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Der Autor, den sie Horse nannten

Sonntag III

Hochrechnungen. Es kommt auf die Kopflage an. Ich liege auf dem Sofa und betrachte alles von der Seite. Die Welt ist gekippt. Sie ist aus dem Lot geraten. Da trifft eine senkrechte Visage auf meine waagerechte Betrachtungsweise. Die Zahlen sind kaum zu entziffern. Ja, wer hat denn jetzt gewonnen? Vermutlich nicht die FDP. Röslers Gesicht spricht auch seitlich Bände. Merkel jubelt. Steinbrück auch. Die Grünen zittern sich in ihre Reden.

Die Politik muss man sich als ein Fernsehbild vorstellen, dann kommt man ihr so nahe, dass man gar nicht weit genug flüchten kann, um ihr zu entkommen. Hochrechnungen. Balken, die, seitlich besehen, zu einer Treppe nach unten werden. Es geht also bergab, Deutschland. Ich wusste es.

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Der Autor, den sie Horse nannten

Freitag

Im dritten Raum, der sich als mein neuer Verlag angeboten hat, flogen die Sektkorken. Große Freude, einen Autor meines Kalibers unter Vertrag genommen zu haben. Dabei unterschreibe ich nie Verträge. Das scheinen die Idioten übersehen zu haben. Oder mache ich da einen fatalen Fehler? Werden all die erwirtschafteten Gelder an mir vorbeifließen? Werde ich in der Gosse landen?

Die Fragen, die an einer Nichtvertragsunterzeichnung hängen, machen mich mürbe. Unruhig pilgerte ich durch die Wohnung. Um mich zu schonen, nahm ich diverse Abkürzungen.  Außerdem beging ich den Passionsweg meiner Jugend. Ich blieb vor den Stationen meines Leidenswegs stehen. Im Flur, in dem mich Mama vor meiner ersten Freundin aufforderte, ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Im Wohnzimmer, in das ich nach einem Gelage kotzte.

Plötzlich, auch wenn dieses Wort von Elmore Leonard abgelehnt wurde, blieb ich stehen. Ich verharrte, neudeutsch gesagt. Erinnerungen an gestern Abend zuckelten über meine Hirnfeldwege. Wo waren wir? In einer dieser Kneipen, die es in Fulda gibt, um sich zu betrinken, um dem Los, ein Bürger dieser Stadt zu sein, entkommen zu können. Sei es auch nur für eine Nacht.

Die Bundeskanzlerin weilte mit Seemöwe (Ministerpräsident Bayern) und Oje (Ministerpräsident Usbekistan) in Fulda. (Seemöwe und Oje sind Schergen ihres Regimes, die den meisten Wählern leider nicht bekannt sind. Sie sind die grauen Eminenzen im Hintergrund. Die willigen Schoßrottweiler.)

Wie ich in der Kneipe soff, spazierte plötzlich die Kanzlerin herein. Ich musste noch zwei Schlucke nehmen, die Erscheinung wollte nicht verschwinden. Tatsächlich! Sie war es! Nein, nicht die Merkel, sondern die Idee für einen Roman über zwei der Trunksucht verfallene Hippiekinder, die sich den amerikanischen Präsidenten krallen, der in einer Bar auftaucht. Nicht der echte. Es ist eine in Verkleidung auftretende Person. Sie trägt eine Maske. Die Hippies bemerken es nicht, schnappen sich den vermeintlichen Präsidenten aber dennoch und entführen ihn, um damit die Außenpolitik zu beeinflussen. Um Frieden zu schaffen.

Klauen Sie die Idee ja nicht! Ich bin da nachtragend, und ich würde Ihnen etwas nachtragen. Etwas muss immer nachgetragen werden. Seife, Geld, Unterwäsche. Ich werde herausfinden, was es ist, und dann …

Guten Morgen, Welt!

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Motorsäge des Schicksals

Montag

Unentschlossen. Könnte aufs Klo gehen. Vielleicht. Und dann? Ratlosigkeit.

Wiebke (Name geändert) warnt mich vor unüberlegten Handlungen. Außerdem sei ich fort gewesen. Da müsse man überprüfen, ob man komplett zurückgekehrt sei.

Weiß nichts von einer Reise, spreche sie aber auch nicht an, weil sie Ansprachen nicht ausstehen kann. Wie es denn gewesen sei, hat sie mich am gestrigen Abend gefragt. Und das mitten hinein ins TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück. Die Spannung war gerade am Überkochen. Merkel lachte. Unerträglich. Die heckt was ganz gemeines aus, dachte ich. Eventuell plant sie eine Eurozone. Und dann? Wir werden alle mit Zügen dorthin abtransportiert. Drumherum eine Mauer. Grenzsoldaten. Schießbefehl. Drinnen lauter Europäer, die die Planwirtschaft leben sollen. Eine Wirtschaft mit reinen Planern. Horrorvorstellung. Keiner mehr da, der etwas beendet. Und mitten im Lachen fragt meine Frau, wie es gewesen sei? Ja, wo denn, will ich wissen. Dort, wo du warst.

Ich war überhaupt nicht aus dem Haus. Sie schüttelt den Kopf. Kann nicht verstehen, dass ich zu meinen Ausflügen nicht mehr stehe. „Früher hast du zu deinen Reisen gestanden!“ Und nach einer Weile der Hinweis, dass ich überprüfen soll, ob ich vollständig sei. Dort, wo ich gewesen sei, handele man mit den Organen von Schriftstellern, mit ihren Hoffnungen, Ängsten, Fragen. Angsterfüllt. Dann ein befreiendes Kichern. Ich würde nie an einen solchen Ort fahren.

