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Neues2021

Morgengestolper

1.

Er steht auf. Vielmehr kippt er aus dem Bett in den Morgen. Er lädt sich ab, als wäre das Bett eine Baggerschaufel. Deshalb liegt er auch noch eine Weile auf dem Boden. Aufstehen ist für ihn mehr ein Aufliegen. Er liegt also auf. Streckt sich. Herrlich, so ein Morgen. Seitlich könnten Sonnenstrahlen strömen, wenn es noch nicht zu früh wäre. So sickert Dunkelheit, die er mit dem Deckenlicht so weit flutet, dass nichts mehr von ihr übrigbleibt. Nach einer halben Stunde zieht er sich an der Kommode hoch. Er zerrt sich ins Senkrechte, bis er schließlich seine zwei Füße spürt. Der aufrechte Gang ist über ihn gekommen. Wenn auch langsam.Er schlappt hinüber in die Küche und gähnt. Letzte Schlafrückstände müssen aus dem Körper gepresst werden. Er schreit sie mit einem leicht debil klingenden Geräusch in die Welt. Für einen Moment sieht er wie dieses berühmte Gemälde von Munch aus. Nur ohne Brücke.Er tappt wie ein Zombie zur Kaffeemaschine hin, zum Antrieb, zum Motor, der ihn in Gang bringen soll. Der Motor muss mit Treibstoff gefüllt werden. Also hinein mit dem Kaffeepulver, dem Wasser. Eine explosive Mischung. Er betätigt den Schalter und schon röchelt der Motor vor sich hin. Er klingt so alt, wie er sich fühlt.Drei Schritte hin zum Küchenstuhl. Er plumpst hin. Gerettet. Länger kann in diesem Zustand kein Mensch am Stück um diese Uhrzeit stehen.Und nun wartet und kuckt er, wie der Motor das Schmieröl produziert, das er in seinen Tank füllen wird, um in den Tag hinein zu rasen. Rasen nicht. Er ist ein Gefährt mit wenigen PS.Die Augen halboffen, stolpert sein Blick in der Küche umher, bis er schließlich fällt. Er ist eingeschlafen. Zu viel Stress um solch unheilige Zeit.

2.

Er steht im Jogginganzug vor dem Haus. Bereit für den Morgenspaziergang. Der Anzug soll ihm einreden, er sei sportlich. Dabei hasst er es. Aber das Laufen gaukelt ihm vor, er könne vor dem Tod davonlaufen. Es redet ihm ein, er habe etwas getan. Also bereitet er einen ersten Schritt vor. Immer in Bewegung bleiben. Nicht stagnieren. Agil bleiben. Der erste Schritt ist noch nicht ausgeführt, da kommen ihm Zweifel. Was, wenn es kontraproduktiv ist? Wenn dies genau hier und jetzt zu einem Herzinfarkt führt? Er verharrt. Wird zu einem grünen Ampelmännchen. Zeigt an, ihr könnt alle gehen. Ich bleibe. Er überprüft sich. Horcht in sich hinein. Ist das nicht ein Stolpern? Ein Herz, das aus dem Takt geraten ist? Er nimmt den Schritt langsam zurück. Langsam. Ganz langsam. Keine unachtsame Bewegung mehr. Er zieht sich an die Tür zurück, schließt auf, taumelt in den Flur. Das ist ja noch einmal gutgegangen, denkt er. Und atmet erleichtert auf, bis ihm einfällt, dass er noch 16 Stufen hinauf zur Wohnung bewältigen muss. Wie soll er das denn schaffen? Er muss warten, bis wer kommt, der ihm hilft.

