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Die Liebe in den Zeiten des Kommunismus

Sonntag II

Wie, so fragte ich meine Frau am späten Nachmittag. Sie, die in allen Fragen der Philosophie bewandert ist, zuckte mit den Schultern und gab sich ratlos. Es könne doch nicht sein, führte ich weiter aus, ihr mit meinen Worten zwischen Gabel und Mund fahrend, um sie, die es doch wissen müsste, hatte ich so doch ihrer Bildung wegen geehelicht, zu zwingen, ihr Hirn nach einer Antwort abzusuchen. Ich, sagte ich, ich kann so nicht leben. Ohne mich weiter anzuhören, steckte sie das Kuchenstück zwischen ihre Zähne, die sich wie zwei Wände schlossen, Wände, wie ich sie aus Horrorfilmen kannte, Wände eines Raums, in dem der Held seinem Ende entgegensehen soll, das ihn dort nicht ereilen wird, liegen doch noch etliche Drehbuchseiten zwischen ihm und dem tatsächlichen Finale.

Erbost stand ich vom Tisch auf.

Wie, so fragte ich meine Gäste, die an diesem Tag den Geburtstag meiner Tochter feiern wollten. Stille, als ob in der Stille Heilung zu finden wäre.

So nicht, sagte ich. So nicht.

Guten Abend, Welt!

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Die Liebe in den Zeiten des Kommunismus

Möbellandunterricht

Es gab eine Zeit im Möbelland, lang ist es her, darf aber nicht vergessen werden, da herrschte ein gewisser Schreibtisch über das Möbelland.

Ursprünglich stammte er aus dem nahe gelegenen Büroland. Er übernahm, durch einige geschickte Winkelzüge, die Macht im Möbelland. Dunkel war sein Holz, und sein Herz war gesplittert. Warum kann man nicht sagen, weil es keinen Grund dafür gab, höchstens einen rechten, aber er hasste die Stühle. Er hetzte die anderen Möbel gegen sie auf, er sprach von einer internationalen Stuhlverschwörung, davon, dass die Stühle dem Möbelland die Politur von den Oberflächen saugen würden, wenn man sie nicht aufhielt.

Schärfer und schärfer wurde sein Ton, bis er die ersten Möbelwagen losschickte, um andere Läden zu überfallen. Sein Traum war es, die Möbelherrschaft zu übernehmen. Die Stühle ließ er verfolgen. Sie wurden aus ihren Abteilungen fortgeschleppt, um sie in Stuhllagern unterzubringen.

Zum Glück für die Stühle gewannen schließlich ein amerikanisches und ein russisches Möbelhaus den Krieg und befreiten die Stühle.

Der Schreibtisch hatte sich mit seinen Schergen im Keller verbarrikadiert. Als er einsehen musste, dass sein sinnloser Feldzug verloren war, ließ er sich die Beine absägen, von einigen willigen Werkzeugen, und nach den Beinen die Tischplatte, bis er nicht mehr als Tisch zu erkennen war. Der kleinen Bart, den er sich an die vordere Tischkante hatte kleben lassen, und der die Möbel hatte einschüchtern sollen, flog verloren wie ein Vogel, der  im Winter die Abzweigung gen Süden verpasst hatte, durch die Kellerräume. Im Anschluss kam es zu den großen Möbelprozessen.

Der Kapitalismus hielt seinen Einzug im Möbelland und veränderte die Ausstellungslandschaft. Nie sollte das Verbrechen, das an den Stühlen verübt worden war, vergessen werden. Manche Stühle blieben im Möbelland, andere zogen in andere Möbelhäuser. Die im Möbelland blieben, musste man bewundern. Wie konnte man nur so stark sein, weiterhin unter den Möbeln zu stehen, die einen hatten zersägen lassen wollen? Die Zeit lief durch das Möbelhaus und ließ die Möbel altern, die Geschichten über den Schreibtisch verebbten allmählich. Stimmen, es sei alles gar nicht so schlecht unter dem Schreibtisch gewesen, gab es immer wieder.

