Nicht mit dem abgespreizten kleinen Finger. Die Leser sitzen aufrecht, mit durchgedrücktem Rückgrat. Fühlen sich nicht besonders wohl. Sie rutschen, auch wenn es unbemerkt bleiben soll, auf ihrem gepolsterten Stuhl hin und her, räuspern sich, wagen aber nicht zu fragen, wann das Ganze hier ein Ende haben wird.
Die Kronleuchter laden ein, den Schliff der baumelnden Steine zu bewundern, das Licht, das sich ununterbrochen tausendfach bricht. Eine solche Dauerbewunderung erschöpft Nacken und Augen. Nach einer Weile schielt man sich wieder auf die Fingernägel. Wehe, es finden sich Schmutzpartikel darunter. Das könnte einen Rüffel mit dem Lineal nach sich ziehen. Schmerzschreie sollten, so verlangt es die Etikette des Textsalons, wohl artikuliert und überlegt daherkommen.
Bitte keinen fahren lassen! Das stört die Atmosphäre. In diesen Kreisen scheißt man auch nicht, spricht aber darüber, wenn auch nur sinnbildlich.
Der Tisch ist nicht zum Abstellen gedacht. Er ist Zierrat wie alles andere. Dinge gibt es hier nicht aus praktischen Gründen, sondern der ästhetischen Betrachtung wegen. Füllwörter sind strengstens verboten, obwohl man sich die Dinger seit Jahren in die Unterhose und an andere Stellen stopft, wo sie wärmen und Muskeln imitieren sollen. Einen großen Schwanz eventuell auch.
Wird man in die heiligen Hallen der Edelliteratur geführt, dann von einem ausladenden Prolog, der nur die Ouvertüre für einen schier endlosen Besuch ist. Die Zeit vergeht nicht. Sie tickt sich in einem Meer aus Uhren zu einem Brei, der allmählich zu einem langgezogenen Dauerton gerät. Zeit verrinnt nicht. Sie flutet den Text, bis man darin ersäuft. Geschieht dies, wird auf Noah verwiesen, darauf, dass man hier einem Zitat in die Falle gegangen sei. Man hätte es ja erkennen können.
Der Untergrund ist ein Spiegel, wie alles ein Spiegel in diesen Zimmern ist. Man sieht sich als der, der sich beim Sehen der Selbstbetrachtung beobachtet. Ganz kirre wird man von den vielen Ichs, denen man dort begegnet. Die Räumlichkeiten wirken dadurch stets überfüllt. Die eigene Stimme verhallt, verebbt, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Man verliert sich.
In alle Himmelsrichtungen weisen Türen, hinter denen sich Räume befinden mit Türen, die in alle Himmelsrichtungen zeigen.
Fenster gibt es auch. Selbstverständlich sind sie groß, zumindest sind sie hoch, wenn auch nicht unbedingt breit. Man – wen wundert das jetzt? – spiegelt sich in ihnen, entdeckt im eigenen Spiegelbild auch Büsche und Bäume, die fein geschnitten, Teil einer minutiös durchgeplanten Parkanlage sind. Im Park (um dies zu bemerken, muss man am Fenster verweilen) flanieren Herrschaften mit Perücken, unter Sonnenschirmen, damit ihr sorgsam gepflegter Blassteint keinen Schaden nimmt. Derart bestückt lustwandeln die Gartengäste (verkleidetes Personal?) durch das eigene Gesicht. Man kann sie, stellt man sich neben uns auf, unseren Gesichtern ablesen.
Derweil wird auf einem Marmortisch Tee serviert, den man nicht bestellt hat. Nebliger Dampf wabert, steigt aus den Tassen auf, suggeriert er doch eine Hitze, die, führt man die Tasse an die Lippen, nicht zu finden ist. Lauwarm ist er, wie alles hier lauwarm ist. Die Innenraumtemperatur ist ebenso lauwarm wie die Außentemperatur, befindet man sich doch in einem wohltemperierten Weltgebäude. (Geschissen wird hier, um das Thema zu reanimieren, nirgends, nicht in die Kamine und nicht unter die Treppenaufstiege, weil Notdurft etwas ist, was in diesen Kreisen nicht praktiziert wird. Man entleert sich nicht, weil Leere grundsätzlich bestritten wird. Sie ist im großen barocken Plan dieses Hauses nicht vorgesehen. Die Vorsehung spielt keine Rolle. Die Verwirklichung schon. Man verwirklicht sich und den Tisch, die Geländer sind verwirklicht, auch die Löwen, die als steinerne Warnung das Anwesen vor Ungemach schützen sollen.
Entkommt man der zelebrierten Schönheitslangeweile, schlüpft man, sich einen nahezu unsichtbaren Schweißflaum (ist doch Schweiß eine verbotene körperliche Notdurft) von der Oberlippe wischend, in die Nacht, hoffend, bald auf ein Wirtshaus, ein Bordell zu stoßen, irgendein Etablissement, in dem geschissen und gehurt, in dem geschrieben wird, wie man es von seinen eigenen Lippen lesen möchte, dann liegt der Flucht – so die Herrschaften des Hauses – eine fehlende Entwicklung zugrunde.
Egal. Draußen ist draußen.
Nicht anders will man lesen, wie man auch gelebt hat. Angefüllt mit Ängsten, Lüsten, Sehnsüchten, Plänen, mit einem Arsch in der Hose, einer geballten Faust in der Tasche. Und schon stürzt man in die Hölle eines solchen Textes. Wild geht es her. Es wird gestochen und gefeilscht, es wird gebrochen und verheizt. Wein läuft über das Kinn.
Leben, denkt man noch, kann so lebendig sein.
Der Rest ist Schreien.