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Das linke Ohrläppchen des Satans

Mittwoch

Es hatte in der Nacht geregnet.

Zuerst hatte es platsch gemacht, dann platsch, platsch, platsch, platsch.

„Der verfluchte Regen!“, rief ich. „So kann ich nicht schlafen!“

Ich rief bei meinem Sonnenanbeter an, der sich normalerweise um das schlechte Wetter kümmert. Was war da los? Der Kerl war nicht da! Vielleicht ausgewandert, dachte ich. Kann ihm auch niemand verübeln, bei diesem verfluchten deutschen Sommer.

Um mich abzulenken, schritt ich die Längsseite des Ehebettes ab. Hin und her. Drehung am Bettpfosten. Zurück. Drehung. Zurück. Ich kam mir wie ein gefangens Tier vor. Wie der Graf von Monte Christo in einem Regengefängnis. (Sie erinnern sich sicherlich an den Roman.)

„Was hat du denn?“ fragte meine Frau.

„Der Regen“, gab ich zurück, „der Regen macht mich wahnsinnig.“

„Ach so!“

Und schon schnarchte Wilhelmine (Name geändert) wieder. Sie schnarcht, wenn es zu entscheidenden Momenten in meinem Leben kommt, wie damals, als sie mir den Nobelpreis zum fünfzehnten Mal vorenthielten. Es war einfach kein Verlass auf sie. Frauen sind anders. Sie sind wie ein anderes Geschlecht, als ob ihnen geile, dicke Brüste wachsen würden, die man wollüstig in seine schmierigen zwei Hände packen möchte. Ich betrachtete sie von oben bis unten.

Der Regen hatte indes nicht nachgelassen. Trübsinn lief in langen Schlieren über meinen Körper, über dieses eingeölte, gestählte Ding auf zwei Beinen. Um mich abzulenken, machte ich ein paar Turnübungen. Hand auf. Hand zu. Hand auf. Hand zu. Erschöpft brach ich diesen barbarischen Akt der Selbsterniedrigung ab. Ein Schweißfaden seilte sich auf meine Unterlippe ab. Noch einige Nächte in der Art und ich würde meinem Doppelgänger Bertram (Name geändert) die Kugel geben. Schlaflosigkeit ist das Joch des 21. Jahrhunderts. Die Schlaflosigkeit wird jene Bestien gebären, denen wir jetzt schon so viele Filme widmen: Zombies. Sie werden kommen und uns in unseren Schlaflosigkeitskammern, die in Kürze auf den Markt kommen werden, überfallen. In die Nacken und in die Zehen werden sie uns beißen, sie werden ganze Stücke aus unseren durchtrainierten wunderschönen Körpern reißen. Wie Wölfe werden sie nicht heulen, wohl aber wie kleine Schweine grunzen. Herz- und Hirnlos werden sie sich zur herrschenden Spezies entwickeln. Sie werden … Irgendwie kam mir die Beschreibung bekannt vor. Ein gewisser Typ des westeuropäischen Politikers müsste sich darin wiedererkennen.

Um nicht völlig den Verstand zu verlieren, schaltete ich den überdimensionalen Fernseher ein. Nichts! Keine Befreiung meiner angespannten Nerven. Ich könnte etwas lesen. Ich griff nach den Büchern, die meine Tochter aus der Fuldaer Kinderakademie, auf der sie seit ihrem achtzehnten Lebensjahr studiert, mitgebracht hatte. Romane, die für den Jugendliteraturpreis nominiert waren. Ich las, noch stehend, Bilder aus Ägypten im Rücken und kochte vor Wut. Das war gut geschrieben. Sehr gut sogar! Was bildeten die sich denn überhaupt ein, diese Kinder- und Jugendautoren! Wunderbare Bilder, wie man sie kaum in einem der Bücher von Rüdiger Selbiger und Nathan Weizenbier fand. Großartige Literatur. Angewidert warf ich den Brocken, der mit so viel Schönheit gefüllt war, weit von mir, direkt hinaus aus dem Fenster in den Vorgarten, der Statue auf die Nase, die man zu Ehren von Daniel Meistermann, meinem Lieblingsschriftsteller, vor Jahren dort errichtet hatte. Der Regen weichte das Buch in wenigen Sekunden ein. Wie eine Primel ging es ein, wie ein Pullover, der zu heiß gewaschen worden war. Und das nur, weil man mich echauffiert hatte. Die Nacht, sie schien kein Ende nehmen zu wollen, auch wenn sie es heute Morgen doch tat.

