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Monsieur Flanell und das Geheimnis von Kleinlüder

Montag

Die Weihnachtsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Überall versteckt meine Frau bunt bemalte Eier. Die müssen die Kinder am Weihnachtsmorgen suchen. Es ist eine aufregende Zeit. Auch ein Weihnachtsnest steht für jeden, der zu Besuch kommt, bereit. Am Weihnachtsabend wird es nahezu unheimlich, wenn der Weihnachtshase an die Tür klopft (meistens spiele ich den). Alle drücken sich in die Kissen des Sofas und sehen mich mit ängstlichen Augen an.

„Ich bin der Weihnachtshase. Ich habe einen langen Weg hinter mir. Durch zahllose Dimensionen musste ich reisen, in denen es fürchterliche Dinge zu sehen gibt. Wart ihr denn auch alle brav?“

Innerlich muss ich kichern, wie meine Frau und die Kinder um ihr Leben zittern.

Sie bekommen alle ein Geschenk aus meinem Hasensack.

Und dann entschwinde ich wieder in die Nacht, während die Familie feiert.

Guten Morgen, Welt!

Besinnlich

Ich besinnlich
mag es nicht,
wenn jemand zu
besinnlich wird,
ist dies doch ein
Eingriff
in meine Besinnlichkeit.
Früher störte es
mich nicht.
Da litt ich an einer
Besinnlichkeitsstörung.
(Für mich besinnlich,
war das ein Drama.)

Aber diese Zeit ist
überstanden.

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Monsieur Flanell und das Geheimnis von Kleinlüder

Sonntag

Das Essen, das ich an diesem Tag eingenommen habe, ist wieder einmal sehr gut gewesen. Ich schreibe hier mit bedacht und spitzer Feder „sehr gut gewesen“, weil es nun nicht mehr ist. Es ist den Weg allen Essens gegangen, das bei uns zubereitet wird.

Nach dem Essen platzierte ich mich in einer gewagten bis aufreizenden Pose auf dem Sofa. Die Kinder spielen in der Küche derweil diverse Spiele, deren Sinn sich mir nicht ganz erschließt. Ihre Stimmen tönen wie zerbrechliche Vasen zu mir hinüber, zu mir, der ich den Ausblick aus dem Fenster genießen könnte, wäre es nicht so gegen meine Blickrichtung eingebaut worden.

Ein typischer Vorweihnachtssonntag. Genießen Sie die Zeit!

Ihr Tagebuchautor

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Monsieur Flanell und das Geheimnis von Kleinlüder

Heute vor 10 Jahren

Heute vor 10 Jahren starb Viktor Seifert, der dafür bekannt war, einen aufwändigen Lebensstil zu führen. Sein gesamtes Leben war von Wänden durchzogen.

„Die Wände nehmen mir die Sicht. Meine Fantasie wird angeregt. Manchmal stehe ich stundenlang an einer der Wände und versuche herauszufinden, was auf der anderen Seite geschieht. Das ist großartig. Ich rate allen Paaren, die sich nicht mehr sehen können, solche Wände einziehen zu lassen. Man wird wieder neugierig auf den anderen. Der Wunsch, sie einzureißen, wird übermächtig. Man kann sie auch bemalen. Man kann Bilder aufhängen. Wände sind mein Leben. Durch meine Küche verlaufen drei. Ich weiß nie, wer mit am Tisch sitzt. Mein Leben ist mit den Wänden spannender geworden.“

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Monsieur Flanell und das Geheimnis von Kleinlüder

Samstag

Ich habe den Morgen auf meiner Zitate begrüßt, die ich dereinst von meinen Eltern geschenkt bekam. Ich kann mich gut erinnern, wie sie da unter dem Weihnachtsbaum hockte, eingepackt wie ein Mann, der siebzehn Mäntel trägt. Mantel auf Mantel schälte ich ab, bis sie in ihrer ganzen Schönheit vor mir lag. Ich versuchte mich an einem Ton, der an einen Ton von Charlie Parker erinnerte. Nichts. Die Zitate ist eines der schwersten Instrumente der Welt. Sie wiegt vier Tonnen. Wir benötigten die Nachbarschaft, um sie in mein Zimmer zu bringen. Dort stand sie dann und wartete auf meine Lippen. Später brachte mir ein Zitatist die Bespielung des Instruments bei. Inzwischen kann ich Töne von Musikern aus der ganzen Welt nachspielen.

Was sonst noch? Ach ja! Über Mail fragte ich bei Ingrid Schmitz nach, ob es möglich sei, Migliederin bei den „Mörderischen Schwestern“ zu werden. Die Antwort steht noch aus.

Guten Morgen, Welt!

Nachtrag: Man versagt es mir, eine Mitgliederin zu werden. Schade.

