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Der Autor, den sie Horse nannten

Sonntag III

Hochrechnungen. Es kommt auf die Kopflage an. Ich liege auf dem Sofa und betrachte alles von der Seite. Die Welt ist gekippt. Sie ist aus dem Lot geraten. Da trifft eine senkrechte Visage auf meine waagerechte Betrachtungsweise. Die Zahlen sind kaum zu entziffern. Ja, wer hat denn jetzt gewonnen? Vermutlich nicht die FDP. Röslers Gesicht spricht auch seitlich Bände. Merkel jubelt. Steinbrück auch. Die Grünen zittern sich in ihre Reden.

Die Politik muss man sich als ein Fernsehbild vorstellen, dann kommt man ihr so nahe, dass man gar nicht weit genug flüchten kann, um ihr zu entkommen. Hochrechnungen. Balken, die, seitlich besehen, zu einer Treppe nach unten werden. Es geht also bergab, Deutschland. Ich wusste es.

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Die Stimmen

Die Stimmen (8)

Montag, 19. August 2013

Sein Bauch schmerzt.

Seit Tagen plagt er sich mit einem Bauch herum, der sich dehnt, als hätte sein Körper noch einiges mit ihm vor. Er hat gesurft. Das macht man doch so, wenn man krank ist. Man sieht im Netz nach, was einem fehlt. Bis zum finalen Krebstod sind es nur wenige Klicks. Das Internet hat die Geschwindigkeit eines Lebens, das sich bereits bei der Geburt seinen eigenen Tod ansehen kann.

Tee. Tee müsste helfen.

Der erste Tag Arbeit liegt hinter ihm. Er liegt hinter ihm wie eine Beziehung, die man täglich neu beginnt, um sie am Abend zu beenden, immer in der Hoffnung, dass die Ungeliebte bleibt, wo sie liegt. Fernab im Nichts. Am Rand der Welt, die von seinen Augen bestimmt wird.

Er hat geschrieben. Viel geschrieben. Es muss ja irgendwie mit seinem Roman weitergehen, einen, den sie ihm um die Ohren hauen werden. Aber wenn sie hauen, nehmen sie wahr. Das ist doch schon mal was.

In der Küche ist die Spülmaschine zu hören, es erinnert an den Motor eines Schiffes. Man steht weit oben an Deck und von unten ist ein Stampfen zu hören. Papperlapapp, denkt er. Ich war noch nie auf einem Schiff.

Seine Frau liegt auf dem Sofa, lesend, fernlesend, weil das Lesen ja ein Gleiten aus dem Alltag ist. Ein Sprung von wenigen Seiten kann von Moskau nach New York führen. Da gleichen sich das Internet und die Literatur. Beide bieten komprimierte Leben an.

Genug jetzt, denkt er und nimmt einen Schluck von seinem Tee und macht Feierabend.

Nur feiern wird er nicht.

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Die Stimmen

Die Stimmen (7)

Sonntag, 18. August 2013

Er hat wieder den ganzen Morgen herumgealbert. Texte, die alles zulassen, auch Fehler. Er ist jedes Mal selbst gespannt, was entsteht, wenn er die Zügel schleifen lässt.

Das sind die Stimmen, denkt er, diese unzählig vielen Stimmen, die in ihm tönen.

Jetzt hat sich, in dem Moment, da er etwas in sein Tagebuch einträgt, die Küchentür geöffnet. Seine Frau hat den Kopf rausgestreckt, im Haar eine Bürste, sodass sie aussieht wie ein Indianer. Er habe doch versprochen, heute nichts mehr zu schreiben, sagt sie. Aber, wehrt er sie ab.

Sie ist erzürnt. Verärgert. Nicht, dass er schreibt, sondern weil sie nicht möchte, dass er etwas verspricht, das er nach einer halben Stunde bricht.

Weniger, denkt er. Du musst weniger schreiben. Und das schreibt er auf. Da steht es, dass er weniger schreiben will.

Und jetzt?

Der Sonntag liegt wie eine freie Fläche vor ihm. Wie ein Stück Wiese, auf dem er sich austoben könnte. Er kann alles tun. Einen Kopfstand. Er könnte sich aufs Sofa legen. Lesen. Gut, denkt er. Nur nicht schreiben. Er hat es doch versprochen.

