Fernsehen. Das ist doch eine tolle Sache. Du schaltest ihn an und im nächsten Moment springt dir einer ins Gesicht, mitten hinein, sodass du kaum eine Chance hast, ihm auszuweichen. Mitten in deinem Gesicht hängt er nun herum, er baumelt von der Nase wie ein Rotzfaden und wartet darauf, dass du ihn wegwischt. Das kann der amerikanische Präsident sein, und wenn man keine Fernseherfahrung hat, klar, dann ziert man sich, den einfach so mit einem Taschentuch von seiner Nase zu putzen. Die Achtung muss man sich ersparen, muss sie alle – Tuch für Tuch – entsorgen, sonst sieht das Gesicht am Ende wie eine Pinnwand für Prominente aus. Alle hängen sie herum und baumeln und quaken und halten Reden, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Geister, die man rief und nicht mehr los wird, weil sie verlangen, mit einem leben zu wollen. Die Wohnung ist zu klein. Am besten also, wenn man den größten Teil des Bildschirms abdeckt, sodass nur kleine Dosen Unmenschlichkeit entfliehen können.
Schlagwort: ins
Das Kapitel. Darum soll es heute gehen. Das Kapitel, manche behaupten, es wäre gut zwei oder noch mehr zu haben, befruchtet den Roman. Es schwängert ihn sozusagen.
Das Kapitel dringt in den Roman ein. Manche Romane genießen es, andere, vor allem Debütromane behaupten, es würde schmerzen. Durch kräftiges Reiben kommt es schließlich zu einem Erguss. Worte schießen in Richtung Hirn des Lesers. Es kommt zu einem Wettrennen der Worte, bis sich eines von ihnen festsetzt. Neun Monate später kann ein neuer Gedanke schlüpfen. Er muss nicht immer schön sein. Aber er ist da.
Fortan muss der Vater oder die Mutter sich um den Gedanken kümmern. Er muss rundum versorgt werden. Am besten, Sie besorgen sich eine ausgebildete Amme, die Ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Kann der Gedanke erst auf eigenen Beinen stehen, können Sie ihn in die Welt entsenden, auf dass er dort in einer Anwaltskanzlei andere Gedanken verklagt.
Zurück zum Kapitel. Gerade die Männer unter den Schriftstellerinnen haben eine – oft durch die Medien gepushte – falsche Vorstellung davon, wie groß ein Kapitel sein muss. Manche meinen, es müsse mindestens fünfzig Seiten lang sein. Das ist Unsinn und gehört ins Reich der Legenden. Das Durchschnittskapitel misst im erregten Zustand zwischen sechszehn und achtzehn Seiten.
Viele Autoren haben in ihrer Jugend Filme aus dem Hardcorebereich gesehen, in denen Autoren beim Verkehr gezeigt werden, die a) ständig können und b) ein Kapitel von mindestens vierzig Seiten aufzuweisen haben. Lassen Sie sich von diesen Darstellungen nicht täuschen. Schreiben sollte ein Akt zwischen Ihnen und dem Papier sein, nicht aber professionell betrieben werden. Der Akt des Schreibens sollte von Liebe erfüllt sein.
Um einen erfolgreichen Roman zu schreiben, müssen Sie schlicht Spaß und Freude am Verkehr entwickeln.
Frauen können übrigens keine Kapitel schreiben, weil sie über keines verfügen. Sie haben Hirn. Das kann wichtig sein, muss es aber nicht.
Und morgen lernen wir, wie eine Idee entwickelt wird.