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Freitag

Merkwürdig. Da ist dieses Geräusch im Ohr. Eine kleine Grille, die unaufhörlich zirpt. Das scheint mir eine Art von Tierbefall. Der eine hat eben Läuse. Ich habe eine Grille. Sie sitzt direkt im linken Ohr. Was fressen Grillen eigentlich? Rasch eine Zigarette. Ich puste mir den Qualm umständlich zum Ohr hinauf, um sie auszuräuchern. Schreckliche Geschichten könnte man ihr erzählen. Dass ich ein Grillenvertilger sei. So eine Grille wird nichts auf den Knochen haben. Macht die überhaupt satt? Und im rechten Ohr? Nichts! Warum hat das sie linke gewählt. Ist darin eine politische Botschaft versteckt? Ist sie eine dem Kommunismus zugeneigte Grille, der weitere folgen werden? Fragen über Fragen, die ich fein säuberlich notiere. Gibt es ein Übersetzungsprogramm Grille-Mensch? Zirpen sollte in der Volkshochschule gelehrt werden. Wie sie da alle in mitgebrachten Büschen sitzen und zirpen. Ich kann es bereits vor mir sehen. Das Zirpen könnte die Kommunikationsform der Moderne werden. Wer nicht zirpt, der wird nicht mehr verstanden. Filme werden selbstverständlich auch gezirpt. Für die, die auf der Strecke bleiben, wird es Untertitel in Menschianisch geben. In allen Sprachen, sodass die Leinwand damit überläuft.

Es plagen mich also bereits Grillenvisionen einer zukünftigen Welt. Die Welt als Grille und Kinovorstellung.

Guten Morgen, Welt!

Wie ich zur Prärie wurde

Ich erwachte
mit einer Grille im Ohr.
Ja, was macht denn
das Tier da?
Sie zirpt.
Warum zirpst du dich
hinauszukommen?
fragte ich.
Keine Antwort.
Was blieb mir übrig?
Ich machte mir ein
Lagerfeuer
und stellte mir vor,
eine Prärie zu sein.

 

 

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Anhalter

Ich fuhr nie mit. Das lag mir nicht im Blut. Ich war ein Anhalter. Ich hatte beschlossen, mich nicht mehr von der Stelle zu bewegen. Da stand ich. An der Auffahrt zur Autobahn. Mein Daumen zeigte zur Erde. Hinab auf meine Füße. Das sollte den Leuten anzeigen, dass ich ein An- und Innehalter war. Ein Auf-der-Stelle-Verbleiber. Wenn einer anhielt, beschimpfte ich ihn. Ich würde nie aufgeben. Das erste Jahr lebte ich von den Lebensmitteln, die aus den Autofenstern geschmissen wurden. Später verkleidete ich mich als Burgfräulein und überfiel Autofahrer, die meinem Scham verfielen. Die Polizei bekam mich. Natürlich. Einen An- und Innehalter bekommt man immer. Mist!

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Donnerstag

Heute Morgen hat mich der Morgenblues am Wickel. Das ist eine seltsame Erkrankung des Gemüts, die dazu führt, dass man nicht gerne aufsteht. Die Morgenblueskranken bleiben viel lieber liegen und sehen sich Filme von Dick und Doof an. Oder einen von dem Tier, das alle anderen rettet. Bussi! Schon mal davon gehört? Bussi ist ein Tier in seinen jungen Jahren, das verrückte Abenteuer rund um sein Wohngebiet erlebt. BUSSI UND DIE TORTENSCHLACHT. Das war die Folge, in der Bussi sein Herrchen Reinhard aus den Fängen einer Tortenschlachtgesellschaft rettet, die illegale Tortenschlachten veranstalten. Ziemlich krank und pervers. Aber geben soll es das ja.

Guten Morgen, Welt!

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Mittwoch

Heute kein Eintrag. Früher war ich froh, wenn ich keine Einträge hatte. Am Ende bekamen das die Eltern mit und man bekam Haue. Haue war nicht besonders beliebt. Niemand wollte ihn haben. Trotzdem reichten ihn die Eltern gerne weiter. Rüdiger Haue, der die Backen, die oben und unten, rot werden ließ. Allein die Drohung seiner Ankunft ließ uns zucken. Sie kündigten ihn an, als wäre er eine Süßigkeit.

„Gleich gibt es Haue!“

Es gab auch welche, erzählt die Sage, die sich darauf freuten. Die sich einen Latz umbanden und mit einem Löffel in der Hand warteten.

Wenn er nicht kam, heulten sie Rotz und Wasser. „Wo ist Haue?“, fragten sie.

Aufgeregt wurde telefoniert. Irgendwo musste er ja stecken.

„Ist der Rüdiger bei euch?“

„Nein, der treibt sich schon wieder in der Kneipe rum.“

So war das früher.

Guten Morgen, Welt!

Gedicht des Tages:

Riesenerfolge

Da muss man aufpassen,
dass die einen
nicht tottreten,
wenn man die hat.

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Große Verbrecher (1)

Es ist lange her. 1986 oder 1987. Damals lebte der bekannte Ausstecher Martin Martinez auf einer kleinen Insel, die unbenannt bleiben möchte. Martinez stach aus, was ihm in die Quere bzw. zwischen die Finger kam. Unter anderem stach er Plätzchen und einen Mitbewerber um die Gunst einer Frau aus.