Nach dem Krieg war das Möbelhaus in einen amerikanischen und einen russischen Verkaufssektor aufgeteilt worden. Quer durch das Haus lief ein Absperrband, weil die verschiedenen Möbelländer unterschiedliche Ansichten über das Leben und die Einrichtung von Wohnungen hatten. Zum Glück für alle Möbel im Möbelland fiel das Band irgendwann, auch wenn die Möbelwelt ein wenig Angst vor einem erstarkten Möbelhaus hatte. Würde es wieder Kriege beginnen? Nicht dieses Möbelhaus, das sich längst vom amerikanischen Möbelhaus hatte vereinnahmen lassen, so voll und ganz, dass es alle Verkaufstechniken übernommen hatte.

Die Menschen, die die Möbel kauften, mussten nicht mehr ins Möbelland kommen, sondern sie konnten in eine Gegensprechanlage bellen. Die bestellten Möbel wurden ihnen durch ein Fenster gereicht, sodass sie gemütlich nach Hause fahren konnten, das sie längst nicht mehr betraten. Sie sahen es sich durch ein Loch in der Wand an und gaben über einen Computer den Befehl, was im Haus geschehen sollte. Die vollautomatischen Häuser waren entwickelt worden, mit Androiden darin, die die Leben der Menschen lebten, die erst gar nicht mehr aus ihren Autos stiegen. Sie lagen in ihnen und nahmen Tabletten, um, wenn sie nicht ihre von den Androiden geführtes Leben beobachteten, zu schlafen. Sie dämmerten dahin, während in den Möbelhäusern die Angst wuchs, dass nicht mehr genug Abnehmer für die Möbel da sein könnten.

Angst ist ein schlechter Berater, auch in Möbelland, wo bereits wieder die ersten Stimmen laut wurden, die Stühle wären an all dem Schuld. Fast konnte man denken, die Möbellandbewohner hätten ihre eigene Geschichte vergessen, so lange zumindest, bis ein junger Sekretär sie aufzeichnete.

Und hier ist sie. Jetzt müssen die Möbel noch lesen lernen, und alles könnte gut werden.

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Samstag

Ich liebe es, durch den Regen zu tanzen. Der Fuß, der linke, er muss vorsichtig nach vorne geschoben werden, hinaus aus der Umgrenzung des Regenschirms, hinaus in die Unwirtlichkeit der Regenwelt. Hat man seinen Schuh einweichen lassen, schlägt man für Sekunden den Schirm zur Seite, man reißt sich das mobile Dach vom Kopf, setzt sich den Einschlägen aus, die wie tausend Gewehrkugeln auf einen niederprasseln. Getroffen fällt man zu Boden, man wälzt sich durch eine Pfütze, aufschreiend, ist man doch durchsiebt, ist man doch ein Opfer, das von den Scharfschützen des Himmels soeben hingerichtet wurde. So geht er, mein Regentanz, der eine Verbeugung vor den vielen Kriegsopfern dieser Welt ist.

Ich tanzte ihn oft bei Familienfeiern, die uns alle draußen stehen und auf Regen warten ließen, wollte man meine Sterbezeremonie doch sehen, so viel war schon darüber erzählt worden, über meinen geöffneten Mund, der einzelne Tropfen auffing, von meinem zuckenden Körper war berichtet worden, der sich ins Jenseits vibrierte, bis ich schließlich meine Auferstehung feierte, patschnass, aber glücklich, mich unter den Schirm retten zu können.

Mein Regentanz hat nicht allen Freude gemacht, in Südhessen, ich kann mich an eine lange Regenperiode erinnern, nahm man es mir übel, ja, man warf mir vor, die Sorgen und Nöte der Leute in den Schmutz zu ziehen, weil ich, neben ihnen stehend, die sie weinten und zitterten, trotzdem meinen Tanz aufführte, und das, obwohl der Regen bereits ihre Häuser fortgeschwemmt hatte. Andere Landstriche wiederum luden mich als Regenmacher ein, sie hofften, würde ich den ersten legendären Schritt wagen, käme auch der Regen, er würde es sich nicht nehmen lassen, die Schlaglöcher zu füllen, damit ich darin treiben könnte, wie eine Leiche, ich, der Regentänzer, der dem Regen zu Ehren einen so wundervollen Tanz entwickelt hatte, dass er sich sehen lassen musste, besaß er einen Rest von Anstand.

