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Die Liebe in den Zeiten des Kommunismus

Montag

Montag. Das ist doch kein Tag. Das hat schon meine Mutter gesagt. Am Montag bleibt man besser liegen, hat sie gesagt. Montags sterben die Leut‘. Besser, man bleibt zu Hause. Gesegnet sind die, die einen Luftschutzbunker besitzen. In den sollte man sich zurückziehen. Luft anhalten und abwarten, bis der Montag vorbei ist. Obwohl … Es gibt Stimmen, die behaupten, der Montag würde erst mit dem Tod vergehen. Und andere sagen, er würde ewig andauern. Der Montag wäre alles. Gott habe den Montag geschaffen, sagen sie, und als er sah, dass bereits der Montag so misslungen sei, habe er aufgehört mit den Wochentagen. Er habe sich auch in einen Luftschutzbunker gesetzt und darauf gehofft, dass es kein Montag mehr ist.

Die restlichen Wochentage, die wären eine Erfindung des Teufels. Ebenso die Arbeitgeber. Die hätten einen Pakt geschlossen, erst zu ruhen, bis der letzte Fluss vertrocknet sei. Und Samstag und Sonntag? Die seien eine Illusion. (Ach, wie ich sie liebe, die Illusionen.) Ich solle einen Buddhisten befragen, sagte Mama. Der könne mir das schon bestätigen. Der werde wissen, dass es alles ein Trug ist, dass es nur den Montag gäbe. Der Montag, den gälte es zu überwinden. Ihn müsse man überlisten. Man müsse ihn an der Nase herumführen, bis er begreife, dass es keinen anderen Wochentag außer ihm gibt. Dann bekäme er Angst, so die Mama, und er würde sich zum Sterben hinlegen. So wie die Indianer es tun. Erst an diesem Tag würde der Kreislauf durchbrochen, und alles würde sich in Wohlgefallen beziehungsweise in Nichts auflösen. Ob ich das will? Zuviel Wohlgefallen könnte mir die Lebenssuppe gehörig versalzen.

Montag. Ein letztes Mysterium, das bleibt.

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Motorsäge des Schicksals

Der Theaterbeschläfer

Lob des Theaterbesuchs (nebst kritischer Anmerkungen)

Ich gehe gerne ins Theater. Dort sitzt man weich. Und man muss den Blick nicht schweifen lassen. Das ist nämlich eine Unart der Moderne, dass man den Blick schweifen lassen soll, weil immer überall etwas los sein könnte.

Im Theater ist nur vorne etwas los. Seltener im Magen des Nebenmannes, der selbstverständlich, weil ich ein politisch korrekter Mann bin, auch eine Frau sein kann, eine Nebenfrau also, die man nicht haben sollte, liebt man seine Frau ehrlich und aufrichtig.

Erlischt das Licht, hebt sich der Vorhang, beginnt die Vorstellung. Fortan versinkt man im Dunkel des Zuschauersaals. Man wird nicht beobachtet. Man ist frei.

Ich nutze die Stunden, die ich im Theater verbringe, um zu schlafen. Schon Claus Peymann sagte im Angesicht der Aufführungslänge des Sportstücks von Elfriede Jelinek, dass der Theaterschlaf einer der gesündesten sei. Er empfahl ihn ausdrücklich. Und wer bin ich, dass ich einen solch großen Mann des Theaters, der selbstverständlich, wir beachten die politisch korrekte Beschreibung, auch eine Frau sein könnte, kritisieren würde.

Schläft man erst, ist darauf zu achten, dass man den Schlaf des Nebenmanns, der Nebenfrau nicht stört. Keine lauten Schnarcher also. Das schickt sich nicht. Man muss den Schlaf beherrschen. Es sind die großen Schlafkünstler, die im Theater gefragt sind.

Während auf der Bühne gelogen, betrogen, getötet und geliebt wird, entspannt man sich einmal recht von den Sorgen und Nöten des Alltags.

Man kann abtauchen, um sich aus dem Leben in die Scheinwelt der Träume zu stehlen.

Ein gutes Stück erkennt man an seiner Länge. Unter vier Stunden mache ich es nicht. Sonst komme ich am Ende aus dem Theater und bin nicht ausgeschlafen. Und dann?

Die Stirn in Falten, so durschreitet man die Straßen. Wird zum Stein des Anstoßes. Nein, nicht mit mir.

Ist das Stück beendet, schrecke ich in die Realität zurück. Ich reiße die Augen auf und lasse es mir, war der Schlaf erholsam, nicht nehmen, meine Hände durch fortwährendes Klatschen in Mitleidenschaft zu ziehen.

Sollte ich allerdings noch Müdigkeit in meinen Knochen verspüren, kann es geschehen, dass ich nach einer Zugabe verlange.

Ob ein Theaterbesuch ein Erfolg wird, hängt vor allem an einem selbst.

Spät in der Nacht liege ich oft wach, und denke an den Abend zurück, der mir nun, da ich ausgeschlafen habe, die Nachtruhe raubt. Und ein wenig, ich gestehe das gerne ein, sehne ich mich nach den Zeiten zurück, da es noch keine Theater gab. Zeiten, in denen die Menschen noch miteinander schliefen. Doch es scheint mir, dass diese Form der Moderne nicht mehr zu stoppen ist.