Er schreibt alles auf.

Gut, wenn man seinen Tag auch ohne die Schreiberei verbringen kann.

Morgen ist alles vorbei. Morgen wird er im Laden stehen und die Regale bestücken.

Aber aufschreiben werde ich das nicht, denkt er. Und was macht er? Er schreibt es auf.

Wenn ich morgen wieder arbeiten will, denkt er, ist der Sonntag eine Zeitbombe, die mir um die Ohren fliegen wird. Er sollte den Tag gut nutzen.

Das wird er tun. Heute wird er eine Schreibpause einlegen, denkt er – und schreibt es gleich auf.

Mehr nicht. Er will es ja nicht übertreiben.

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Lesereise des Grauens

Montag II

11.17 Uhr! Jetzt habe ich schon wieder den ganzen Vormittag an meinem Roman gearbeitet. Die Figur des Lancelot will mir nicht recht aus den Fingern fließen. Zweifel, ob das Projekt, das bereits auf zwei Seiten angeschwollen ist, weitergeführt werden sollte. Könnte stattdessen eine Zigarette rauchen. Die von gestern fordert eine Fortsetzung ein. Diese beständigen Zweifel des Großgenies. Soll ich Milchreis essen? Soll ich überhaupt essen?

Meine Frau Cosima telefoniert in der Küche mit ihrem Liebhaber. Sie wollen sich nachher am See treffen. Ob ich mich anschließen und einbringen sollte?

Tochter Xanthippe liegt auf dem Sofa. Sie ist krank. Die Kinder von heute machen eben was sie wollen.

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Lesereise des Grauens

Samstag III

Kurzer, letzter Eintag für diesen Tag. Muss natürlich Eintrag heißen. Tschuldigung! – Sie sollen sich keine Sorgen um mich machen, immerhin sind es jetzt (Blick auf die Uhr) 3 Stunden her, seit ich mich zum letzten Mal in meinem Tagebuch sehen ließ. Das kann schnell zu Gerüchten führen, man sei am Ende. Die Frau habe sich getrennt. Oder noch Schlimmeres. Ist aber alles in Ordnung. Danke für Ihre Nachsorge.

Ich habe den ganzen Nachmittag auf dem Sofa gelegen und gelesen. Zwischendurch habe ich mir noch Dave Brubeck angehört. Damit habe ich abgeschlossen, weil wir in Kürze zum Grillen bei meinem Halbruder gehen.

Obwohl erst 15.35 Uhr ist, wünsche ich Ihnen schon mal einen schönen Abend!

Bis morgen, Welt!

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Lesereise des Grauens

Dienstag

Während in England ein Baby zur Welt gekommen ist, habe ich schlecht geschlafen. Ich habe das Bett wie der Bauer den Acker durchpflügt, ohne zu säen allerdings. In dieser Nacht war Erntezeit. Ich habe das Unwohlsein des Körpers aufgenommen und in der Hand gewogen. Ich habe es für schlecht befunden. Und jetzt?

Ganz ehrlich, am liebsten würde ich mich übergeben. Keine Ahnung, was da los ist! Es könnte sein, dass ich etwas „falsches“ gegessen habe. Ein halbes Rind, nachher noch einen eingelegten Auerhahn. Ich höre schon die Meckereien der Leute, die mich vor meiner Maßlosigkeit warnen wollen.

Alle großen Schriftsteller waren maßlos. Sie haben gesoffen, gebetet, gefressen, als ob es kein Morgen geben würde. Klar. Das hat gar nichts damit zu tun, ob man Schriftsteller oder Müllmann ist. Es hat damit zu tun, ob man sich im Griff hat. Und im Griff, das muss ich mal auf das Tablett eines solchen Tagebuchs legen, habe ich mich überhaupt nicht.

Viel lieber lasse ich mich mir entgleiten. Ich rutsche mir am liebsten durch die Hände. Nur um zuzusehen, wie ich am Boden aufpralle und in tausend Stücke zerspringe. Anschließend lese ich mich auf.