Rauchen ist nicht die schlechteste Alternative. Man könnte stattdessen einen Menschen erschießen. Oder foltern. – Ein Text, der entsteht, entsteht ja in der Zeit, also Buchstabe für Buchstabe, und dieser hier wurde eben von meiner Frau unterbrochen, die mir einen Löffel hinhielt, Soße darin, die ich probieren sollte. „Da wehrt man sich doch nicht, oder?“, fragte sie. Und ich murmelte: „Nein!“ Beschloss es gleich hier einzubauen, so wie man etwas in ein Auto einbaut, von denen ich nichts verstehe. Oder in einen Computer. Von denen verstehe ich ebenso wenig. – Wo war ich? Bei meinem Rauchvorgang, der längst abgeschlossen ist, von meiner Zigarette, die ich draußen auf meinem Balkon rauchte, dort, wo ich sitze und in die Luft starre, in die Wolken, ins Grau, während aus der Ferne Geräusche rollen, so wie Wellen, die sich langsam auf meinen Strand zubewegen, bis sie im Sand meines Hirns versickern. Und von den Alternativen wollte ich erzählen, von den Dingen, die man gewöhnlich und ungewöhnlich tun kann, wie einen Menschen retten oder töten. Davon, was ich alles nicht so tue, weil ich ein Unterlassungstäter bin, ein Sitzenbleiber und Ausdenker. Es wird ausgedacht, bis im Denken kein Tropfen mehr drin ist, bis das Denken wie ein Schwamm ausgedrückt ist, immer mit dem Hintergedanken, gar nicht mehr denken zu wollen, weil das nicht die schlechteste Alternative in dieser mit Alternativen überlaufenden Welt wäre. – In der Küche klappert es jetzt, und es wird nicht mehr lange dauern, bis ich zum Essen gerufen werde, und ich werde hinüberschlendern, als käme ich zufällig vorbei. Ich werde die Nase in den Duft hängen, weil man seine Nase in fremde und nichtfremde Küchenangelegenheiten stecken soll.
Guten Abend, Welt!
Vertilgt. Die Roulade auf dem Bild, die ist ein Blick in die Vergangenheit.
Dienstag
Ich hatte gut geschlafen. So gut, ich hatte gar nicht erwachen wollen. Und nun doch. Der Schreck saß mir noch tief in den Gliedern. Meine Frau lag neben dem Bett und schlief ihren Rausch aus. Ich kämpfte mich durch die zahlreichen, über die Bettdecke verteilten Unterlagen, die ich mir abends extra mitgenommen hatte, um nicht so allein zu sein. Seilte mich ab, direkt mit der am Rahmen befestigten Liane. Ein halber Meter, der mich mein Leben kosten konnte, wenn ich nicht aufpasste. Ein falscher Griff und mein Schicksal war besiegelt.
Schweiß sprang mir unmotiviert auf die Stirn. Keine Ahnung, wo der herkam. Illegal eingereist. Ich hatte darüber in der BILD gelesen. Hatte Reportagen bei RTL Explosiv gesehen. Der Schweiß wurde in riesigen Schweißbooten über das Meer geschippert. Für viele endete die Fahrt tödlich. Sie verdampften im Morgenlicht. Die Hitze des Nordens ist zu viel für sie. Sie werden von Schlepperbanden ins Land geholt, die sie wie Sklaven arbeiten lassen. Meist in unterirdischen Stirnfabriken, in denen sie sich jeder Stirn hingeben müssen, die man ihnen zuführt.
Nur nicht ablenken lassen, dachte ich. Ich griff beherzter zu. Nur nicht zu beherzt, rannte es mir durch den Kopf, sonst erleidest du noch einen Herzinfarkt. Noch siebzehn Zentimeter. Die müssen doch, verflucht nochmal, zu schaffen sein. Ich riss mich am Riemen, dachte daran, dass es mein Ziel sein müsste, den Ausstieg aus dem Bett zu überleben. Das haben doch schon andere geschafft. Also warum nicht ich? Acht Zentimeter. So knapp vor dem Ziel. Dachte an Messner, an seine Besteigung des Rosenhain, eines immerhin zwanzigtausend Kilometer hohen Bergs, des höchsten, den wir haben. Vier Zentimeter. Sollte ich es wagen? Ich sprang. Ich kam auf meinen Kniescheiben auf, aber dank meines Trainings in einem französischen Klosters, hatte ich gelernt, meine Knie ideal einzusetzen. Nichts war passiert. Jetzt noch durch den Flur, hinüber ins Arbeitszimmer. Ich packte den Tropenhelm, die Machete. Ich würde es schaffen. Bestimmt.