Es war meine Mutter, die bereits Wert darauf legte, dass ich nicht zu oft vor einer Bühne saß. Sie verteufelte alle, die ihre Kinder in den ersten Reihen eines Theaters absetzten, um sich ihren eignen Interessen widmen zu können.

Wie so oft, ging auch ich in die Falle und verfiel dem Medium Theater. Ganz süchtig bin ich danach. Ein Verfallener, wie meine Mutter solche Leute zu nennen pflegte.

Wie auch immer, das Theater ist nicht aufzuhalten, denn der Mensch hat sich längst daran gewöhnt, seinen Schlaf vor diesem Beruhigungsmittel zu finden.

Und bis es soweit ist, dass man Theaterbühnen erfunden hat, die man ins heimische Schlafzimmer stellen kann, werde ich weiterhin fleißig der Bühne die Treue halten.

Ehrenwort!

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Funkenmariechen des Todes

Wie man nicht schreiben sollte

Nicht mit dem abgespreizten kleinen Finger. Die Leser sitzen aufrecht, mit durchgedrücktem Rückgrat. Fühlen sich nicht besonders wohl. Sie rutschen, auch wenn es unbemerkt bleiben soll, auf ihrem gepolsterten Stuhl hin und her, räuspern sich, wagen aber nicht zu fragen, wann das Ganze hier ein Ende haben wird.

Die Kronleuchter laden ein, den Schliff der baumelnden Steine zu bewundern, das Licht, das sich ununterbrochen tausendfach bricht. Eine solche Dauerbewunderung erschöpft Nacken und Augen. Nach einer Weile schielt man sich wieder auf die Fingernägel. Wehe, es finden sich Schmutzpartikel darunter. Das könnte einen Rüffel mit dem Lineal nach sich ziehen. Schmerzschreie sollten, so verlangt es die Etikette des Textsalons, wohl artikuliert und überlegt daherkommen.

Bitte keinen fahren lassen! Das stört die Atmosphäre. In diesen Kreisen scheißt man auch nicht, spricht aber darüber, wenn auch nur sinnbildlich.

Der Tisch ist nicht zum Abstellen gedacht. Er ist Zierrat wie alles andere. Dinge gibt es hier nicht aus praktischen Gründen, sondern der ästhetischen Betrachtung wegen. Füllwörter sind strengstens verboten, obwohl man sich die Dinger seit Jahren in die Unterhose und an andere Stellen stopft, wo sie wärmen und Muskeln imitieren sollen. Einen großen Schwanz eventuell auch.

Wird man in die heiligen Hallen der Edelliteratur geführt, dann von einem ausladenden Prolog, der nur die Ouvertüre für einen schier endlosen Besuch ist. Die Zeit vergeht nicht. Sie tickt sich in einem Meer aus Uhren zu einem Brei, der allmählich zu einem langgezogenen Dauerton gerät. Zeit verrinnt nicht. Sie flutet den Text, bis man darin ersäuft. Geschieht dies, wird auf Noah verwiesen, darauf, dass man hier einem Zitat in die Falle gegangen sei. Man hätte es ja erkennen können.

Der Untergrund ist ein Spiegel, wie alles ein Spiegel in diesen Zimmern ist. Man sieht sich als der, der sich beim Sehen der Selbstbetrachtung beobachtet. Ganz kirre wird man von den vielen Ichs, denen man dort begegnet. Die Räumlichkeiten wirken dadurch stets überfüllt. Die eigene Stimme verhallt, verebbt, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Man verliert sich.

In alle Himmelsrichtungen weisen Türen, hinter denen sich Räume befinden mit Türen, die in alle Himmelsrichtungen zeigen.

Fenster gibt es auch. Selbstverständlich sind sie groß, zumindest sind sie hoch, wenn auch nicht unbedingt breit. Man – wen wundert das jetzt? – spiegelt sich in ihnen, entdeckt im eigenen Spiegelbild auch Büsche und Bäume, die fein geschnitten, Teil einer minutiös durchgeplanten Parkanlage sind. Im Park (um dies zu bemerken, muss man am Fenster verweilen) flanieren Herrschaften mit Perücken, unter Sonnenschirmen, damit ihr sorgsam gepflegter Blassteint keinen Schaden nimmt. Derart bestückt lustwandeln die Gartengäste (verkleidetes Personal?) durch das eigene Gesicht. Man kann sie, stellt man sich neben uns auf, unseren Gesichtern ablesen.

