Beppo ist kein Ich-Erzähler mehr. Jetzt nicht mehr. Es hat sich ausgeicht. Basta. Fortan wird der einzigartige Beschreibungsfinger des Autors die Buchstaben der Tastatur drücken, um die wenigen Seiten, die noch bleiben, mit Beppos Geschichte zu füllen.
Bisher hat Beppo selbst entscheiden dürfen, was mit ihm geschieht. Das ist nun vorbei. Ein für alle Mal.
Mit dem Präsens muss er sich auch erst anfreunden. Alles soll plötzlich Gegenwart sein. Das will er nicht. Nein, nein, nein!
Ihm bleibt aber nichts anderes übrig, denn schon zwingt sich der Wille des Schreibenden in seine Beine, muss der doch noch nachsehen, wer an seiner Tür geklingelt hat (siehe Kapitel mit der Türklingel).
Beppo wehrt sich. So einfach will er sich den Göttern nicht opfern. Warum hat er das alles getan? Die Geheimagentenausbildung muss doch einen Sinn haben. Alle Kampfsportarten beherrscht er.
Beppo hebt verzweifelt den Kopf und müht sich zu sprechen: „Bösartiger Demiurg, lausche mir. Abstrus, zugegeben, war bisher alles. Aber das schlägt dem Fass jetzt den Boden aus.“
Schallendes Gelächter aus der Dichterklause. Über so einen Burschen kann der Erfinder von Romanen wie „Loch der tausend Augen“ und „Dein Leben in meinem Qualmund“ nur lachen. Was will der Bursche denn? Dem wird er es noch zeigen.
Beppo reibt sich die rechte Wange. Die Ohrfeige kam unvermittelt.
„Lauf nun, Blödmann“, meldet sich der Godfather zu Wort.
Beppo ist im Grunde Fatalist. Darum gehorcht er und schleicht knurrend zur Tür, nachsehen, wer Einlass begehrt.
Der Postbote ist es, der ihm zwei Briefe überreicht, einen von seiner Falsch-Mutter, einen vom alten Schweden, der ihn kurz und knapp auf die Möglichkeit seines baldigen Ablebens hinweist.
Der Brief von Falsch-Mama ist mit Tränen übersät, die Falsch-Mama geflissentlich nachgezeichnet hat, damit man auch genau sehen kann, wo sie das Blatt benetzten.
Er solle sich ja immer warm anziehen. Man vermisse ihn. Wenn er seinen ersten Urlaub bei der Kanzlerin einreicht, soll er sich mal sehen lassen. Man würde sich über ihn freuen. Immerhin wäre man ja beinahe mit ihm verwandt.
Beppo nickt den Brief verzweifelt ab. Jetzt hat er sich die Ehe, die sich für ihn hätte ergeben können, durch die Finger gehen lassen. Das Mädchen vom Fitnessstudio wird längst mit einem anderen durch Paris schlendern.
Die Stadt, das muss er zugeben, ist natürlich die Wucht. Stadt der Liebe. Überall liegen sie herum. Lieben sich an allen unmöglichen Orten. Paare, die die Eingänge zur Metro verstopfen. In der Seine treiben sie massenhaft. Sich küssende Münder, die sich gegenseitig auffressen. Was so auch schon vorkam. Man liebt sich eben bis zur Schmerzgrenze. So was kennt man in Deutschland nicht. Da wird stramm gestanden, wenn es die Liebe verlangt. Man fickt nicht, sondern marschiert ein. Da wird nicht französisch gemacht, sondern man nimmt den Mund zu voll. Deutschland ist eben das Land der Nationalsozialisten. Das hängt im Deutschen drin. Das beweist er mit jeder Paulskirchenrede aufs Neue. Wenn der Deutsche ein Lager sieht, denkt er nicht an Ferien, sondern daran, wen er alles hier internieren könnte.
Frankreich dagegen lebt von Wein und freier Liebe, von wilden Lippen, von Rauch, von Diskussionen über die Existenz, von dicken Brillengläsern.
Beppo wagt es kaum, einen Schritt vor die Tür zu setzen. Die Augen muss er zuhalten, unterlässt es aber. Sein Auftrag lautet, den alten Schweden zu finden und zu eliminieren. Das stellt er sich besonders schön vor. Endlich einen Bösewicht totschießen, aufhängen, ausweiden.
Jetzt aber erst mal aufbrezeln. Mit geschwinden Geheimagenschritten durcheilt er den Löffelflur, um sich vor dem Spiegel aufzustellen.
Ah, denkt Beppo, hübsch bin ich schon. Er kämmt sich die Augenbrauen, färbt sich die Haare, schnell noch eine Packung drauf. Die Zähne werden mit einer Bürste geschrubbt, bis sie glänzen, bis sich jede Zunge, die darüber flanieren möchte, in ihnen spiegeln kann. Die Ohren werden mit einem Stäbchen bearbeitet. Was man da alles findet. Es ist eine Schande. Und plötzlich hört er auch besser. Alles so klar. Das Gestöhne der sich vor dem Haus fickenden Paare ist deutlich zu vernehmen. Heureka! Da wird man selbst ja ganz geil. Was soll er tun. Selbstbefriedigen ist ihm keine Alternative. Niemals wird er selbst Hand anlegen. Er ist Beppo. Er ist Geheimagent. Kann man in jedem Dokumentarfilm nachsehen, dass die sich nie selbst befriedigen müssen. Im Gegenteil, sie werden von dunkelhäutigen Dschungelschönheiten verführt, und dies nach allen Regeln der Dschungelkunst. Katzen sind das, ich kann euch sagen. Schmiegen sich wie ein Perserteppich auf den nackten Oberkörper und reiben sich, dass es sich gewaschen hat. So eine Kakaobraut braucht er jetzt. Verzweifelt sieht sich der beste Geheimagent der Kanzlerin um. Das hat man davon, wenn man für die Deutschen tätig ist. An die Liebe (s.o.) wird nie gedacht.
Beppo beendet die Waschungen, er salbt sich die Füße, kleidet sich in Seide und wandelt aus der Wohnung.
Das Treppenhaus ist eine Zumutung. Staub, wohin das Auge blickt. Das kann so nicht bleiben. Er wird die Concierge mit einem Handkantenschlag auf ihre Arbeit hinweisen. Die frisch gewaschenen Ohren hören überall Gestöhne und Geschlabber. Selbst aus der Wohnung des Philosophen dringt es, der seine Partnerin soeben mit den Worten verführt: „Das Seiende will heute gedingst werden.“ Den Rest wollen wir den Augen unserer meist jugendlichen Leser vorenthalten.
Der Geheimagent müht sich darum, nicht zu stolpern. Überall liegen die Franzosen und ficken. Es ist nicht zum Aushalten.
Er schlägt die Tür wild nach innen. Zorn bricht sich Bahn. Es wird Zeit, den alten Schweden zu killen. Beppo muss sich Luft machen.
Und um sich zu beruhigen, entkleidet er sich und fällt über die Concierge her, die sich eben erst von einem Matrosen erholt.
Paris. Die Stadt der Liebe.