Guten Morgen, Welt!
Sonntag II
Wir haben gewählt.
Wir sind in den Kindergarten hinein, den man zweckentfremdet hatte. Das war jetzt ein Wahllokal.
Wenn das die Kinder erfahren, werden sie hier nie mehr spielen. Sie werden mit Lappen anrücken, um die Plätze, auf der die Wähler saßen, zu reinigen. So viele Erwachsenenärsche verträgt kein Kinderstuhl.
Ich habe meinen Ausweis vorgezeigt, um mich vorzustellen. Das sei ich auf dem Bild, sagte ich, auch wenn ich mir heute nicht mehr ähnlich sehe. Prüfende Blicke, ob sich hier eventuell ein Wahlbetrüger einzuschleichen gedachte. Dann die Freigabe, indem man mir die Wahlunterlagen aushändigte.
Ich schritt hinter die Absperrung, hinter die Pappwand. Wählen ist Geheimniskrämerei. Ein Versteckspiel.
Ich breitete die Wahlzettel vor mir aus. Zwei an der Zahl, weil der Hesse am Wahltag nicht genug Zettel bekommen kann.
Und dann malte ich, weil ich ja in einem Kindergarten war, meine Kreuze in die Kreise. Noch einen Baum dazu. Eine Sonne, damit die Wahlhelfer etwas finden, was ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Faltete die Zettel wie Straßenpläne, die ich nicht verstand, zusammen und warf sie in den Schlitz des großen Wahlabfalleimers.
Froh mein Handwerk des Bürgers ausgeübt zu haben, und ohne weitere Schäden an meiner Seele genommen zu haben, verließ ich den Ort des Grauens – und ging heim; ganz ohne Straßenkarte.
Guten Abend, Welt!
Walsonntag
Walsonntag.
Wir haben uns extra einen Wal besorgt. Einen besonders großen. Er passte leider nicht in unsere Wohnung, deshalb haben wir ihm eine Walkabine bauen lassen. Aus Glas und Sperrholz, das herumlag.
Sperrholz versperrt den Weg. Und es ist faul. Das hat schon meine Mutter gesagt. Sie hat das Sperrholz aus dem Weg räumen lassen. Von einem Auftragskiller. Er tötete lautlos und schnell. So lautlos und schnell, dass wir nie etwas mitbekamen. Er schlich sich in der Nacht auf unser Grundstück, und wenn wir am Morgen erwachten, konnten wir sehen, was er angerichtet hatte. Totes Sperrholz. Das andere Holz, das hart arbeitete, sommers wie winters, das sich zusammenzog, auseinanderbog, hielt die Luft an. Meine Mutter beruhigte das gemeine Volksholz. Es hätte nichts zu befürchten. „Wer arbeitet, wird hier stets einen Platz haben“, pflegte Mutter zu sagen. Das Holz der Fenster und Türrahmen atmete erleichtert auf. So deutlich hatte noch kein Hausbesitzer zu ihnen gesprochen.
