Röchel, sabber, knurr.
Lechz, beiß, reiß, röchel, röchel.
Knurr, sabber, röchel.
Schlagwort: zombies
Die Stimmen (2)
Sonntag, 11. August 2013
Im Grunde ist es ein Wunder, denkt er, wenn er am Morgen in einer Lichtlache erwacht, wenn ihn die Sonnenstrahlen an der Nasenspitze kitzeln. Er zieht die Bettdecke weg, mit einem achtlosen Ruck zieht er sie von sich runter, und quält sich aus dem Bett. Das Bett kommt ihm wie ein Sarg vor. Dort liegt er und ist nicht, weil der Schlaf wie eine Auslöschung ist. Er kann sich nur selten an seine Träume erinnern; neulich gelang es ihm, und es wäre ihm lieber gewesen, die Nacht hätte ihre Träume für sich behalten. Um was ging es denn nur? Um ein paar Zombies, Vampire. Alles wie in einem billigen kleinen Film der Hammer Studios, aber ihm haben diese Wesen Angst gemacht. Sie waren so echt, dass er, als er in der Nacht erwachte, die Beine unter die Bettdecke zog, so wie er es als Kind oft tat, wenn er fürchten musste, das dort draußen etwas lauerte, das ihn jeden Augenblick verschlucken würde. Als ob da eine Bettdecke helfen würde! Aber der kindliche Aberglaube, der einzige Glaube, dem er noch heute anhängt, gibt ihm vor, dass er sich retten kann, ist nur alles fein und sauber unter der Bettdecke versteckt.
Er hat das, was Sie eben gelesen haben, vor Sekunden geschrieben. Er beugt sich nach vorne zum Bildschirm und überliest es noch einmal. Sein Magen schmerzt, er hat sich etwas eingefangen, vielleicht hat er auch etwas falsches gegessen, und jetzt saß er bereits ganz gegen seine Gewohnheit vor der ersten Tassen Kaffee auf dem Klo, er saß dort mit einem schmerzverzerrten Gesicht, weil sich sein Bauch anfühlte, als ob er einen Alien dort drin hätte, einen Alien, den er gebären wird, und dessen Leben sein Tod bedeuten würde. Sollte ich überhaupt nachher darüber schreiben, fragt er sich. Gehört so etwas in den öffentlichen Raum? Er weiß es nicht, er überlegt, dass er es einer seiner vielen Stimmen, die in seinem Blog sprechen, in den Mund legen kann. Das wäre doch eine Möglichkeit.
Weiter und weiter schreibt er an seinem Lebensroman, der kein Lebensroman, sondern eine Reportage ist, ein Tatsachenbericht, der über ihn und seine Welt Auskunft geben soll. Aber wem? Wer soll das lesen? Und warum?
Vermutlich entspringt das Tagebuch seiner Angst vor dem Tod, vor dem plötzlichen Verschwinden, und bevor er verschwindet, will er sich einreden, dass etwas von ihm bleibt, dass unzählige Wörter bleiben, die, sind wir doch einmal ehrlich, im Meer des Internets untergehen, selbst gedruckt würden sie im Meer der Veröffentlichungen untergehen. Er ist ein Ertrinkender, der mit seiner Rettungsboje Zeichen in das Wasser malt, die den anderen wie Wellenbewegungen vorkommen. Das Wasser schaukelt. Das ist seine Natur. Warum sollte man die Bewegungen der Wellen lesen, wo das Meer mit diesen Zeichen überläuft?
Und wieder überliest er das Geschriebene, und er denkt, dass es vielleicht besser wäre, es zu löschen. Es gar nicht zu veröffentlichen, das wäre eine Lösung.
Aber schließlich tut er es doch. Eine weitere Bewegung mit seiner Boje. Wem kann die schon schaden?
Freitag
Ein Geräusch weckte mich an diesem Morgen, das aus der Küche kam. Ah, Hausaufgabe, mein treuer Wolfshund, pinselte mich mit einigen gekonnten Zungenstrichen an.
„Gleich, gleich“, murmelte ich, noch ganz in meinen Traum versunken, der sich um eine versunkene Stadt drehte, in der ich einen Film über eine versunkene Stadt drehte. Eine verzwickte Angelegenheit!
Weil Hausaufgabe keine Ruhe gab (er bellte etwa eine Stunde), schlug ich die Bettdecken schließlich doch zurück. Ich entledigte mich meiner drei Mäntel, die ich der Hitze wegen angezogen hatte. Ein altes Gesetz der Südhalbkugelbewohner besagt, dass man große Hitze mit großer Hitze bekämpfen soll. Feuer mit Feuer. Deshalb lasse ich in der Nacht die Öfen laufen und liege unter zahllosen Fellen. Und tatsächlich, es funktioniert. Ich schwitze derartig, dass ich von der eigentlichen Hitze draußen gar nichts mehr mitbekomme.