Ich spielte in Filmen, mit meiner Partnerin Ginger Rohm (Name geändert). Wir durchtanzten so manchen künstlichen Regen, sei es einer in Rom, sei es der auf einem fernen Planeten. Besonders hat sich mir der Film „Regen auf dem Mars“ eingeprägt, in dem ich einen tanzenden Astronauten spiele, der auf dem Mars landet und feststellt, dass, wenn es mal regnen würde, sich aus dem Marsstaub ein Mädchen formen würde. Alles sehr wirr und verworren, und der Film wurde zurecht ein Flop, auch wenn ich die Szene liebe, in der Ginger und ich über die Marsoberfläche sausen, jeder Schritt synchron mit dem des Partners, und das im Regen, der den Mars allmählich überschwemmt, nicht ohne zuvor zahllose Marsmädchen aus dem Staub entstehen zu lassen, die sich uns nach und nach anschließen, bis wir schließlich alle über die Marsoberfläche tanzen, ein Heer aus Tänzerinnen, sodass der Planet sein Gleichgewicht verliert und aus seiner Umlaufbahn kippt, um verloren ins Weltall zu treiben. Möchte ich freundlich sein, würde ich hier von einem gewagten Drehbuch sprechen, und ich bin freundlich, bin und bleibe der Tänzer, der ich seit vielen Jahren bin.

Guten Morgen, Welt!

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Freitag II

Ich kann mich nicht entsinnen, wann ich zum letzten Mal essen war. Das muss vor langer Zeit gewesen sein. Damals verdiente ich noch Geld, unter anderem, indem ich in der Fußgängerzone auftrat. Ich zog den linken Fuß nach oben und trat auf. So fest wie möglich. Damit man es hörte, stellte ich einen Verstärker daneben. Die Leute waren so fasziniert, dass sie ihre Köpfe schüttelten, wenn sie mich sahen. Ein Auftritt der Sonderklasse, werden sie gedacht haben. Stundenlang trat ich auf, bis mir der Fuß schmerzte. Unzählige Schuhe trat ich bei meinen Liveauftritten durch. (Ich ging später auch auf Tournee. Ich trat auf allen bekannten deutschen Bühnen auf. Peymann ließ mich  ein Stück von Bernhard treten, das nicht besonders gut ankam. Ich trat jeden einzelnen Buchstaben, das dauerte. Einmal auftreten stand für A, zweimal für B und so weiter und so fort. Bis ich das gesamte Stück (Heldenplatz) getreten hatte, war ein Jahr vergangen.)

Leider musste ich meine Karriere frühzeitig beenden, weil ich mir die Knie kaputtgetreten hatte.

So kam es, dass ich mit dem Schreiben anfing.

Guten Abend, Welt!

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Freitag

Eine Lesung muss die Zuschauer überraschen, sie müssen zusammenzucken, müssen sich fragen, ob sie hier heil mit ihrem Leben davonkommen, ob sie eine Chance, eine allerletzte, haben werden.

Am liebsten sitzen ich mitten unter ihnen, ich liebe es ihren Gesprächen zu lauschen, die sich um mich und mein letztes Buch drehen, darüber, dass ich wieder einmal versagt …

Nicht jedes Gespräch will wiedergegeben werden, es gibt auch solche, die nachträglich literarisch bearbeitet werden wollen, gibt man sie in seinem Tagebuch wieder, Gespräche, die von meiner Kühnheit berichten, von meiner sprachlichen Eleganz, meiner Sucht Tausendseiter zu schreiben, von meinen möglichen sexuellen Vorlieben, denn – man weiß ja nie – vielleicht „ist er solo und hat nachher noch Zeit, mich auf ein Bier zu begleiten“. Gesprochen von einem fetten Mann, müssen auch diese Zeilen übersetzt werden, nicht die Zeilen, sondern die Person muss nachträglich transformiert werden, in ein zartes Geschöpf, das einer meiner Nachtphantasien entstiegen scheint. Die Wirklichkeit taugt nicht immer dazu, sie sprechen zu lassen, manchmal muss man ihr auch eins auf die Zähne geben und sie in die Besenkammer einsperren, und ist keine vorhanden, kann es auch richtig sein, sie mit einem Stein an den Füßen in einem See zu versenken.