Hausbesitz verpflichtet. Man muss mit dem Haus ein paar Runden laufen. Morgens vor dem Frühstück. Abends. Unsere Hausbesitzer trafen sich weit hinten auf einem offenen Feld. Dort standen sie, an ihren Leinen die Häuser, die sich gegenseitig beschnupperten, und sie unterhielten sich über das offene Feld. So etwas dürfe man nicht dulden, sagten manche. Ein offenes Feld sei wie eine Krankheit. Eine feste Meinung müsse doch jeder haben. Auch dieses Feld. Sie stießen Feldstecher ins Feld, bis es aufgab, ein offenes Feld zu sein. Es bekannte sich zur CDU/CSU. Es machte mich traurig, mit ansehen zu müssen, wie man dieses Feld erzog. Nachher litt es an Depressionen. Es wuchs nichts mehr auf ihm. Man lieferte es in eine Spezialklinik ein, um es mit Düngemitteln zu behandeln. Ich hörte nie wieder etwas von ihm. Es ist bestimmt eingegangen. Eingegangen, so nennen die Wald- und Wiesenprediger den Heimgang ins Himmelreich.
Zurück zu unserem Wal, den wir von einer Küste abkauften, auf der er strandete. Er hatte sich für drei Wochen dort eingemietet. Auch Wale brauchen hin und wieder mal Urlaub. Er strandete auf vierhundert Touristen. Das war ein Teil des im Prospekt angepriesenen Animationsprogramms. Sie bekamen ihn nicht mehr zurück ins Wasser. Landflucht.
Seit drei Tagen liegt er jetzt in seiner Walkabine. Wir sind seit dem frühen Morgen auf, um zu wälen. Wenn man lange genug wält, stirbt der Wal. Wir haben eine Walurne für ihn besorgt.
Noch treibt er in seiner Kabine. Er treibt es mit dreißig Fischen, deren Herkunft ich nicht kenne. Meine Frau meint, es wären Flittchenfische. Nie von ihnen gehört.
Gleich fängt das Walprogramm an. Der Wal wird uns seine einzelnen Programmpunkte vorschwimmen. Etwa den Mindestlohn. Oder die Erhöhung der Vermögenssteuer. Vermögenssteuer werden in einem bayerischen Werk hergestellt. Sie sind aus Gold, und sie sind mit Diamanten besetzet. Ich bin ein Gegner der Vermögenssteuer. So etwas ist unredlich. Es gehört sich nicht. Man sollte stattdessen die Armensteuer unterstützen, damit sich jeder ein Steuer leisten kann.
Ich hoffe, Sie haben auch einen Wal an diesem Walsonntag. So viel Spaß hatten wir schon lange nicht mehr.
Nachher kommen die Nachbarn, um ihn auch mal zu wälen. Alle schneiden Kreuze in seine Haut, hunderte davon, tausende, bis er verstirbt. Das ist keine Tierquälerei, sondern eine alte demokratische Tradition. Dazu später mehr.
Guten Morgen, Welt!
Samstag II
Also, ich habe gar nichts gegen die Masse, weil ich sie gar nicht kenne, die Masse, von der ich nicht weiß, wer sie sein soll, vor allem, wenn andere sie benennen, die sich nicht zu ihr rechnen, na klar, weil sie ja außerhalb der Masse stehen, die ich gerne mal kennenlernen würde, weil, ich zähle mich nicht zu ihr, Sie wahrscheinlich auch nicht, mein Nachbar nicht, der Blogger, der ein Autor ist und sich in seinen Blogbeiträgen über sie erregt, ebenfalls nicht, sodass am Ende niemand übrigbleiben wird, der sie kennt oder ist, die Masse, die mir weiterhin unbekannt bleibt, die arme Sau, die ja irgendwo sein muss, die wahrscheinlich in der Masse untergetaucht ist, damit ich sie nicht entdecke, die Masse.
Ein Massenphänomen, darüber müsste man einmal schreiben, über das Phänomen Masse, das es ja gibt, aber eben nur, wenn es als Masse, z.B. vor Fußballstadien, auftritt, aber eben nicht nachher, wenn man sich verstreut, wenn man sich zerstreut, in alle Himmelsrichtungen, heim ins Eigenheim streut man sich, in die Luxusvilla, in die Hundehütte, um alles zu sein, nur eben keine Masse mehr. Daher gibt es auch keinen Massengeschmack. Die Masse müsste viel zu lange zusammenbleiben, müsste vor dem Stadion leben, stets als Masse, um einen Massengeschmack zu entwickeln, den es nicht gibt, auch wenn es ein einheitliches Kaufverhalten gibt, das gesteuert wird. Das ist dann aber wieder ein ganz anderes Thema.