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Abgesagt

Da steht er. Die Hand am Gürtel. Sein Blick in der Ferne. Heute will er es tun. Unbedingt. Das Leben hat ausgedient. Er will nicht mehr. Alles so schal und leer. Er wird es wegwerfen. Zusammenknüllen und auf die Schienen vor sich werfen. Ja, wo bleibt denn der Zug, wenn man ihn mal braucht? Er blickt auf seine Uhr. Sein Handy. Seine Augen suchen den Horizont ab. Würden es, wenn der nicht so verbaut wäre. Katja wird sich schon noch wundern. Wenn sie ihn erst finden, wird sie merken, dass sie ihn nicht so … Ist das der Zug? Das ist das Fatale in diesem Land. Hier muss man als Selbstmörder Geduld haben, wenn man die Bahn benutzt. Und dann fällt es ihm ein. Die streiken ja. Mist, schießt es ihm durch den Kopf. Die Füße sind längst durchgefroren. Da holt man sich ja den Tod, denkt er. Schüttelt den Kopf und geht. Er wird Katja schreiben, dass es mit ihm beinahe kein gutes Ende genommen hätte. Wegen ihr. Er wird darauf hinweisen, dass er, hätte es keinen Streik gegeben, aus bekannten Gründen das Leben verlassen hätte, nun aber bleiben wird, um eine Erkältung, er vermutet, dass eine auf dem Weg ist, auszukurieren.

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Tod eines Regentropfens

Als es losbricht, als sie sich lösen, sagt ein Tropfen namens Kai zu ihm: „Du musst loslassen, musst dich fallen lassen, musst ganz Teil dieses Absturzes werden.“ Und im nächsten Augenblick springen sie, der Regentropfen, den sie Uwe nennen, ziert sich, hält sich an einem anderen (Jan?) fest und will ihn überzeugen: „Ein Tandemsprung kann nicht schlimm sein.“ Sie taumeln, sie spüren die Gravitation, die an ihren „Füßchen“ zerrt, es ist so großartig, denkt Uwe, man fühlt sich so frei, da platzen sie bereits einem Kind ins Gesicht, direkt auf die Stirn, das Tandem wird getrennt. Uwe zerreißt es. Ein Teil seines Körpers kann er schon gar nicht mehr sehen, der hängt an der Nase des Kindes. Der Rest von ihm wird in ein Tuch gewischt.

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Über Billigflieger bei Tabuk Air

Als wir in den tabukischen Luftraum eintreten, muss ich austreten. Ich suche das stille Örtchen. Aber es ist nirgendwo zu finden. Kann das sein?

Ich erkundige mich bei der Stewardess, die mir mitteilt, dass in den Billigfliegern von Tabuk Air keine Toiletten eingebaut sind. Man spart bei den Flugzeugen, wo es nur möglich ist.

„Es gibt keinen Ort, wo ich mich erleichtern kann?“

„Nein“, sie schüttelt verneinend eine Flasche Wasser.

Ich wippe, weil der angestaute Urin nach Bewegung verlangt.

„Wir haben eine kleine Tanzfläche“, erklärt sie mir.

„Unser Alleinunterhalter Alfons erwartet Sie.“

Ich überlege kurz, spüre aber, dass ich ein Tänzchen wagen muss. Als ich auf die Tanzfläche trete, dröhnt von der Seite die Stimme von Alfons: „Willkommen, mein tanzwütiger Freund!“ Im nächsten Moment lässt er seine Orgel dröhnen. Schrecklich. Weil ich aber so dringend muss, bewege ich mich zu den schaurigen Terrorklängen. Alfons blinzelt mir zu, als sich ein weiterer Tänzer zu uns gesellt.

„Sie müssen auch?“, fragte ich einen älteren Herrn im Anzug.

„Ich muss tanzen. Ich fliege seit Jahren, wenn ich weiß, dass Alfons die Orgel bedient.“

Ja, denke ich, bedient bin ich auch. Sparen beim Klo, aber eine Tanzfläche haben sie.