Lese ich, beginne ich also mit der eigentlichen Lesung, tauche ich aus der Mitte meiner Leser auf, ich erhebe mich, plötzlich und unvermutet, sodass ein Raunen den Raum flutet, und deklamiere eine meiner Erzählungen, tief fällt meine Stimme über die Anwesenden her, von denen manche sich beschweren, sie hätten auf die Lesung z.B. von Stephen King gewollt – ach, die sei nebenan, na dann gute Nacht, und schon entschwinden sie. Wieder ein Punkt, dem ich mich in meinem Tagebuch annehmen werde, das davon berichten wird, dass King „na ja, er war nicht so gut“ war, ein herrliches Zitat, das ich wortwörtlich so wiedergeben muss, auch wenn es nie ausgesprochen wurde. Was scheren mich die Tatsachen. Schreibe ich etwa Sachbücher?

Lesungen müssen Heilungszeremonien sein, sie müssen die Seelen läutern, müssen Taube hörend, Lahme gehend machen.

In Kassel, ich kann mich genau erinnern, führte eine meiner Lesungen zu einer Spontanheilung bei einer vom Teufel besessenen, die, sich schüttelnd, aufsprang und mich angiftete, sie könne es nicht länger hören, ich solle schweigen, ich solle – Achtung, liebe Kinder, die Augen zuhalten – die Fresse halten, was mich nicht beonders stresste, oh nein, vielmehr trug ich einige Zeilen aus meinem Sonettenkranz über die Schreibhemmung vor, den ich bereits mehrmals bei Austreibungen in Rom und Paris getestet hatte, und der sich mehr als bewährt hatte. Der Dämon hielt es nicht aus und fuhr aus dem gebeutelten Körper in ein neben dem Lesungsort gelegenes Schaufenster. Klirrend sackte die Scheibe in sich zusammen.

Mehr zu diesem Thema vielleicht im Laufe der nächsten Jahre.

Guten Morgen, Welt!

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Donnerstag III

Sich ändern, obwohl man es nicht möchte, obwohl man der bleiben will, der man ist.

Ich schrieb eine Menge Texte, die sich mit dem Scheitern beschäftigten, es gefiel mir, ich konnte und wollte mir gar nichts anderes vorstellen, wollte immer und immer wieder Texte über das Scheitern schreiben. Später folgten andere Themen, wie Entlobungsfeiern, plötzlich war ich wie verliebt darin, Entlobungskurzgeschichten zu schreiben, die eine Zeitlang gut liefen, die Magazine waren ganz verrückt nach meinen Minitaturen aus dem Entlobungsmilieu. Ich beschrieb die Gesichter, die Hände, die sich zitternd dem Ring, der vom Finger genommen wurde, näherten.

Nach den Entlobungsgeschichten kamen die Nachttischlampengeschichten, danach die Romane über das Geräusch, das entsteht, wenn man mit seinen Fingernägeln über eine Tafel kratzt. Die Leser konnten nicht genug davon bekommen, sodass ich mich für Monate in einer irischen Hütte einschloss, um den ultimativen Tafelkratzerroman zu schreiben, einen, der das Geräusch tatsächlich erschuf, der es in seinen Worten zum Ausdruck brachte, mit einer Macht, dass sich die Leute beim Lesen die Augen zuhalten wollten. Es sollte mein Ulysses werden, mein Glasperlenspiel, mein Ada. Am Ende scheiterte ich, weil ich es nicht ertragen konnte, das Geräusch Tag für Tag in meinem Kopf beleben zu müssen. Ich scheiterte an mir, scheiterte am Thema.

Nur wenige Wochen nach einem Zusammenbruch, der mich in einem Hotel in Hamburg am Leben verzweifeln ließ, blickte ich eines Tages aus dem Fenster und beobachtete einen jungen Mann, der einer alten Frau über die Straße half.

In diesem Augenblick war es um mich geschehen, ich wollte Romane über Straßenüberquerungen schreiben, nichts anderes sollte künftig noch aus meiner Feder fließen.

Wie man weiß, verlor ich auch an diesem Genre, das am 26. April 1999 eine Hochphase erlebte, das Interesse.

Was bleibt, ist meine ständige Flucht nach vorn, hin zu einem neuen Stoff, einem, der mich fesselt, der die Gesellschaft verändern kann, und wenn nicht verändern, so doch beeinflussen.