Was ich damit erzählen wollte? Keine Ahnung!
Guten Abend, Welt!
Donnerstag
Als ich an diesem Morgen aufstand, die Füße nackt wie der gepeinigte Jesus Christus, der von seinem eigenen Tod auferstanden ist, und ins Wohnzimmer hinüberging, vom Jenseits ins Diesseits also, und dabei dachte, was soll das sein, ein Wohnzimmer, wo ich doch überall lebe, die Küche, das Klo, das Schlafzimmer, das sind mir doch alles Wohnzimmer, keines würde ich missen wollen, da strahlte das Mondlicht hell wie Sonnenlicht ins Zimmer hinein. Du Depp, dachte ich. Das Mondlicht ist ja Sonnenlicht.
So eine Gelegenheit kommt nicht wieder, dachte ich und zog mich aus und legte mich ins Sonnenlicht, das vom Mond ins Zimmer geleitet wurde. Meine Haut, die überempfindlich ist wie Toilettenpapier, zweilagiges, meine Haut, die bei jeder Wintergelegenheit reißt, könnte so die Bräune erhalten, die ich ihr sommers vorenthalten muss.
Die Haut, so mein dafür zuständiger Arzt, weil es heutzutage einen Arzt für jedes Haar gibt, hatte mir erklärt, dass die Haut ein Elefantengedächtnis habe, die vergesse nichts, vor allem nicht, wenn man sie schneide oder auspeitsche. Da kann das Hirn vergessen wollen, wie es will, die Haut wird sich weiterhin daran erinnern.
Auf einem Handtuch lag ich und dachte darüber nach, ein Mondscheinstudio zu gründen, eine große Halle könnte man anmieten, in die der Mond sein Sonnenlicht bei Vollmond wirft, damit sich all die gepeinigten Blassen eine sanfte Bräune zulegen können, die freilich so blass bleibt, dass man sie unter ein Mikroskop legen müsste, um die entstandene Bräune als solche identifizieren zu können.
Ganz still war es an meinem Wohnzimmerstrand. Kein dicken Frauen, die sich umdrehen wollen, und die es nicht schaffen, weil sie Probleme mit der Schilddrüse haben, keine kleinen Kinder, die Löcher in meinen Parkettboden schlagen, um eine Burg zu errichten. Das Bauen liegt dem Strandkind im Blut. Ständig will es etwas aus- und später eingraben. Kinder sind Baumeister und Totengräber in einer Person.
Lange lag ich nicht dort, weil ich fror, und weil es unangenehm und peinlich war, so allein an seinem Privatstrand zu liegen, und darum bin ich bald schon aufgestanden und habe das hier geschrieben. Ein wenig morgendliche Wahrheit, habe ich gedacht, die werden meine Leser schon aushalten. Deshalb liest man doch das Tagebuch einer wildfremden Person, gerade wenn Sie eine Person des öffentlichen Interesses ist. Man will erfahren, was der oder die so treibt, was ihn oder sie umtreibt, und Sie haben es wieder einmal erfahren, haben das erfahren, was eigentlich hinter vier Wänden verbleiben sollte.
Guten Morgen, Welt!
Mittwoch
Regen fällt! Der Herbst ist da, diese braunflüssige Brühe, die über das Land schwappt, die alles und jeden unter sich zu begraben droht. Krankheiten haben die Villa heimgesucht, so die heimtückische Grippe, die Pest, die Cholera und die Unverträglichkeit.
Meine Frau Heido (Name geändert) liegt ermattet zu Bett, sich in Träume stehlend, die ihr keine ideale Wohnstatt werden. Wer fühlt sich schon in Albträumen wohl?