„Ausstechen. Das ist doch keine Kunst. Wenn Sie z.B. jemand, der sich um den gleichen Job bewirbt, ausstechen wollen, nehmen Sie einen dieser überdimensionalen Ausstecher und stechen ihn aus dem Leben. Sie legen ihn auf ein Blech, bestreichen ihn mit Butter und dann ab damit in den Backofen.“

Als gesuchter Mehrfachausstecher befand sich Martinez in den Jahren 1992 und 1993 auf der Flucht vor der Polizei, die ihn als einen der skrupellosesten Ausstecher der Kriminalgeschichte bezeichnete, den man unter anderem daran erkennen könnte, dass er nie ohne Schürze und Kochmütze aus dem Haus gehe.

Martinez wurde trotz dieser Hinweise nie gefasst. Die Legende besagt, dass er zwischenzeitlich eine Kochsendung im argentinischen Fernsehen moderierte.

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Dienstag

Ich habe die ganze Nacht an meinem neuen Gedicht „Von den Schlafenden auferstanden“ gefeilt. Da stimmte etwas nicht. Ich versuchte es in der Tradition der Alten zu schreiben, wie ich es nenne, wenn ich ein Gedicht klingen lassen möchte, als hätte man es in einem Tonkrug am Schwarzen Meer gefunden. Alles sehr schwierig, zumal ich Michaelianer benutze. Nichts gegen Alexandriner, aber seit ich mit Michaelianern und Torstinern experimentiert habe, bin ich für die Lyrik der Masse verloren. Früher haben wir noch in Humpen geschrieben, damit bezeichnet man eine Vershand, in der auf eine Silbe eine nächste folgt. Technisches Palaver unter Profis.

Guten Morgen, Welt!

Von den Schlafenden auferstanden

Huch!
Entsetzt
weichen sie vor mir
zurück,
die Ungläubigen.
„Der Auferstandene!“
„Stimmt! Jetzt erst mal
aufs Klo
und dann einen
frischen Kaffee!“

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Montag

Ich war gestern auf dem Weihnachtsmarkt, der in diesem Jahr in Fulda Halt macht. Der Fuldaer Weihnachtsmarkt ist, wie ihr vielleicht wisst, ein Wanderweihnachtsmarkt, der das ganze Jahr von Stadt zu Stadt zieht. Nikoläuse, die durch einen brennenden Reifen springen, sind das wenigste, was er zu bieten hat.

Ich lief, meine Schritte abzählend, was auf meine Jahre als Mathematiker zurückzuführen ist, zwischen den Buden entlang, aus denen die köstlichsten Gerüche krochen. Man bot alles an, was das Herz erfreut.

Fohlen wurde auch angeboten. Widerlich! Und als wäre das nicht schon schlimm genug, hatte man, kurz bevor das Fohlen geschlachtet worden war, eine Fotostory mit dem armen Tier aufgenommen. Es stand wackelig auf einer Wiese, während aus seinem Maul eine Sprechblase kam, in der zu lesen war, dass es das Leben großartig fand.

Wann würde man endlich solchen Verbrechern das Handwerk legen? Aus Protest aß ich nur eine halbe Portion. Der Verkäufer erzählte mir, dass sie früher hier auch Menschenfleisch angeboten hätten. Aber die Gesetze hätten ihnen das Geschäft kaputt gemacht. Ich kaute und nickte und beobachtete eine Gruppe von Gästen, die gar keine Gäste des Markts, sondern Schausteller waren, die sich darauf spezialisiert hatten, ahnungslose Kunden zu spielen. Sie sangen Weihnachtslieder, später übergab sich einer von ihnen sogar so echt, dass ich glaubte, er hätte tatsächlich zu viel getrunken. Aber nein, ich konnte das Gekicher der Kollegen hören.

Auf jeden Fall war es wieder eine tolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Guten Morgen, Welt!

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Monsieur Flanell und das Geheimnis von Kleinlüder

SONNTAG. Die Tankstelle für den Abschalter.

In bin bei SONNTAGs angekommen. Sonntag, die Tankstelle der Woche, in der ich mir Nüsschen und Gummibärchen und Zigaretten kaufe. Ich stiefele rasch zu meinem wendigen Wagen hinaus, um ihn zu betanken, meinem Körperwagen, der ausreichend Sprit für die nächste Woche braucht. Ich tanke Filme und Bücher, die gluckern zwar zäh durch den Schlauch, aber sie passen, wurde er doch in einer Fabrik für Sonntagskinder hergestellt.

Ja, ich bin ein Tankstellenkind, ein Sonntagskind, zumindest heute, denn ist erst Montag, bin ich ein Montagskind.

SONNTAG. Die Tankstelle für den Abschalter.

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Mischmasch Monsieur Flanell und das Geheimnis von Kleinlüder

Aus meinem Fotoalbum

schnee 009

Verschmitzt blicke ich ins Schneetreiben hinaus