Momentan schreibe ich Flussbiegungsromane. Ich denke da liegt die Zukunft. Ganz bestimmt sogar.

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Donnerstag II

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich früher gegen  Winde kämpfte. Bekannte Winde, wie Edeltraud oder Samuel.

So ein Wind, der ist nicht zu unterschätzen. Es kann geschehen, dass er dir, wenn du gerade nicht damit rechnest, die Haare durcheinander bringt. Und dann? Ein totales Fiasko. Stundenlang hast du am Morgen gekämmt. Haar für Haar hast du mit einer Pinzette auf die dafür vorgesehene Stelle gelegt. Kämmen ist kein Zeitvertreib, sondern die Ordnung des Chaos. Ein Kampf gegen die Absurdität des Seins an sich. Allein die Hinterkopfhaare, die dauern eine halbe Ewigkeit, da sind manchmal bis zu drei Tage draufgegangen, bis ich die so gekämmt hatte, wie ich es mir vorher aufgezeichnet hatte. Alles musste mit einem Spiegel, den man sich hinter den Kopf hielt, um sich im Vorderspiegel zu spiegeln, erledigt werden. Eine Sauarbeit, die von einem einzigen Wind, trat man bei den Windspielen, wie denen in München 1982, an, zunichte gemacht werden konnte.

Der fegte da rein, als ob es nichts wäre, als ob es nichts bedeuten würde. Verschreckt zog man sich in seine Ringecke zurück, und hatte man einen Trainer mit Einsehen, warf er den Föhn als Zeichen, dass man aufgab.

Guten Abend, Welt!

 

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Donnerstag (Morgengebet)

Wir wollen ihnen preisen, den Tag, der mit einem Untergang beginnt. Tötet ab, was euch aushöhlt. Entsagt der Kaufkraft und dem Schweinefleisch. Beginnt damit, euch niederzulegen. Tief soll euer Schlaf sein. Albträumen sollt ihr von den Herdprämien und den Kadavern, die ihren Gehorsam zeigten. Schwarz soll die Milch der Frühe sein, das Knäckebrot soll Holz gleichen, auf dass ihr loszieht, mit eurer Winchester, um das täglich Brot selbst zu erledigen. Knallet nieder, was euch vor eure Flinten kommt. Säubert den Horizont von Wolken. Steiget auf euer Windpferd und richtet ein Gemetzel unter den Sternen an. Alle sollt ihr vom Himmel auf die Erde holen. Das Reich Gottes ist ein hohles Versprechen. Es ist so hohl wie alles, auch die Literatur. Gehet hin und verwirklicht euch. Werdet selbst zu einem Steckenpferd, zu einer Anklageschrift, zu einem Gedicht. Kaufet keine Bücher, außer natürlich die meinen. Studieret sie mit Begehren, von der Stirn heiß, rinnen muss der Schweiß. Fanget den Schweiß in einem Taufbecken auf, um darin die Nachkömmlinge zu baden. Schrubbt ihnen die Haut, bis sie abfällt, bis sie zu einem blanken, reinen Wesen werden. Nichts ist so klar wie die Unklarheit. Redet in Zungen und in Einkaufszentren. Tretet vor die Menge und überzeugt sie, nimmer zu kaufen. Sehet, sie sollen wie die Flugzeuge werden. Sie säen nicht und werden doch betankt. Mein ist das Wort, und dein ist dein Wort, bis in alle Ewigkeit. Amen.

 

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Mittwoch

Früher hat es den Mittwoch gar nicht gegeben, auch nicht den Dienstag, erst recht nicht den Montag oder Donnerstag, vom Freitag ganz zu schweigen. Alles Tage, die im Zuge der Industrialisierung entwickelt und in die Woche, die einst nur aus dem Samstag und Sonntag bestand, gebaut wurden, um die Zeit, die fortan für die Maschinen benötigt wurde, zu dehnen. Seitdem werden wir älter und älter. Ein Jahr dauert inzwischen unglaubliche 365 Tage, wo in der Vergangenheit 96 Tage ausreichend waren. In den dunklen Tagen der Menschheit gab es gar nur den Sonntag, da währte ein Jahr 48 Tage, bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 35 Jahren waren das 1680 Tage, von denen man sich genau überlegen musste, was man mit ihnen anstellte, bis man ins Gras biss.