Und das, heute wird es schwierig, passen Sie also auf, tue ich im wahrsten Sinne des Wortes. Ich liege im Bett oder auf dem Sofa und lese mich auf. Ich versuche mich in einem Roman zu finden. Irgendwo dort draußen ist ein Buch, das meine Geschichte erzählt. Ausgerechnet meine. Das ist verrückt. Das ist der Wahnsinn! Wie konnte das Roth wissen? Updike? Ich lese wie im Fieberwahn. Ich gesunde durch die Krankheit des Lesens. Und dann? Ein Wunder ist geschehen. Ich bewege meine Füße, meine Beine. Ein Wunder! Ich kann laufen. Dank eines Romans, der mir eine Geschichte schenkte, meine Geschichte, kann ich wieder laufen.

Und weiter geht es. Maßlos leben. Wieder lasse ich mich durch meine Finger gleiten. Das alte Spiel. Ein Unbelehrbarer!

Guten Morgen, Welt!

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Lesereise des Grauens

Sonntag III

Jetzt hat der Sommer doch noch mit voller Wucht zugeschlagen. Ich saß den ganzen Tag auf meinem Sofa, um nichts zu riskieren. Fernsehen ist klasse. Polizisten auf der Jagd nach Temposündern. Das braucht man als Literaturstar auch mal. Einen Einblick in die bundesrepublikanische Wirklichkeit. Sonst verliert man die Bodenhaftung.

Die Kinder sind alle wieder aus dem Haus. Gut so, sagte ich zu meiner Frau. Kinder sind eine feine Sache. Aber jeden Tag? Das muss nicht sein.

Heute Abend soll ein Film von Quentin Tarantino auf Arte kommen. Den werde ich mir bestimmt ansehen, weil ich seine Filme mag, vor allem den über den beinamputierten Fotojournalisten, der einen Mord aus seinem Fenster beobachtet. Wahnsinn! Alles in einer Wohnung gedreht. Die Leute, denen sie gehörte, mussten bestimmt vorübergehend ausziehen. Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört, weil man seine größten Geheimnisse teilt. Die Kameraleute und Regisseure und Drehbuchautoren durchstöbern vielleicht alles. Ob man das will? Ich weiß es nicht!

Toller Tag auf jeden Fall, mit einer Menge Hitze, die ich so genau auch nicht kennenlernen musste. Das geht mir an die Substanz. Da klappt ruckzuck mein Kreislauf zusammen. Und dann? Plötzlich liegt man hilflos in der eigenen Wohnung, während im Fernsehen die besten Shows laufen. Scheiße, denkt man, wenn man wieder erwacht und sich ins Bett schleift.

Guten Abend, Welt!

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Das linke Ohrläppchen des Satans

Dienstag II

So ein Sonnentag ist ein Tag zum Rumliegen! Sich mal nicht rühren. In der Totenstarrposition verharren. Mal zum Möbelstück werden. Zum Sekretär. Zum Tisch. Zum Vorleger. Den anderen vorliegen, wie man richtig liegt. Aufliegen muss der Körper. Ganz flach auf dem Sofa aufliegen. Und dann mit den Gedanken fliegen. Hoch hinaus. Mindestens bis zur Sonne. Links daran vorbei. Und dann Richtung Unendlichkeit. Und drüber hinaus, weil die Unendlichkeit noch nicht weit genug ist. Man hat ja Zeit. Abendessen gibt es noch nicht. Nicht mal eine Zwischenmahlzeit. Dafür eine Zwischenlandung, eine hirnmäßige, auf dem Planeten der Geräusche. Da bekommt man einen satten Rausch von all den Geräuschen. Mähdreschergeräusche. Und die vom Vogel, der im Zimmer in seinem Käfig sitzt. In der Küche rührt die Frau in einer Schüssel. Die elektrische Pfeffermühle quickt. So ist das, wenn man aufliegt und via Kopf zum Geräuschplaneten gereist ist. Eine Menge an Geräuschen. Keine Menschenseele zu sehen. Auch keine von einem Außerirdischen, der dort ein Innerirdische ist, während du ein Außerirdischer bist. Das Leben dort besteht aus eine schier unsinnig großen Ansammlung von Geräuschen. Da sind welche, die sich waschen. Und welche, die sich für die Arbeit fertig machen. Das muss schon sein. Man kann nicht an die Arbeit, ohne sich fertig gemacht zu haben. „Drecksau! Nichtswürdiger! Unhold! Sträfling! Arschloch!“ Immer schön drauf. Immer schön fertigmachen. Ist das geschafft, geht es ab an die Arbeit, während man selbst aufliegt. Auf dem Sofa. Was will man denn sonst an einem solchen Tag machen? Einem solchen Sonnentag. Sich ausstrecken. Zur Strecke werden. Zur Fahrbahn für Gedanken und Träume. Zur Start- und Landebahn für Worte. Probeliegen für den Sarg. Für das endgültige Aus! Abschalten. Totstellen. In der Sonne liegen und die Leber beweinen. Mengen von Wein, damit man wächst und gedeiht.