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Kein Hobby

Du weißt, sagt Achim, dass ich immer schon Zahnarzt werden wollte. Er steht vor dem offenen Fenster und beobachtet den Himmel, der so blau ist, dass er für Sekunden Angst hat, sich darin zu verlieren. Zahnarzt, sagt er noch einmal, dieses Mal etwas nachdenklicher, als würde er einer Erinnerung nachhängen, während Sarah ihn vom Sofa aus beobachtet und sich fragt, warum er aus seinem Hobby nun unbedingt einen Beruf machen muss, wo er doch so viel Spaß hat, in seinem Keller die Nachbarn zu untersuchen, sich über ihre offenen Münder zu beugen, um sie mit einer Spritze schmerzunempfindlich zu machen, was bitter nötig ist, bohrt er erst. Ach, sie hat sich an das Geräusch des Bohrers so sehr gewöhnt, dass sie es vermissen würde, wenn er nach der Arbeit am Bau, in seine Praxis geht, um sich seinem geliebten Hobby hinzugeben. Und er hat, das muss sie sagen, und alle gestehen es ein, er hat so viel Gutes bewirkt, hat Zähne gezogen, die bestimmt irgendwann einmal zu Sorgenkindern geworden wären, zu kleinen garstigen Kindern im Mund, die gequengelt und genörgelt hätten, sodass man sie eh hätte ziehen müssen, obwohl ihr jetzt, da sie es denkt, das Beispiel mit den Kindern etwas obszön vorkommt, zumal sie doch selbst keine haben. Sie wischt sich eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich nicht recht bändigen lässt, die sich immer und immer wieder vor die Stirn schiebt, wie ein defekter Scheibenwischer. Achim, lass es doch, aber Achim, der den Himmel mit seinen Blicken löchert, der hofft, etwas darin zu entdecken, was hinter all dem Blau lauert, nämlich die Schwärze des Weltalls, die Abgründe des Universums, will es nicht lassen, er möchte den Job beim Bau aufgeben, um sich endlich voll und ganz der Zahnarztheilkunde zu widmen, weil es für ihn eben nicht nur ein Hobby, sondern vor allem eine Passion ist.

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Aus dem Tagebuch Ulf Uschmanns

12.01.2021: Wir fanden heute beim Betreten des Hauses das Treppenhaus nicht vor. Wegen Wartungsarbeiten sei es ausgebaut. Das Knirschen der Stufen müsse nachgestimmt und das Treppengeländer gefettet werden, um die Geschwindigkeit, rutscht man darauf hinab, zu erhöhen. Die Stufen seien nicht in der richtigen Reihenfolge vorgefunden worden. Dies werde nachgebessert. Bei Wanderstufen sei stets mit einem Wechsel innerhalb der Stufenordnung zu rechnen. Man bat uns, derweil ein anderes Treppenhaus zu benutzen.

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Demnächst erhältlich

Text der Verlagsseite:

Double Noir: SUPER PULP Mondo Fiction bringt zwei rabenschwarze Kurzromane von Guido Rohm – in einem Band!

In „Fleischwölfe. Der Roman zum Film“ erzählt der Autor, wie die grausamen Verbrechen eines Menschenfresser-Klans irgendwo in einer strahlenverseuchten Wüste zur Kinofiktion und schließlich zum literarischen Splatter-Text gerinnen; während es in der Noirvelle „0“ um Protagonisten und -innen geht, die sich unabhängig voneinander in Luft auflösen, deren Schicksale jedoch auf geheimnisvolle Weise miteinander verknüpft sind …

„Normale Mordfälle sind nicht der Fall von Guido Rohm. Der Mann aus Fulda schreibt freche, harte Texte, die allen Gewissheiten des Krimis widersprechen.“ Thomas Klingenmaier (Stuttgarter Zeitung)

http://www.super-pulp.com

Hier kann man das Buch vorbstellen >>>>Blitz Verlag

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Torben

Dem Nachwuchs zur Warnung

Torben wird mit 19 zum Verbrecher. In einer Seitenstraße bedroht er einen Kerl, der Flyer für eine Disco verteilt.