Guten Abend, Welt!

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Dienstag III

Niemals essen, obwohl man es will, obwohl einen der Hunger beinahe um den Verstand bringt.

Ich habe mit dem Essen ja bereits vor Jahren abgeschlossen, weil es einen nicht weiterbringt. Es bindet einen an den Teller, an die Erde, an die Küche.

In den Jahren vor meiner Hungerkur lebte ich in einem französischen Restaurant. Ich schlief unter dem Tisch, aß die Abfälle, die Reste, die von den Tellern fielen. Der Chefkoch ließ mich, er hatte nichts dagegen einzuwenden, dass ich mich unter Tisch 14 häuslich eingerichtet hatte. Ein Spiegel, ein Bett, klein, aber vorhanden, es fehlte mir beinahe an nichts, höchstens am Notwendigsten, etwa einem Rasierer, sodass mein Bart unkontrolliert wuchs. Am Ende erwischte mich der Besitzer, weil er über meinen Bart stolperte, seine Füße verhedderten sich und er stürzte in die Fischsuppe eines Gastes an Tisch 13 und wäre beinahe, der Ohnmacht wegen, ertrunken. Zum Glück tauchte ein Taucherteam, die sich auf französische Restaurants spezialisiert hatten, auf. Wagemutig zogen sie ihn aus dem Teller ans rettende Tischplattenufer und beatmeten ihn über mehrere Stunden. Später verließ Monsieur Flanell seine Frau, weil er mit einem der Taucher durchbrannte. Tragische Geschichte, die ich bei Gelegenheit zu Ende erzählen werde.

Aber seit diesem Tag, hochheiliges Ehrenwert, habe ich nichts mehr gegessen. Ich kann nicht, selbst wenn ich wollte, aber das Geräusch des allmählich ertrinkenden Flanell verfolgt mich noch heute in meinen Träumen. Zum Glück lebt er jetzt in Marseille und betreibt einen Laden für Taucherbedarf.

Kreuzfahrt 2013 523

Monsieur Flanell lebt inzwischen in Marseille

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Dienstag II

Hektik. Die kommt in den besten Familien vor. Man darf sich von ihr nicht aus der Ruhe bringen lassen. Alles der Reihe nach. Erst einatmen, dann ausatmen.

Ich bin kein Anhänger unüberlegter Handlungen. Ich bin ein Gegner von Handlungen. Handlungsarmut, die fordere ich bereits seit Jahren für den deutschen Kriminalroman. Bloß keine Hektik im Roman aufkommen lassen. Wort für Wort schreiben. Das könnte so klingen: „Herbert ist wach. Schon wieder, denkt Herbert. Wie oft soll ich denn noch erwachen? Muss das sein? Ich will schlafen. Herberts Gedanken haben ihn ermüdet. Er legt seinen Kopf in das Kissen zurück. Das Kissen ist weich. Es wurde vor fünfzehn Jahren in einem Werk an der Ostsee gefertigt. Das Werk wurde längst geschlossen. Alle Mitarbeiter wurden entlassen. Auch ein gewisser Herbert Mahler. Er hat gerne Kissen hergestellt. Herbert und Herbert werden sich nie kennenlernen, und doch verbindet sie ein unsichtbares Band. Wer weiß, vielleicht hat Herbert Mahler Herberts Kissen hergestellt.“

Und so weiter und so fort. Keine Hektik. Der Erzählfluss tröpfelt rinnsalartig dahin. So sollte er aussehen, der zukünftige deutsche Kriminalroman.

Guten Abend, Welt!

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Dienstag

Eine alte Übung der Buddhisten ist es, nicht aufs Klo zu gehen, obwohl du dringend musst. Aber nein, du hältst es ein, bis deine Blase dich das Tanzen lehrt.