Und aufs Hirn schlägt sie auch, die Sonne. Klar!

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Das linke Ohrläppchen des Satans

Samstag III

So wird das kommen! Warum auch nicht!? Direkt nach meinem Tod. Sie werden aus dem Haus ein Museum machen. Schulkinder, die von ihren Lehrern gezwungen werden, müssen die Zimmer besichtigen, in denen ich einst lebte.

Und hier …

Was?

Hier saß der Dichter und gab sich seinen Gedanken hin!

Ein Junge: Issen einfaches beschissenes Klo!

Führer: So kannst du das nicht sehen.

Ein Junge: Wie denn?

Führer: Dort saß der Dichter und …

Ein Junge: Er saß da und hat geschissen.

Führer: Gedichtet hat er.

Ein Junge: Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich sitz auf sonem Ding und erleichter mich. Und Sie?

Man wird auf das Sofa zeigen. Von dort aus sah ich in den Fernseher. Das Bett wird betastet. Abgesucht. Da muss doch etwas sein. Ein Spermafleck?

Führer: Das ist die echte Bettwäsche. In der lag der Meister.

Eine Frau: Sauerei, so was. Muss man wechseln. Es riecht hier auch.

Führer: Das ist der Geruch der Weltliteratur!

Eine Frau: Quatsch! Stinkt nach toten Ratten. Von wegen Weltliteratur …

Und so kommt man plötzlich ins Gerede, tief hinein ins Gequatsche, in dem man nie enden wollte. Wird einem egal sein. Man ist ja tot, auch wenn die Knochen, die blank-weißen Gebeine unter Glas ruhen.

Führer: Und hier sehen Sie den Autor höchstpersönlich!

Ein Junge: Er issen Haufen Knochen!

Führer: Nun, mein Junge, er ist tot!

Eine Frau: Das ist krank, was Sie uns hier vorführen. Pervers ist das!

Gruppe an Gruppe wird man an mir vorüberschieben, man wird auf mich zeigen, dem es einerlei ist, weil es ihn nicht juckt, was dort draußen geschieht.

Tot ist tot, flüstere ich mir zu.

Das Geflüster wird von keinem wahrgenommen. Keiner hört, was ich zu sagen habe.

Die Literaturgeschäfte müssen laufen. Drum wird Gruppe um Gruppe durch die Villa geführt. Alles wird besichtig, alles ist wichtig. Man zeigt meine Schuppen, benutzte Taschentücher, Haare, die ich im Bad verlor.

Andächtiges Staunen über so viel geballte Menschlichkeit!

Ein Mann: Ich dachte, er wäre ein Genie, und nun muss ich das hier sehen …

Führer: Auch Autoren hobeln sich hin und wieder die Hornhaut von den Füßen!

Ein Mann: Im Grunde haben mir seine Bücher nie gefallen!

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Das linke Ohrläppchen des Satans

Donnerstag II

Und jetzt plötzlich höre ich auf dem linken Ohr kaum noch etwas. Die Töne, die durch die Villa driften, büßen an Lautstärke ein. Die Welt verkommt zu einem gedämpften Etwas, zu einem Gast, der flüstert. Unverstandene Welt. Nicht der schlechteste Zustand, um die Geräuschkulissen des Alltäglichen neu abzuschreiten. Man begeht quasi mit dem verbliebenen rechten Ohrlauscher das Unerhörte. Neuwahrnehmungsexpeditionen. Was war das? Ein Seufzen? Nein, nur der Ventilator, der wild um sich schlägt. So rasch kann man sich verhören, obwohl man doch verhören wollte.

Ein Arztbesuch scheint noch nicht nötig! Man kann sich erholen!