Sie albträumte unlängst, dass mich Schergen des amerikanischen Geheimdienst entführen würden, um den Bestsellerautorenhaushalt aufzufüllen. Ähnliche Technik wie Ende des Zweiten Weltkriegs, da man die Speerspitzen der Wissenschaft und der Erotikbranche ins eigene Land verbrachte, um sie Tag und Nacht in unterirdischen Bunkeranlagen schuften zu lassen.
So könnte es auch mir ergehen. Obacht ist das Gebot der Stunde. Hinter jedem Pfeiler könnte ein Agent des Schurkenstaates USA stehen, bereit, mich dem amerikanischen Bestsellermarkt einzuverleiben. Das habe ich nun davon, dass ich so gut schreiben kann. Bat Mama bereits früh, mir die entzückend süßen Hände zu brechen. Ihre Weigerung kommt einer Kapitulation vor dem Feind gleich, der mich über kurz oder lang in seine dreckigen Pfoten bekommen wird.
Spiele mit dem Gedanken, das Haus mit Sprengstofffallen auszurüsten. Mit Selbstschussanlagen. Vielleicht gar mit Selbstleseanlagen. Lyrik würde den Ami um den Verstand bringen. Eine Zeile Trakl würde sein Hirn in tausend Teile explodieren lassen. Ein Wort aus einem Gedicht von George würde ihn qualvoll verrecken lassen. (Den George lasse ich lieber. Experimente mit Mäusen haben bewiesen, dass George brandgefährlich ist. Es kommt zur sogenannten Selbstentzündung. Eine Fluchtfunktion des Organismus, der sich ins Jenseits retten will.)
Ich sitze zu dieser Stunde einsam in der riesigen Halle, die mein Arbeitszimmer sein soll. Viel Geld versaut den Charakter. Wünsche mich in die Armut der frühen Jahre zurück. Gesine (Name geändert) und ich lebten damals in einer offenen Wohnung. Sie hatte keine Fenster, keine Wände. Sie hatte nichts, was man mit einer Wohnung assoziieren würde. Der offene Wohnungsbau veränderte alles in den späten 70ern. Tausende fanden plötzlich eine Unterkunft, wenn auch nur eine offene. Wir saßen mit der Nachbarschaft am offenen Lagerfeuer, sangen Lieder. Spät in der Nacht saß ich an einem Schreibtisch aus Luft und schrieb meinen „Odentanz“. Gern denke ich an diese Zeiten zurück.
Guten Morgen, Welt!
Montag II
Ich habe ein Interview gegeben. Und zwar einer Bloggerin, mit der ich mich in einem verschwiegenen Restaurant in der Wiener Außenstadt traf. Dort saß sie. Der Regenmantel hing ihr klatschnass am geilen Körper.
„Bist du die Bloggerin?“, fragte ich.
Sie nickte und schlug das linke über das rechte Bein. Oder schlug sie das rechte über das linke? Verwirrung bemächtigte sich meines vibrierenden Dichterkörpers.
Frage um Frage stellte sie mir, während im Hintergrund leise gerülpst wurde. Musik drang aus dem Musikautomaten. Ein Lied von Roland Kaiser. Santa Maria. Ich griff nach den Händen der Bloggerin. Zärtliche Hände, wie sie nur von Bloggerinnen ausgebildet werden können. Gemacht, um Liebe zu geben. Sanft tanzten wir in den Regen hinaus, während ich ihr die Antworten auf ihre Fragen ins Ohr blies.
Guten Abend, Welt!
Montag
Es gab eine Zeit, da spielte ich mit dem Gedanken, eine Tischkickerfigur zu werden. Ich dachte, da muss man nicht viel machen. Sie amputieren dir die Arme und ziehen dir stattdessen eine Metallstange durch die Schultern. Rumhängen und benutzt werden, das war mein Traum vom Glück. Ich würde gefeiert werden, obwohl ich nicht mal etwas tun müsste.
