Es ist noch früh und trotzdem – oder gerade wegen der frühen Stunden, die er so genießt, die ihn sich frisch und tatkräftig erscheinen lassen, so voller Power – sitzt er an seiner Tastatur, vor ihr, so wie vor einem Gebetsschrein, einem Heiligenbildchen, einem Kreuz, um darum zu beten, einen guten Text zu schreiben, eine Passage, die ihm den Tag versüßt, zumal heute Sonntag ist, da haben alle anderen frei, nur er nicht, weil ein Schriftsteller niemals frei hat, denkt er, und überlegt, ob er hier nicht ein Klischee produziert, ob er hier nicht in eins hereinfällt.
Rohm! Das ist seine Name und er flüstert ihn innerlich: Rohm! Und er kann nichts damit identifizieren, kann sich nicht in diesen paar Buchstaben finden, denn das sind sie doch, ein paar Buchstaben und mehr nicht, da ist nur der Sinn, den ich den Buchstaben gebe, die ohne mich keinen Sinn hätten, die sinnlos und blöd in der Gegend herumstehen würden, die paar Buchtstaben: Rohm; zumal das ja falsch geschrieben wäre, wie die Leute gern erwähnen, ROHM muss ROM heißen, sagen sie und erzählen sogleich von ihrem letzten Romaufenthalt und vom Papst und der Papstneuwahl, und das da jetzt etwas geschehen müsse, so gehe es nicht weiter, all die sexuellen Übergriffe, allein bei dem Wort Übergriffe wird Rohm schlecht, aber sie sehen es seinem Gesicht nicht an und schwatzen weiter von Rom und vom Goethe, wie fein der geschrieben habe, und ja, sie hätten alles von ihm, die Gesamtausgabe, die stände neben dem Hesse und die neben dem Konsalik, doch da schlucken sie, den wollten sie nicht erwähnen, dabei hört Rohm von ihm am liebsten, der Konsalik macht sie plötzlich zu Menschen, er würde gerne sagen, reden sie weiter von ihrem Konsalik, ich will davon hören, von den Augenblicken, wenn sie mit einem Buch von ihm, dem Konsalik, im Bett liegen, tief unter der Decke, warm muss es sein und behaglich, weil man doch flüchtet, man sehnt sich nach etwas, will er erklären, das hat gar nichts mit dem Konsalik zu tun und seinen Romanen, die ich gar nicht kenne, müsste er noch nachschieben, die vielleicht einen schlechten Ruf haben, der mir gefallen würde, weil ich viele sogenannte schlechte Bücher mag, ich bin ein Anhänger der schlechten Literatur, würde er den Leuten erklären, die doch lieber von Rom und den Kirchen erzählen würden, von der Kultur, die einem dort an jeder Straßenecke an die Nase springt, an die Nase und in die Nase hinein, der ganze Körper, erzählen sie fiebrig, wird von der Kultur geflutet, eine Stadt, wie ein großer Stall, wo haben sie das nur gelesen, sie können sich nicht erinnern, und auch Rohm wird es bekannt vorkommen, bei Nizon, es könnte in Nizons Tagebüchern gewesen sein, aber er ist sich nicht sicher.
Rohm! Er sitzt stumm vor seinem Bildschirm, die Hände liegen vor der Tastatur, vor seinem Schrein, er will ja beten, er kann es nicht, die Worte für das Gebet fehlen, die Geschichte fehlt, die Idee, und warum, denkt er, warum muss da immer eine Geschichte sein, eine Idee, als ob das Leben nur aus Ideen bestehen würde, aus Geschichten, die eine Spannungskurve habe. Unsinn, denkt er, und denkt an seinen Vater, bei dem die Spannungskurve mit 63 plötzlich ins Grab zeigte, sie fiel einfach ab, die Spannungskurve, ohne je Spannung besessen zu haben, eine gänzlich spanungslose Spannungskurve, weil sein Vater ein Leben in der Vermeidung von Leben geführt hatte; nur nicht leben, hatte sein Vater gedacht, denkt Rohm jetzt und weiß es nicht, nicht sicher, aber er will es denken, weil es seinem Begriff von Wahrheit noch am nächsten kommt, weil er ja eine Antwort auf das Leben seines Vaters bekommen möchte, dass er so nicht versteht. Warum, denkt er, während die Hände noch ruhen, während sie nicht schreiben, keine Silbe, keinen einzigen Buchstaben, nichts, weil sie nicht wissen, was sie schreiben sollen, was sie beten sollen, warum, denkt Rohm, setzt sich einer in sein Haus und rührt sich nicht, warum wird einer zum Tempel für die Angst, für die Angst im Allgemeinen, für die Lebensangst, die ihn so einschüchtert, dass er am liebsten auf seinen vier Buchstaben sitzt und sich nicht rührt. Konsalik könnte er gelesen haben, und warum auch nicht, eine Portion eines Fremdtraums braucht doch jeder, wir wollen doch fliehen, irgendwie, und auch wenn wir uns nie von der Stelle bewegen. Aber so tun, als wären wir geflohen, das wollen wir auch.
Über all das denkt Rohm am Sonntagmorgen nach, während der Kaffee, der neben ihm steht und den er beim Schreiben trinkt, längst kalt geworden ist; nicht weiter schlimm, denkt er, ich werde mir frischen nachgießen.
Er senkt den Kopf und ist ein wenig traurig, weil er wieder nichts geschrieben hat, er hat nicht gebetet, nicht ein Wort, keine Geschichte, keine Idee. Und wenn ich mich schreibe, denkt er, und schüttelt innerlich den Kopf, so ein Unsinn, wieso sollte ich über mich schreiben, weil sie das an den Literaturinstituten lehren, nein, die sollen mal lehren und vermitteln und es gibt da, denkt er, bestimmt eine Menge großartiger Talente und lernen kann man immer etwas, auch wenn die Gefahr besteht, denkt er, dass sie eine Sprache erschaffen, die gleich ist, die sich ähnelt, eine Sprache wie ein Plastiklöffel, der plötzlich von unzähligen Schriftstellern hergestellt wird. Was geht mich das an, denkt er, heute ist Sonntag und ich will entspannen, will meine Ruhe, wir bekommen nachher Besuch.
Er lehnt sich nach hinten und besieht sich das leere Word-Dokument. Nichts! Kein Wort! Aber eins, eins muss er doch wenigstens schreiben, und er überlegt, was könnte ich schreiben, bis er sich plötzlich für Ich entscheidet, das ist gut, es wird eine Ich-Geschichte, sehr gut, auf einem Ich kann ich aufbauen, mit einem Ich ist etwas anzufangen, und er speichert das Ich unter dem Namen Ich ab und denkt, das wird was, mein großer Ich-Roman, und ihm fällt Hilbig ein, und dass er den auch mal lesen müsste, den Hilbig, der in seinem Bücherregal steht.
Rohm fährt den Computer herunter, etwas, denkt er, etwas habe ich geschrieben, ein Wort, ein einzelnes Wort, aus dem etwas entstehen könnte: Ich!