Das Wetter scheint sich für ein Unentschieden entschieden zu haben. Mal graue Wolken, mal Sonnenstrahlen. So ein Hin und Her der Gefühlslagen hält der stärkste Ochse nicht aus. Vielleicht daher die Befindlichkeitsstörung meines linken Ohrs! Ein Ohrstreik sozusagen! Weghören! Ein erstes Ausklinken des Körpers aus den Tatsachen des Lebens. Sinnflucht!

Nachdem ich den Tagebucheintrag durchgelesen habe, muss ich den Kopf schütteln. Was für ein aufgeblähter Wortschwall. Als ob man ins Word geniest hätte. Man schlägt es auf und schaut sich den zufälligen Treffer an. Ergibt das überhaupt noch einen Sinn? fragt man sich. Egal, jetzt wollen wir nicht anfangen und schon die Rotzfahnen der Literatur hinterfragen. Am Ende schreibt man moderne Lyrik! Und was kommt dann?

Meine Frau Brunhilde (Name geändert) residiert im Moment auf dem Sofa, das sie beliegt, um herauszufinden, was in ihrem Buch steht. Welches sie gerade liest? Ja, was weiß ich denn! Kommen Sie halt her und fragen Sie sie selbst!

Guten Abend, Welt!

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Funkenmariechen des Todes

Samstag (Zwischennotiz)

Die Ruhe vor dem Sturm, der bestimmt kommt. Einer lauert immer. Irgendwo.

Regen platscht gegen die Scheiben. Die Rohm-Frau liegt auf dem Sofa, in sich gekehrt, weil das Außen auch mal im Innen ankommen will.

Währenddessen spielen die Kinder Kinder, die Kinder spielen.

Gegrillt wurde auch. Es ist der Wille zum Grillen, der den Menschen zum Untermenschen macht.

Und ich habe gelesen, alles aufgelesen, was mir zwischen zwei Buchdeckeln zwischen die Augenfinger kam. Eine Menge Buchtstaben, ein Meer davon, in dem meine Fantasie unruhig schaukelt.

Der Regen hält inne. Vogelgezwitscher. Nachmittagsseligkeit. Geklapper der Schreib-Mühle am rauschenden Blog.

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Funkenmariechen des Todes

Donnerstag II

Die Untat ist es, die uns beflügelt. Deshalb lag ich den ganzen Tag, den ganzen bisherigen, um genau zu sein, auf dem Sofa und las einen Roman von Heinlein, Fremder in einer fremden Welt. Gerade Heinlein musste es sein, mit dem ich so viele Stunden im Kindheits-Bett verbracht habe. Lese ich ihn jetzt, ist es eine Reise zurück in die Leichtigkeit der Anfänge, des Unbeschwerten, des Zerträumten. Die Sprache, oftmals unfreiwillig komisch, aber auf eine Art, die mich lächeln und bei der Sache bleiben lässt. Ich könnte mir vorstellen, mich ganz und gar auf die Retronomie zu konzentrieren, um in exakt dieser Wissenschaft meinen Anti-Doktor zu erwerben. Rückzugsgedanken durchpulsen meine Schläfen. Aus Gründen der inneren Einkehr, werde ich mein Facebook-Konto vorübergehend mit dem Namen Jubal Harshaw schmücken!

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Funkenmariechen des Todes

Mittwoch

Wie wird das sein, wenn ich tot bin? Staatsbegräbnis. Anreise diverser Präsidenten. Die Kanzlerin – bis dahin eine Transe – weint sich kleine perlenartige Tränen aus den Augen und hinterlegt sie auf einem roten Samtkissen.

Die Villa wird abgesperrt. Ein Meer aus Blumen davor, in dem bereits die ersten kleinen Kinder ertranken. Unwiederbringlich verschwunden. Taucher mühen sich, ihre Körper zu bergen. Die Schriftsteller des Landes (der Welt?) stellen ihre Dienste ein. „Ohne IHN macht es keinen Sinn mehr!“, lassen sie verlautbaren. Selbstmörder, die in meinen Romanen einen letzten Halt fanden, stürzen sich von Brücken. Vom Eifelturm. Vor Züge.