Ein Gang auf meinen Balkon überzeugte mich davon, dass etwas nicht stimmte. Nirgendwo war auch nur eine Menschenseele zu sehen. Woran konnte das nur liegen? Blitzschnell analysierte ich alle Möglichkeiten. Ein Virus könnte die Menschheit befallen haben. Vermutlich hatte er die meisten meiner Freunde und Bekannte (und solche, die es noch hatten werden wollen) in bösartige Zombies verwandelt. Tote, für die in der Hölle kein Platz mehr war, und die nur deshalb auf die Erde zurückgekehrt waren, um sich in den Kellern und in den Erdlöchern der verschiedenen Tiere, die Erdlöcher bewohnten, zu verstecken. So musste es sein.
Ich kniff meine Augen zusammen. Ich kniff sie auf jene verwegene Art zusammen, die ich sonst nur benutzte, wenn ich dringend aufs Klo musste. Mein Verstand war zu einem Rechenzentrum geworden. Was könnte ich tun, um dem unabwendbaren Grauen zu entkommen? Ich würde mich zunächst einmal bewaffnen müssen. Ein bis drei Panzer würden für den Anfang genügen. Aber woher Panzer nehmen, wenn man sich nie welche zugelegt hatte? Die falsche Einkaufspolitik meiner Frau würde also unser Tod sein. Ich hatte es schon immer geahnt, schon damals, als sie nur Binden, aber keine Handgranaten einkaufen wollte.
Dabei hatte ich als Starautor alle Beziehungen, die vonnöten waren, um den Rest der Menschheit mindestens um 1245 Jahre zu überleben. „Lass die Binden“, hatte ich zu ihr gesagt. „Der russische Waffenhändler, der unten im Wohnzimmer sitzt, würde uns Atomsprengköpfe aus den Beständen der ehemaligen UdSSR verkaufen.“ Nichts zu machen. Sie ließ sich von mir und meinen unbestechlichen Argumenten nicht überzeugen.
Und da stand ich nun. Hilflos! Dort draußen waren sie irgendwo. Zombies. Gott stehe uns bei!
Guten Morgen, Welt!
Samstag
Der Klimawandel ist da, man kann ihn sehen, er hat sich am Himmel festgesetzt, er ist der Himmel selbst, der sich dunkel über uns zusammenbraut, der seine düsteren Gedanken als langes Band über Fulda spannt, über ganz Osthessen, bestimmt auch über Dosenfeld, jenes merkwürdige Westerndorf, in dem ich aufwuchs, in dem heranwuchs, was ich heute bin.
Feuer wird in der Villa verteilt. Die Diener laufen mit ihren Fackeln die Zimmer ab, den Voltaire-Raum, das Charles-Bukowski-Zimmer, den Nabokov-Salon, um die dort aufgeschichteten Holzscheite in Brand zu setzen. Ein wenig Wärme muss sein, ein wenig Helligkeit, um die Trübe, die uns eingekapselt hat, zu vertreiben. Stille steigt katzengleich durch das Gelände, klatschnass wird sie vom fallenden Regen, von den Strichen, die, vom Wind zur Seite gepresst, leicht quer laufen; kleine dunkle Geschosse, die die Nacht in ihren Hülsen tragen, die mit der Nacht, die aus dem Norden geschickt wurde, unsere Freude töten soll.
Die Menschen haben sich zurückgezogen, sie wollen nichts mehr mit der Außenwelt zu tun haben, sie klammern sich, halbnackt vor Wahnsinn, an ihre Lampen und Bettdecken; ist erst der Strom erschöpft, wird die Dunkelheit sie verschlucken, um Monster auszuspeien.
Zombies.
Wie oft haben wir uns mit diesen Toten, die nicht tot sind, nicht gänzlich, die von einem letzten Hirnreflex durch die Lande getragen werden, in Büchern und Filmen beschäftigt, nicht ahnend, dass es eine Klimakatastrophe sein würde, die sie gebären wird. Die Zukunft wird den Beißwütigen gehören, den Wesen, die mit verfaulten Gesichtszügen auf der Jagd nach ihresgleichen sind, die sich in Babys und alte Menschen verbeißen, zunächst, denn es wird nicht lange dauern, bis sie gestärkt vom Fleisch und Blut ihrer Opfer, Ausschau nach einem wohlschmeckenderen Mahl halten werden. Sie werden die Lande durchstreifen, eine Brut, die das Antlitz der Erde in Blut und Fäule tauchen wird.