Nie wieder einsam. Ich würde mit meinen Kollegen in einem Tischkicker in einem Gemeindezentrum leben. Die Kinder kämen vorbei und würden große Partien austragen. Solche, die in die Geschichte eingehen würden. Und ich würde nichts tun müssen, außer Kopf und Füße hinhalten.
Meine Eltern meldeten mich tatsächlich an. Als sie mich ins Krankenhaus brachten, um mich zu operieren, bekam ich Angst. „Ich wäre doch zu sehr gebunden“, erklärte ich Mutter und Vater, die das verstanden. Sie hatten meinen Wunsch, eine Tischkickerfigur zu werden, eh nie verstehen können. Also rissen sie mich vom OP-Tisch und nahmen mich wieder mit nach Hause.
Heute bin ich froh, dass ich keine Figur in einem Tischkickerteam wurde. Nur auf einem Platz leben, nie etwas anderes sehen. Außerdem kann einem rasch schlecht werden, durch die Bewegungen, die die Kinder mit einem ausführen. Die Bezahlung ist beschissen. In den meisten Fällen bekommt man gar nichts. Nein, das ist kein Leben, das man sich wirklich wünschen sollte. Man hat im Grunde nie Feierabend, weil es zu einer Symbiose mit dem Tischkicker kommt. Wer sich entscheidet, ein Star der Tischkickerszene zu werden, muss wissen, dass er durch die Metallstange, an der man mit mehreren anderen Spielern hängt, zu einem Fleischstück auf einem Spieß wird. Und wenn man sich jetzt mit seinem Nebenmann nicht versteht? So einfach aussteigen kann man nicht. Beine und Mund werden nämlich zusammengenäht. Ernährt wird man durch eine Speziallösung. Gesehen habe ich es noch nie. Aber es muss sie geben. Sonst würden die ganzen Jungs der unzähligen Teams weltweit jämmerlich verhungern. Im Grunde wird man zu einer Marionette. Zu einem Sklaven derer, die einen benutzen, um sich einen netten Nachmittag zu machen. Tischkickerfiguren sind keine Stars, sondern durch eine Operation gezüchtete Sklaven. Widerlich! Wir sollten nicht länger zuschauen. Gehen Sie hin und befreien Sie diese armen Wesen! Führen Sie ihn an, den Aufstand der Tischkickerfiguren!
Guten Morgen, Welt!
Sonntag
Ich habe meinen ersten Roman mit sieben Jahren geschrieben. Oder war ich drei? Meine Eltern waren daran schuld. Sie verlangten, dass ich einen Roman schreibe. „Wenn du keinen schreibst, werden wir dich ins Waisenhaus geben müssen“. Das zog. Ich setzte mich also in meinen Laufstall und dachte über den widersinnigen Charakter dieses kleinen Korbs nach. Innerhalb von wenigen Tagen schrieb ich „Im Laufstall“, der von einem Baby handelt, das zum Tode verurteilt wird, weil es nachts jagt auf andere Babys macht. Die Fahndung läuft auf Hochtouren. Die Polizisten observieren alle Laufställe der Umgebung. Sie fahren mit ihren Bobby-Cars Streife, bis sie das Mörderbaby auf frischer Tat erwischen. Sie buchten es ein.
Es wurde ein großer, tragischer Roman, der sich mit Themen wie Schuld und Unzurechnungsfähigkeit auseinandersetzte.