In der Nacht wirre Träume von einem Besuch der Stadt der Händler. Sah mich am Bahnhof ankommen, Leute schlagend, die sich nicht vor den Zügen hatten verbeugen wollen. Ein Bahnhof, schrie ich. Das ist ein Bahnhof. Beachtet bitte die Etikette. Ich zeigte ihnen eine schwere Eisenkette, die mir um den Hals hing. Schnappte mir vor dem Bahnhof ein lebendes Taxi. Vier Männer bildeten die Reifen. Sie trugen mich auf einer Sänfte direkt ins Zentrum. Die Stadt der Händler. Geschäft an Geschäft. Hatte man erst eins betreten, verließ man es so schnell nicht mehr. Man kauft, und hat man kein Geld mehr, verschuldet man sich. Man muss in einer der unterirdischen Nähereien schwitzen, um die Schulden abzuarbeiten. Ein alter Trick dieser Stadt. Laut dem Amt für Statistik verschwinden von drei ankommenden Touristen vier in den Nähereien. Ja, ja, die Statistik.

Ich ließ mich zum Stadion tragen, das weit vor den Toren der Stadt liegt. Machte Station, um das Stadion zu besichtigen. Wahnsinn. Um das Gras mit Licht zu versorgen, müssen täglich 10 000 stationierte Stadionrasenpfleger mit UV-Taschenlampen den Rasen anstrahlen. Spiele finden keine statt. Das Gras. Niemand will es gefährden. Gebannt sehen an guten Wochenenden eine halbe Millionen Fans zu, wie das Gras beleuchtet wird.

Nach dem Stadion erwachte ich.

War ich also tatsächlich unterwegs gewesen? Warum der Hinweis, es könne etwas fehlen? Antworten fehlen. Mathilde (Name geändert) hat recht. Antworten fehlen. Ich war also doch in der Stadt der Händler. Und nun fehlen mir Antworten. Habe sie vermutlich an jemand verkauft. Einen Politiker? Ich weiß es nicht. Wie auch? Ich werde zukünftig keine Antworten mehr haben. Daher auch die Unentschlossenheit. Sollte ich aufs Klo gehen? Ich weiß es nicht, Gott, ich weiß es nicht.

Guten Morgen, Welt!

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Motorsäge des Schicksals

DIE DIKTATUR DES IRRSINNS

Ein Statement des Hamburger Künstlers Nathan Messe

Es geht um die Herrschaft des Irrsinns. Wo die Sinne noch nicht irren, da herrscht noch der Staat. Ja? Klar! Ich will eine Diktatur des Irrsinns. Die Sinne, die werden doch alle gesteuert, von der Frau Merkel und so. Ja? Klar! Die gute Frau kann nichts dafür. Sie ist ja auch nur ein Opfer ihrer Sinne. Sie riecht etwas, dann sagt ihr Sinn ihr, das ist Kohlsuppe. Aber das stimmt nicht, denn wenn die Sinne irren, könnte es auch ein Rinderbraten sein. Ja? Klar! Darum geht es doch. Kunst. Kultur. Das sind alles falsche Begriffe, und als ich neulich bei meiner fünfstündigen Performance „Vogelhochzeit“ den Vogel gezeigt habe, ging es darum, diese Geste zu befreien. Man muss sie neutralisieren, sodass sie nichts mehr bedeutet. Ja? Klar! Im Irrsinn darfst du alles, im Irrsinn darfst du irren, du darfst Kühe melken, nur im realen Leben, da müssen wir nett zueinander sein. Versteht ihr? Ja? Klar!

Es geht um die Diktatur des Irrsinns. Darum, dass wir unsere Sinne loslassen. Darum geht es mir in meinem Irrsinn. Und wenn ich zu meiner Mama sage: Mama, ich bin komplett irr, dann nickt sie und unterstützt mich. Weil sie es verstanden hat. Meine Diktatur des Irrsinns. Ja? Klar!

Bücher. Die muss ich nicht lesen, denn wenn ich sie lese, vertraue ich immer noch nicht genug auf die Kraft des Irrsinns. Ja? Klar! Ich muss sie nicht lesen, es reicht, wenn ich mit meinen Füße über die Bücher laufe. Meine Füße nehmen alles auf, was wichtig ist. Meine Füße nehmen die Informationen auf. Ja? Klar!

Und darum müssen wir ALLE, ich sage das noch einmal ganz ausdrücklich, wir ALLE müssen an die Diktatur des Irrsinns glauben. Sonst sind wir verloren. Ich reise inzwischen ja landauf, landab, um meine Vision einer irren Welt den Menschen näher zu bringen. Kunst und Kultur sind nur Dinge, die uns erziehen wollen, wir müssen der Kunst und der Kultur misstrauen. Ja? Klar! Und deshalb fordere ich jeden freien Geist auf, heute noch irre zu werden. Geht hinaus auf die Straßen und verirrt euch. Findet nicht mehr heim. Darum geht es doch. Ja? Klar!

Es geht um die Diktatur des Irrsinns!

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Nathan Messe während seiner fünfstündigen Performance „Vogelhochzeit“