„Her damit!“, herrscht er ihn an. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, zückt er ein Werbebild von einem Messer und erklärt, dass er ein solches in der Hosentasche habe und bereit sei, es zu benutzen. Der junge Mann, froh, so schnell alle Flyer an den Mann gebracht zu haben, übergibt sie bereitwillig.

Torben stopft sich die Beute vorne in die Hose und stürzt davon. Nur weg hier, denkt er und versteckt sich drei Tage bei einem Freund, der ihm erklärt, dass die Flyer nichts wert sind.

„Unsinn“, sagt Torben. „Die gehören der Disco, denen fehlt das Werbematerial.“

Eine Stunde später ruft er dort an.

„Ich habe Ihre Flyer. Wenn Sie sie zurückhaben wollen, sollten Sie 100 Getränkegutscheine an einer von mir noch zu benennenden Stelle hinterlegen.“

„Arschloch“, sagt eine leicht angetrunkene Stimme. Man legt auf.

Torben ist entsetzt. Sollte er als Warnung einen zerschnittenen Flyer an die Adresse der Disco senden? Es muss ihnen doch etwas daran liegen. Später wird er die Flyer an einem Rastplatz aus dem Auto werfen. Sie landen in einer Pfütze und ersaufen.

Torben fährt traurig davon.

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Szenen für den deutschen Mittelstand

Der neue Wagen

Er hatte ein Auto entworfen und gebaut, das endlich auf einem vollkommen umweltfreundlichen Stand war. Als er es präsentierte, kam es zu Buhrufen, regelrecht zu Tumulten, nur weil er einen Wagen vorstellte, der ganz ohne Motor auskam, weil das Gefährt von Menschen gezogen wurde. Es war nicht nur gut für das Klima, sondern es würde auch noch die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Aber nein, sie sagten, es wäre unmenschlich, sodass er den neuen TURBO HUMAN nicht weiter in Produktion gehen lassen musste. Er war enttäuscht. So viele Versuche mit seiner Familie, die sich nun umsonst abgerackert hatte.

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DU KUNST MICH MAL

DU KUNST MICH MAL Folge 11

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DU KUNST MICH MAL

Du kunst mich mal – Folge 8

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Mischmasch

Editorische Meisterleistung soeben erschienen

Lieber Peter,
nur kurz die Mitteilung, dass ich keine Zeit habe, dir zu schreiben.
Hans

Lieber Hans,
wunderbare Nachricht.
Peter

Lieber Peter,
ich sehe mich außerstande dir zu schreiben.
Hans

Lieber Hans,
das ist schade, schafft mir aber Zeit, mich um andere Dinge zu kümmern.
Peter

Lieber Peter,
demnächst mehr.
Hans

Lieber Hans,
ich konnte deinen letzten Brief wegen meines Ablebens leider nicht mehr lesen.
Peter

Aus „Peter Weber/Hans Hothem – Der Briefwechsel (Kritische Ausgabe), erschienen bei Sumpfkamp

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DU KUNST MICH MAL

Du Kunst Mich Mal – Folge III

Herr Rohm und Frau Blum haben sich noch nie gescheut, durch fremde Brillen zu blicken. Man kann dabei viel Befremdliches entdecken und genau das zeigen die beiden in der neuen Folge „Du Kunst Mich Mal“.
Kein Mensch weiß, unter welch widrigen Umständen sie dieses Stück wahre und falsche Kunst gedreht haben. Sie haben der Kälte getrotzt, Anfeindungen und den Verlockungen von dunkler Bitterschokolade. Herausgekommen ist ein Stück Film- und Zeitgeschichte, das sich um nichts anderes dreht als um die bedenklichsten Formen von Grenzüberschreitungen. Ein aktuelleres Thema kann es derzeit nicht geben und auch keine authentischere Live-Berichterstattung.