Ich lebte eine Weile in einem Kloster, in dem man sich auf solche Techniken verstand. Wir gingen nicht nur fast nie pinkeln, sondern wir tranken auch noch Unmengen, um den Körper herauszufordern, wie der Klostervorsteher in einem seiner Briefe, die unregelmäßig eintrafen, schrieb. Er selbst, der Klostervorsteher, konnte nicht bei uns sein, weil er sich eine Übung auferlegt hatte, die ihn mit drei ehemaligen Stripperinnen in einem Hotelzimmer in den USA festhielt. Sie durften es nicht verlassen, bis er, der Vorsteher, nicht alle Lust am Sex verloren hatte. Seine kommende Unlust zögerte und zögerte sich hinaus. Schließlich verließ ich das Kloster, ging auf eine öffentliche Toilette, und sah ihn leider nie. Schade, hätte ich doch den Mann, der uns beibringen wollte, Unpersonen zu werden, gerne einmal kennengelernt. Nichts zu machen.

Danach zog ich eine Weile als Wanderdetektiv durch die Lande. Ich löste hier und da Fälle, blieb nie lange, schlief ausgiebig, duschte, es war eine wilde Zeit, in der ich eine Menge verrückte Leute verhaften ließ.

Als Wanderdetektiv darfst du niemals näher als vierhundert Kilometer an deinen Heimatort herankommen. Du musst die Tracht der Wanderdetektive (Mantel, Hut, Sonnenbrille und Lupe) dauerhaft tragen, niemals darfst du etwas anderes anziehen. Es ist auch verboten, Geld anzunehmen. Ich schlief daher bei meinen Auftraggebern, wusch in ihren Waschmaschinen meine Tracht und zog, war der Fall gelöst, weiter, stets per Anhalter.

Stundenlang stand ich an den Autobahnauffahrten und hielt meinen Daumen in die kalte Luft. Mein Daumen schwoll durch die Kälte zu doppelter Größe an. Die Menschen, die mich mitnahmen, bewunderten meinen Daumen, sie fragten, ob sie ihn mal anfassen dürften, na klar, sagte ich, ist doch nur ein Daumen, bis einer ihn lutschen wollte, ein ehemaliger Daumenlutscher, wie er erklärte, der seiner Sucht hatte entsagen müssen, und für den mein Daumen eine Herausforderung darstellte, der er nicht widerstehen konnte. Selbstverständlich ließ ich ihn nicht lutschen. Ich warf ihn bei Köln aus dem Auto und fuhr alleine weiter, bis mir in Hamburg einfiel, dass es ja ihm gehörte. Ich ließ es stehen und wurde Hamburger. Ein schlecht bezahlter Job, den ich auch nicht lange ausübte.

Guten Morgen, Welt!

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Montag III

Welch ein großer Auftritt. Während ich als Billy the Kid in die Ausstellungsräume, die sonst Bankgeschäften vorbehalten scheinen, ritt, kam meine Frau als Lady Di, was zu einiger Unruhe Anlass gab. Man fand ihre Verkleidung verfehlt. Geradezu geschmacklos. Niemand wollte sie als Unfallopfer sehen.

Wir schritten die Fotografien ab, dieses und jenes mit Worten überziehend, beleidigenden Worten, die wir als konstruktive Kritik tarnten, bis wir zur Nummer 16, dem Bild mit dem Titel „Die Ankunft des kopflosen Reiters“ kamen, das wir mit Lob überschütteten. (Das Lob hatten wir in aller Herrgottsfrühe in der Küche angerührt, süß und klebrig war es, und hängte sich über das  gesamte Kunstwerk, auf immer, nicht entfernbar.) Bild Nummer 16 stammt von unserer gemeinsamen Tochter aus der ersten Ehe meiner Frau, die wir mal Gesine (Name geändert), mal Tommy (Name geändert) rufen.

Nachdem die Reden gehalten waren, von zwei stattlichen Herren in grauen Anzügen, übergaben wir unsere Hände den Weingläsern. Gepäck wurde gereicht, unter anderem ein pinkfarbener Koffer, eine Reisetasche aus Satin und ein Sportbeutel aus der dritten Klasse jener Schule, die heute als Legende gilt, und von der viele behaupten, es hätte sie gar nicht gegeben. Stank ziemlich der Beutel, und wurde daher auch von den meisten rechts liegengelassen.

Ein schäbiger Abend, den wir gerne in Erinnerung behalten werden.

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Bild Nummer 16 mit dem Titel „Die Ankunft des ersten Tischträgers“ (Titel geändert)