O Wunder der Zeit!

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Funkenmariechen des Todes

Mittwoch

Mein gestriger Besuch beim Arzt war schnell absolviert. Die drei bärtigen Schwestern hielten mich fest und rissen mir mit einem Ruck die Pflaster und Verbände vom Rücken.

gestammelte Notizen 001

Eiter zuckelte in Schlieren über meinen Rücken und seilte sich zäh Richtung Boden ab. Sie beschimpften mich wegen der Flecken. Alle Beteuerungen, dass ich nichts dafür könne, wischten sie mit Schlägen von meinem Mund. Eine merkwürdige Praxis, die über ein schlauchartiges Wartezimmer verfügt, das an ein Zugabteil erinnert. Es bewegt sich sogar ein bisschen und ein Schaffner ruft die Leute auf. Alles sehr exzentrisch. Ganz in meinem Sinne. „Am Donnerstag sieht sich der Doktor das an, dann wissen wir mehr“, grölten die drei Schwestern im Chor und warfen mich hinaus.

Abends dachte ich ja, dass ich im Lotto gewonnen hätte. Aber darüber habe ich bereits geschrieben. (Siehe Dienstag II)

Hier ist heute Morgen bereits die Hölle los. Es wird geräumt und gewienert. Ich mag es, wenn die Bediensteten beim Aufräumen diesen wunderbaren Wiener Dialekt rollen. Er plumpst einem wie ein Mops vor die Füße. Jede Beleidigung klingt wie ein Kosename.

Ich kann mich dabei allerdings nicht recht aufs Schreiben konzentrieren. Das Stimmenwirrwarr stöbert meine Gedanken auf und treibt sie wie eine Antilopenherde vor sich her. Meine Gedanken ängstigen sich, wenn sie von plötzlich auf die Lichtung tretenden Stimmen beim Blattzupfen gestört werden. Ertönen die ersten Schüsse aus den Kehlen, ist es aus mit dem Frieden.

Momentan arbeite ich an mehreren Projekten gleichzeitig: Meiner Biografie „Grünkohlextrakt – Nöte und Leiden eines Bestsellerautors“, dann noch an einem Roman mit dem Titel „Der böse Thams“ (könnte ein Fortsetzungsroman werden).

Ich arbeite unter Hochdruck, weil ich einem Plan folge, der exakt eingehalten werden muss. Meine abschließende Bibliografie existiert bereits und weist 750 Romane auf, 43 Gedichtbände, 9 Autobiografien, 956 Theaterstücke und 7000 Bände meiner Tagebücher. Da kann ich mir Trödeleien nicht erlauben. Und weil ich das auch gar nicht alleine bewerkstelligen kann, schreiben in meinen Verliesen inzwischen 150 verschwundene Schriftsteller ebenfalls an meinem Werk. Ich kann ja nicht die ganze Arbeit alleine erledigen. Es ist ein aufregender Augenblick, betritt man die Zellen, um die Autoren, die Rücken blutig, bei ihrer Arbeit zu beobachten. Stockt einer von ihnen, treten die Wärter von hinten an ihn heran und erinnern ihn mit ihren Schlagstöcken an seine Schlagzahl. Man kann hier nicht von Barbarei oder Unmenschlichkeit reden, das würde der Sache nicht gerecht. Aber ein Werk verlangt dem, der es schafft, alles ab. Fragen Sie doch mal meine toten Kollegen. Auf, auf! Fragen Sie sie! Oder sprechen Sie mit deren Kindern. Der arme Golo …  Lassen wir das!

Ich beginne – um es kurz einmal berichtet zu haben – jeden Morgen mit den gleichen Ritualen, so den religiösen Waschungen im Gang, der vom Schlafzimmer zu den Wohnbereichen führt. Dann einige Kaffeeproben. Eine Partagas No. 4, die mir ein Kollege aus Berlin empfahl. Während ich schmauche, sitze ich bereits an den ersten Texten, den ersten kleinen Fingerübungen, wie diesem hier.

Irgendwann werde ich dies alles noch genauer beschreiben, vielleicht wird es auch in „Grünkohlextrakt“ einfließen.

Guten Morgen, Welt!