Kein Verlag wollte ihn haben, also brachte ihn mein Vater im Eigenverlag heraus. Er kopierte die eine Seite und verkaufte sie direkt vor unserem Haus. Er ließ meine Geschwister Plakate malen, auf denen zu lesen stand: Schocker, Bluttriefend, Gewalttätig. Die Leute rissen ihm meinen ersten Roman, der, obwohl er nur eine Seite kurz war, siebenundneunzig Kapitel aufzuweisen hatte, aus den Händen. Sie schleppten ihn nach Hause. Innerhalb kürzester Zeit wurde ich zum Star der Literaturszene unserer Straße. Es kamen sogar Familien aus anderen Vierteln, um mich beim Kuchenbacken im Sandkasten zu beobachten. Sie konnten gar nicht glauben, dass ein so normales Kind einen solchen Roman schreiben konnte. Die Sprache wäre ausgefeilt. Das stimmte. Ich hatte dazu die Nagelfeile meiner Mutter benutzt. Hatte sie stundenlang über die einzelnen Buchstaben gezogen, bis nichts mehr zu erkennen war. Ich schrieb den ersten fantastischen Roman der Familie, einer, der die Fantasie anregte, weil jeder – dank meiner Feile – etwas anderes las. Eine ganz neue Form der Literatur. Die Gesprächsrunden an der Tischtennisplatte gerieten schnell außer Rand und Band. Es kam zu Schlägereien zwischen den Kritikern, weil jeder einen anderen Text gelesen hatte.
Rasch forderten meine Eltern Nachschub. Ein solcher Erfolg musste wiederholt werden. Sie schlossen mich in meinen Laufstall. Sagten: „Du kommst hier erst wieder raus, wenn du einen zweiseitigen Roman abgeliefert hast.“ Zwei Seiten. Wie sollte ich das schaffen? Ich konnte erst acht Buchstaben malen. Das war zu wenig für zwei Seiten. Schweiß tropfte von meiner Stirn. Weichte die Papiere ein.
Es war mein Vater, der meine neue Technik zuerst entdeckte. „Jetzt schreibt er mit Schweiß!“ Er hielt das nasse Papier triumphierend in die Luft. Die Kopien wurden von meinen Geschwistern vollgeschwitzt. Mein nächster Megaerfolg. Ein Schweißroman.
Den Rest der Geschichte kennen Sie! „Blut ist ein Fluss„, „Blutschneise„. Titel, die längst in jedem deutschen Wohnzimmerschrank zu finden sind.
Guten Morgen, Welt!
Samstag II
Den ganzen Nachmittag den dritten Teil meiner Tagebücher überarbeitet, die einen nicht unerheblichen Teil meines Werks ausmachen.
Buchstabe für Buchstabe ging ich mit den Augen ab, bald auf diesem, bald auf jenem verweilend, die Beine über die Ränder streckend, um die Tiefe, die ein Wort aufzuweisen hat, auszuloten. Vögel schossen über mein Haupt hinweg, sich in den gleißenden Strahlen einer dubiosen Sonne verlierend, die nicht viel mit dem uns bekannten Gestirn gemein hatte. An den Rändern stiegen Rauchwolken auf, als würde Sol verbrennen, als hätte jemand in seinem Inneren Feuer gelegt. Möglich wäre es, würde es mir doch eine Begründung für die enorme Hitze liefern, derer ich mich ausgesetzt fand. Hitze und Sonne. Da konnte etwas nicht stimmen.
Also drückte ich mich vom Buchstabengrund nach oben und hopste hinüber zum nächsten Buchstaben, einem G, in dessen Rundung ich es mir gemütlich machte. Ein G lässt sich als Schaukelstuhl gebrauchen, missbrauchen, das kommt auf die Sicht an, die man im Falle des G einnimmt. Nutzt man es, um sich in einem Wort zu bewähren, wird man nach dem tätigen G verlangen. Ist man ein Anhänger der gestammelten Sprache, wird einem das vergammelte G reichen, das man bisweilen, achtet man nicht auf seinen Werdegang, unter Brücken findet. Ein G, das sich g-ehen ließ, das sich dem Trunk und der unentwegten Schaukelei hingab, wird es schwer haben, ins Alphabet zurückzufinden. Genug der Belehrungen über die Lebensläufe mancher Buchstaben.
Guten Abend, Welt!