Wir haben es überlebt.
Meine Frau und ich besuchten das weltbekannte Ehepaar Blum in Motten. Motten ist die Stadt, die nach den berühmten Kugeln benannt wurde, die unter anderem in Salzburg massenhaft als Naschwerk verkauft werden. Schmecken aber nicht wirklich.
Fährt man nach Motten hinein, wird man in der Mitte der Metropole von einer Ampel aufgehalten, die den Verkehr lahmlegen soll. Klappt auch. Es soll bereits Tage gegeben haben, an denen manche Autofahrer ihren Wagen als Pension vermieteten. Sie nahmen herumstreunende Fußgänger auf. Boten ihnen die Rückbank an, und weil sie noch belegte Brote in ihrer Frühstücksdose hatten, gab es am nächsten Morgen sogar ein Büffet.
Wir hatten Glück, wir warteten nur etwas sechs Stunden. Ich kippte gerade meinen siebten SEX ON THE BEACH, als mich meine Frau darauf hinwies, dass sie weiterfahren könne. „Na, mach doch“, sagte ich und nahm einen Schluck, den ich mir selbstverständlich auf meinen Frack schüttete. Die Triebkräfte des Anstoßes. So nannten wir das früher im Physikstudium.
Und weiter ging es, immer der Sonne entgegen. Motten ist ein Moloch von Stadt. Hier sind schon die Besten gescheitert. Menschen sind verschwunden, weil sie die falsche Abbiegung genommen haben. Tragische Geschichten, die ich irgendwann in meinem Buch SEX ON THE BEACH OF MOTTEN festhalten werde. Dazu später mehr.
Das Haus der Blums thront auf einem Hügel, der sich weit über die Stadt erhebt. Von dort kann man alles sehen und auf alles schießen. Achtzig Stockwerke. Peter Blum kann gar nicht genug von Stockwerken bekommen. „Ich will noch hoch hinaus“, erklärte er mir nach dem Essen.
Die Blums ließen uns durch Doppelgänger begrüßen. Leute, die so im Blick der öffentlichen Presse stehen, müssen sich schützen.
Zwei alte Leute wackelten auf uns zu, er mit einem Buckel geschlagen, sie mit drei Brüsten gesegnet. Sie wären die Blums, keuchten sie und baten uns, ihnen beim Hinsetzen behilflich zu sein. Ob wir ihnen nicht, flüsterten sie uns in Ohr.
Ich erfuhr nie, was sie wollten, denn in diesem Augenblick kamen die echten Blums um die Ecke. Peter, der bereits schon jetzt in allen Galerien der Welt für Unsummen gehandelt wird, und Marianne, die bereits schon jetzt Unsummen ausgibt, um die Bilder ihres Mannes in den Galerien der Welt einzukaufen. Ein tolles Paar. Sie schienen auch noch gar nicht viel getrunken zu haben, sie wankten nämlich nur ein wenig. Dem ungeschulten Auge fiel es gar nicht auf.
„Wer sind Sie?“, bellten sie uns an.
Wir stellten uns vor und behaupteten, von ihnen eingeladen worden zu sein. Ob es so war, wussten wir selbst nicht mehr. Wir waren uns nicht einmal mehr sicher, ob wir sie überhaupt persönlich kannten. Jetzt bloß nicht locker lassen, dachten wir und drückten sie an uns. „Ja, wisst ihr denn nicht mehr, damals …“ Ein alter Trick, der bei unseren letzten Blindbesuchen auch funktioniert hatte. Sie überlegten kurz, um sich dann in allen grellen Farben, die die falsche Erinnerung zu bieten hat, zu entsinnen.
Es wurde ein feuchtfröhlicher Abend, an dem so manche Flasche geköpft wurde, auch wenn ich gegen die Privathinrichtungen von geistig minderbemittelten Menschen bin. Dazu später mehr.
Wir saßen, weil sie drinnen keinen Platz hätten, draußen vor dem Atelier. Peter verschwand hin und wieder, um einen Strich auf sein neues Gemälde „Kältetod in einer Sauna“ zu setzen. „Ich bin mehr der Gelegenheitsmaler“, erklärte er mir. „Ich nutze jede Gelegenheit, die sich bietet und mache einen weiteren Pinselstrich.“ Und wieder sprang er von seinem Platz und malte etwas, plötzlich aufschreiend, wir sollten es uns ansehen. Er hatte seine Signatur fertiggestellt. „Die male ich zuerst, der Rest ergibt sich dann von ganz allein!“
Ich wollte gerade einen goldgelben Toast teilen, als Geschrei um die Ecke tönte. Die Tochter des Ehepaars Blum, die ihrer Mutter weinend in die Arme fiel. Das Kind war abgehetzt. Erschöpft. Sie könne nicht mehr, sie wolle jetzt schlafen. Aber, aber, Kind, beruhigte man das zitternde Wesen. Sie dürfe ja ruhen, bald schon. Man werde die Arbeit am Teppich begutachten. Sollte alles zur allgemeinen Zufriedenheit geknüpft sein, der Teppich müsse immerhin morgen in den Versand, könne sie sich zu Bett begeben. Ihr den Kopf tätschelnd, brachte man sie fort.
An den Rest kann mich kaum noch erinnern, höchstens noch daran, dass ich irgendwann gegen Morgen auf dem Tisch stand und allen meinen Pinsel zeigen wollte. Dazu später mehr.
Guten Morgen, Welt!
Peter Blum bewundert die Art, wie ich meine Zigarette halte
Geschickt erwecke ich den Eindruck, tatsächlich zuzuhören
In der Megacity Motten ist es Tradition, das Abendessen vor der Zubereitung ein letztes Mal zu streicheln