Die Welt hält nicht den Atem an, sondern verschluckt sich an einem Übermaß Luft. Panikattacken allenthalben. Krimikritiker weisen auf einzelne Worte innerhalb des Werks hin. Wie hier das „und“ gebraucht worden sei. Dort das „weil“. Wunderbar! Alles sei von einem Zauber durchdrungen. Von Magie. Man müsse die Romane rückwärts lesen lassen. Von Priestern. Es müsse durch Lautsprecher erfolgen. Das könne die Menschheit retten. Es könne zu einer Reinigung des Weltgewissens kommen.

Man wird meinen Leichnam aufbahren. Nicht nur an einem Ort. Es wird zu einer Tournee kommen. Mein einbalsamierter Körper wird auf Reisen geschickt. Nord- und Südamerika. Afrika. Asien. Australien. Man wird Hallen anmieten. Stadien. Die Menschen werden strömen, um mich ein letztes Mal – sei es auch nur über einen der Großbildschirme – erblicken zu können. „Das war er?“, werden sie ungläubig flüstern. „Ein so schöner Mann. Kein Foto auf einem Bucheinband konnte ihm gerecht werden.“

Derweil wird meine Villa zu einem Museum umgerüstet. Alles wird von Belang sein. Nichts wird wertlos erscheinen. „Von diesem Gäbelchen aß er!“ Man wird das Sofa nach Haaren absuchen. Wird nach Geruchspartikeln fahnden. Nach einem Rest, der etwas über mich erzählen könnte. Der Epilog wird in vollem Gange sein, da werden die ersten Nachrichten über meine Auferstehung kursieren. Ich sei zurück, werden die Nachrichten verkünden. „In Sydney ereignete sich heute Unglaubliches!“ Ich werde mir die letzten Haare raufen. Werde mich aus meinem Sarg erheben, weil noch nicht alles geschrieben sei. Es fehle noch eine Kurzgeschichte. „Bringt mir Papier, Feder und Tinte!“ Beobachtet von den Kameras aus aller Welt, werde ich meine letzte Geschichte schreiben. Rasch. So war man es gewöhnt. Ich werde auf das Papier blicken. Ein wenig entzückt vom Geschriebenen. Totenstille liegt über allen Städten, Häusern, Hütten. Ich werde nach hinten sinken. Beruhigt sterben.

Ein Furz wird ertönen. Eine Ermächtigung des Körpers. Entweichendes Gas. Man wird es geflissentlich überhören. Einige hartgesottene Jünger werden sich fragen, ob ich damit eine Nachricht hinterlassen wollte. Der Furz wird ihnen keine Ruhe lassen. Sie werden die Fernsehbilder wieder und wieder abhorchen, um ihn – falls möglich – zu dechiffrieren.

Indes werden meine Trauerfeiern einem Ende zugeführt. Tot ist tot. Es gelte sich, ab sofort um mein Nachleben zu kümmern. Ausstellungen in den großen Museen. Eine Werksausgabe. Darin selbstverständlich auch meine letzte Kurzgeschichte, die man leider nicht entziffern kann. Man bemüht Fachleute, die einen Text übersetzen, der folgendermaßen lautet: Sozu Bucki nutzi wutzi tut …“ Drei Seiten des Wahnsinns. Des Unverstands. Man wird mutmaßen, dass es sich dabei um eine jenseitige Sprache handeln könnte. Erste Religionen gründen sich. Sie rufen mich zur Gottheit aus. Kirchen werden errichtet. Altäre auf denen Nachwuchsautoren geopfert werden, die es sich anmaßten, „Krimis im Sinne des Meisters“ zu schreiben. Es wird keine Ruhe geben. Die kommende Welt wird ganz im Schatten meines Werks leben. Abgelenkt davon, kommt es zum erhofften Frieden zwischen den Völkern. Rassenschranken fallen. Leser ist Leser. Hautfarben interessieren nicht. Frauen und Männer feiern ein rauschendes Fest der Gleichberechtigung. Vor allem wird man meine Bescheidenheit betonen. Kein eitles Wort sei in den Tagebüchern zu finden. Kein Wort des Eigenlobs. Ein Mensch, der sich hinter seinen Erfolg zurückzog und dort verblieb.

So oder so ähnlich könnte es kommen, wenn ich dereinst sterben werde.