Derweil wird auf einem Marmortisch Tee serviert, den man nicht bestellt hat. Nebliger Dampf wabert, steigt aus den Tassen auf, suggeriert er doch eine Hitze, die, führt man die Tasse an die Lippen, nicht zu finden ist. Lauwarm ist er, wie alles hier lauwarm ist. Die Innenraumtemperatur ist ebenso lauwarm wie die Außentemperatur, befindet man sich doch in einem wohltemperierten Weltgebäude. (Geschissen wird hier, um das Thema zu reanimieren, nirgends, nicht in die Kamine und nicht unter die Treppenaufstiege, weil Notdurft etwas ist, was in diesen Kreisen nicht praktiziert wird. Man entleert sich nicht, weil Leere grundsätzlich bestritten wird. Sie ist im großen barocken Plan dieses Hauses nicht vorgesehen. Die Vorsehung spielt keine Rolle. Die Verwirklichung schon. Man verwirklicht sich und den Tisch, die Geländer sind verwirklicht, auch die Löwen, die als steinerne Warnung das Anwesen vor Ungemach schützen sollen.

Entkommt man der zelebrierten Schönheitslangeweile, schlüpft man, sich einen nahezu unsichtbaren Schweißflaum (ist doch Schweiß eine verbotene körperliche Notdurft) von der Oberlippe wischend, in die Nacht, hoffend, bald auf ein Wirtshaus, ein Bordell zu stoßen, irgendein Etablissement, in dem geschissen und gehurt, in dem geschrieben wird, wie man es von seinen eigenen Lippen lesen möchte, dann liegt der Flucht – so die Herrschaften des Hauses – eine fehlende Entwicklung zugrunde.

Egal. Draußen ist draußen.

Nicht anders will man lesen, wie man auch gelebt hat. Angefüllt mit Ängsten, Lüsten, Sehnsüchten, Plänen, mit einem Arsch in der Hose, einer geballten Faust in der Tasche. Und schon stürzt man in die Hölle eines solchen Textes. Wild geht es her. Es wird gestochen und gefeilscht, es wird gebrochen und verheizt. Wein läuft über das Kinn.

Leben, denkt man noch, kann so lebendig sein.

Der Rest ist Schreien.

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Funkenmariechen des Todes

Ein vertracktes Taktverhältnis

Ich habe mir eine gewisse Ruhe erlesen, habe sie mir aus einer Geschichte auf den Körper gelesen. Der Takt, den die Worte schlagen, den sie vorgeben, hat sich in mein Gesicht gesetzt, auf meine Nase. Dort sitzt der Takt, einen Stock in der Hand und klopft seinen Namen auf das Nasenbein, mich fragend, wo Nasenkopf und Nasenarme seien. Ein armes Schwein sei das Nasenbein, sagt er. So allein auf einem Bein. Nein, nein, erwidere ich dem Takt, der mir taktlos scheint. Das Nasenbein bildet den größten Teil des Nasendachs. Drunter liege die Nasenhöhle. In die könne er sich begeben, wenn es ihm auf dem Nasenbein nicht länger gefalle. Der Takt schüttelt verneinend den Kopf: Hier sei er, hier bleibe er.

Mir soll es recht sein. Der Takt, den ich mir auf die Nase gelesen habe, ist zwar naseweis, entbehrt aber nicht einer gewissen unterhaltsamen Ader, die mich von den nervösen Zuckungen, die mich momentan ausschlagen lassen, ablenkt. Weil er mir auf der Nase hockt, stehe ich nun vor dem Spiegel und beobachte ihm beim Schwingen. Hoch fliegt der Stock, nieder saust er, bis meine Nase schmerzt und ich mich genötigt sehe, ihn auf sein fehlendes Taktgefühl hinzuweisen. Der Takt verdreht die Augen, trampelt auf meinem Nasenbein herum, bis es gebrochen ist.

Froh wäre ich inzwischen, würde man mir fehlenden Takt unterstellen.

So aber sitzt er weiterhin in meinem Gesicht. Momentan in der Ohrmuschel, forschend, ob die Geräusche ferner Urlaubsstrände, jener meiner Kindheit, darin zu erlauschen sind.

Zeichnung: Alfred Harth

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Funkenmariechen des Todes

Der Mann, den sie Schande nannten

Jetzt ist es geschehen. Sie sind tot. Alle. Gefallen im Krieg, den die Schere über meinen Kopf führte. Tausende, Millionen, ganze Völker starben an diesem Tag. Ein Vernichtungsfeldzug meines Friseurs. Kulturen, die sich nicht mehr entwickeln werden. In Massen lagen sie auf dem Ladenboden. Ich stimmte einen Trauergesang an. Minutenlang saßen wir alle dort. Verletzt. Erniedrigt. Die Gesichter entstellt von den Tränen, die wir für die Toten ließen. Dieses Haar, so jammerte ich, es hätte ein großer Schriftsteller werden können. Und jenes dort, es hätte Karriere in der Politik machen können. All die Wäschen, die sie nun nicht mehr erleben werden. Die Kämme, denen sie nicht ins Angesicht blicken werden.

Mit gesenktem Haupt, beschimpft, weil ich nicht noch für diese Untat bezahlen wollte, schlich ich von dannen.

Ich bin ein Makel, ein geschichtsträchtiger Platz, ein umkämpfter Hügel, ein Schlachtfeld, das in unser aller Erinnerung fortleben sollte, als jener Ort, an dem Ungezählte in wenigen Minuten ihr Leben ließen.

Mein zweiter Vorname sei fortan Schande.