Meine Frau meint, das wäre längst geschehen, da müsste ich gar nicht erst all diese Bilder des Untergangs bemühen; vielmehr, so ihre Bitte, solle ich mich wieder einmal vor die Nachrichtensendungen bemühen, um zu erfahren, wie verroht bereits alles sei.
Um mich von meinen missmutigen Gedanken zu erholen, um sie abzustreifen, wie ein Schinkenstreifen, den man sich über die Stirn legte, säubere ich meine Nase, ich pruste in ein weißes Wegwerftuch, direkt hinein in die Jungfräulichkeit eines Tempos, um dieses Produkt, das meine Literatur unterstützt, hier einmal geschickt eingebaut zu haben.
Das Naseputzen ist mir eine meiner liebsten Beschäftigungen, es lenkt mich ab, es lässt mich musizieren, lässt mich in Free-Jazz-Manier den Pfaden des Spiels folgen; Wege, von denen ich nie weiß, wohin sie führen werden, die einen Berg erklimmen, die zu den Stufen einer Steintreppe werden, die meine Schritte hinab zu einem Strand leiten, an dem ich sitzen und dem Meer (dem Innenohrrauschen) lauschen kann.
Ich werde eventuell, aber ich bin mir nicht sicher, ziere mich noch, eine Nasenbläsergruppe ins Leben rufen. Wir könnten uns einmal wöchentlich im Keller versammeln, um uns ganz unserer Inspiration und unseren Tempos zu überlassen, die wir geschickt führen würden, die wir bespielen würden, als wohne ihnen eine wahre letzte Melodie inne.
Ja, ich denke, ich werde diese Gruppe gründen. Vielleicht werde ich mich aber auch dem Geschick der Dusche anvertrauen, die es – wie keine Zweite – versteht, den menschlichen Körper, hat man die rechte (oder linke) Position eingenommen, hat man den Schauer erst aktiviert, zu reinigen.
Wer weiß schon, was ich tun werde?!
Guten Morgen, Welt!
Der letzte Tag
Der Tod ist ein Arschloch.
Erst gestern erzählte mir meine Frau von einem jungen Mann, dessen Todesanzeige in der Zeitung gestanden hat. Jahrgang 93. Das ist kein Alter. Wenn einer mit 93 stirbt, dann man kann man schon eher damit leben. Mit 93 hast du vielleicht genug geflucht, genug Zigaretten geraucht, dass man damit zurecht kommen kann, dass es dich fortan nicht mehr gibt. Aber wenn du noch ein junger Mann bist, der voll in der Blüte seines Lebens stand, dann ist es eine Taktlosigkeit. Dem Tod fehlt der Benimm. Das muss man mal so klar schreiben. Das gehört sich nicht, dass man ungefragt irgendwo auftaucht und einen so jungen Mann erst leiden und dann sterben lässt. Wie würde sich der Tod denn fühlen, wenn das Leben plötzlich bei ihm auftaucht und einen seiner Bälger erblühen und schließlich auferstehen ließe? Ziemlich beschissen. Da wäre das Geschrei groß. Das müsste es mal tun, das Leben, damit der Tod weiß, was er den Leuten tagtäglich, minütlich, sekündlich antut.
Wenn ich am Morgen aus meinem Bett krabbele, stelle ich mir jedes Mal vor, wie es wäre, wenn ich nicht mehr erwacht, wenn ich im Schlaf gestorben wäre. Ich wüsste es wohl nicht, weil laut Hirnforschung, bin ich nicht mehr. Kein Bewusstsein, um sich bewusst zu sein, dass man tot ist. Schrecklich. Man kann sich nicht mal darüber aufregen, dass der Tod einen mitten aus einem Roman gerissen hat. Die Religion sieht es bekanntermaßen ein wenig differenzierter. Dort wird in den meisten Fällen von einem Jenseits berichtet, was mir immerhin die Möglichkeit einer Beschwerde eröffnen würde. Irgendwo wird es auch im Himmel eine Stelle geben, an die man sich wenden kann, um seinen Frust in einem Vordruck unterzubringen. Wird nur nichts bringen, denn tot ist tot, auch wenn es Filme über Untote gibt, über Zombies zum Beispiel. Wer will schon so zerfleddert wie ein altes Schulheft durch die Gegend wanken und von allen gehasst und beschrien werden. Da musst du schon ein Faible dafür haben, eine kleine sexuelle Abweichung, die sich bereits zu Lebzeiten in deinem Kopf herumtrieb. Das ist nichts für mich. Da bleibe ich lieber tot und weiß von nichts. Wie die drei Affen. Tote sehen nichts, hören nichts, sagen nichts.
Man sollte sich nicht mit dem Tod in den frühen Morgenstunden beschäftigen, das kann einem den ganzen Tag versauen, zumal es ja der letzte sein könnte.