noch nicht!“
„Du hast mich zerstört. Das ist die Wahrheit.“
„Ich werde alles wieder ins Reine bringen. Ich werde den Roman für das Schundbüro schreiben, und dann lassen wir den Buckel und die Krampfadern entfernen.“
„Aha! Schönheitsoperationen! Bekomme ich auch wenigstens größere Brüste.“
Glock war erstaunt. „Ja, bist du denn mit deinen nicht zufrieden?“
„Ich war mit ihnen zufrieden“, erwiderte Mathilda. „Aber sie wurden in diesen sieben Tagen zerstört.“
„Jetzt übertreibst du wirklich!“
Mathilda nahm ihre Brüste in die Hände, die wie zwei schlaffe Schläuche über ihren Knien hingen. Sie versuchte es zumindest, scheiterte aber daran.
Stunden später saß Hans I. Glock. der berühmte Schriftsteller, der in der Baker Street 221a wohnte, vor seiner Schreibmaschine. Es wollte und wollte ihm nichts einfallen. Um was könnte es gehen? Eine Handlung musste her. Könnte der Roman sich um die Sinnlosigkeit des Daseins drehen? Vielleicht.
Er könnte sich wie ein Musiker treiben lassen. Von den Worten. Den Sätzen. Mal keine Rücksicht auf die Leser nehmen. Obwohl er das eh nie tat.
Glock nahm einen Zug von seiner Pfeife und wollte eben anfangen zu tippen, da hörte er hinter sich ein Keuchen. Er drehte sich langsam um und erblickte das Gesicht seines toten Vaters.
„Daddy?“, sagte Glock erstaunt. „Müsstest du um diese Uhrzeit nicht längst unter der Erde liegen?“
„Verhöhn mich nur“, sagte sein Vater. Die Worte pfiffen aus allen möglichen Löcher, die der Zahn der Zeit in seinem Körper hinterlassen hatte.
„Ich würde dich nie verhöhnen“, sagte Glock.
„Doch. Das hast du schon früher so gemacht. Das hat mich ja auch ins Grab gebracht.“
„Was willst du?“
„Nichts. Ich will dir etwas beim Schreiben zusehen. Schreibst du immer noch ab?“
„Das habe ich nie getan, Vater!“
„Nein, nein“, keuchte die Leiche und kicherte dann. „Nie hat er das getan. Hört, hört, er hat noch nie abgeschrieben.“
Glock drehte sich wieder zur Schreibmaschine und begann zu tippen.
„Ach“, keuchte sein Vater.
Glock unterbrach sich.
„Was ist denn noch?“ fragte Glock ihn.
„Nichts, nichts. – Oder doch! Hättest du eine Zigarette für mich?“
„Nimm dir eine“, sagte Glock und schrieb kopfschüttelnd weiter. Wo beginnen? Auf einer Straße!
Mit den ganzen Leuten im Haus, seiner Frau, seinem toten Vater, würde er eine mehr als schlechte Arbeit abliefern. Egal! Er brauchte das Geld nötig. Und so schrieb er, und er hörte nicht auf, bis das fertige Manuskript am nächsten Morgen in seinem Schoß lag.