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Mischmasch

Karl ist auf Diät

diät

von Esser/Rohm

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Mischmasch

Tagebuch eines Krimikritikers

Muss mehr auf meine Diät achten. Warum habe ich eine Frau geheiratet, die einen Namen hat, der mich ständig unter Druck setzt? Wie heute Morgen, als sie rief: „Das Frittierfett ist nicht dazu da, dass man es sich aufs Brot schmiert!“ Dämliche Diät. Wie soll es denn sonst aushalten, ständig Krimis lesen zu müssen, die meinen Ansprüchen nicht genügen? Trotzdem gut, dass die Dinger ins Haus geschneit kommen, so habe ich wenigstens etwas, an dem ich meine Fettgriffel abputzen kann. Heute den neuen Winslow gelesen. Erst mach ich einen König aus ihm und jetzt kommt er mir so. Anruf bei Klein-Toby, dass wir dem Don eine Lektion erteilen. Klein-Toby grunzt mir Recht. Schwachkopf. Jetzt eine Sahnetorte und dann ab aufs Arbeitsklo, mein Kassengestell besprechen. Hektik!

Aus „Tagebuch eines Krimikritikers“, verschmiert

 

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Motorsäge des Schicksals

Dienstag II

Kaum bin ich zu Hause, überfällt mich mein Rheuma. Ein treues Tier, dem ich unbedingt vertraue.

Ich war heute den ganzen Tag am Geheimen Ort. Der Ort ist so geheim, dass ich nicht weiß, wie er heißt oder wo er liegt. Sein Aussehen? Ein Geheimnis. Man verstopft mir die Nase und die Ohren, verbindet mir die Augen. Man führt mich mit einer Stange, die man mir in den Rücken piekst, umher. Stundenlang. Später bringt mich ein Wagen zurück. Was ich genau am Geheimen Ort tue, weiß ich nicht. Es ist geheim. Streng geheim sogar. Ich werde alle paar Wochen an den Geheimen Ort gefahren.

Am Morgen trifft ein Automobil ein, das mit Tüchern unkenntlich gemacht wurde. Ein Mann, es könnte auch eine Frau sein, führt mich, selbstverständlich vermummt, die Treppen zum Wagen hinab. Fragen werden nicht gerne gehört. Im Auto, das als Auto nicht zu identifizieren ist, bereitet man mich auf den Ort vor. Wir fahren etwa drei Stunden, es könnte auch kürzer oder länger sein, so genau kann ich das nicht sagen, weil ich die ganze Zeit über schlafe. Ich träume nicht, weil es meinem Unterbewusstsein untersagt wurde. Der Befehl kam von einem Hypnotiseur, den sie von einem weiteren Hypnotiseur hypnotisieren ließen, damit er nichts ausplaudern kann. Mit dem zweiten Hypnotiseur verfuhren sie wie mit dem ersten. Und so ging es weiter, bis sie dreihundert Hypnotiseure verbraucht hatten. Woher ich das weiß? Aus der Zeitung. Sie können nicht alles geheim halten. Ein investigativer Journalist kam hinter das Geheimnis und plauderte es in seiner Kolumne aus, gleich neben den Neuigkeiten aus dem Oval Office.

Jetzt bin ich zurück und werde von einem ausgehungerten Hunger gequält, den ich mit Nudeln besänftigen werde.

Guten Abend, Welt!

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Motorsäge des Schicksals

Mittwoch

Das Wetter erlebt einen neuen Höhepunkt. Die Sonne reitet wie eine wollüstige Stute über den Himmel. Sie bäumt sich. Pinkelt strahlenartig ihren gelben Urin in alle Richtungen. – Es kommt darauf an, adäquate Worte für die Natur zu finden.

Eben erst erwacht. Meine neu angeschaffte Giraffe Seifenkiste leckte mir über das Gesicht, sodass ich mit einem Ruck erwachte. Ich liebe das treue Tier. Es sitzt den ganzen Tag im Garten und guckt in die Gegend. Hat es Hunger, streckt es seinen Hals und frisst. Danach hockt es sich wieder hin und guckt. So etwas nenne ich Leben. Nicht liegen, nicht stehen, sondern sitzen.

Sie erinnert mich an mich, wie ich in den ersten Wochen meiner Schriftstellerausbildung bei dem berühmten Schriftsteller Jage Thoamsen auf einem auf den Kopf gestellten Mülleimer saß und ihm beim Trinken zusah. „Die erste Pflicht des Schriftstellers“, grölte er, „ist es, zu trinken. Mindestens drei Flaschen Wodka. Schreiben kommt später. Viel später. Nach dem Kater. Wenn es dir schlecht geht. Furchtbar schlecht. Dann muss du schreiben. Die Depressionen müssen dich heimsuchen. Die Dämonen. Sie müssen in deinen sündigen Körper kriechen und dir das Antlitz der Hölle zeigen. Und während du es erblickst, packen deine Hände nach der Feder und schreiben es alles auf. – Sei also gewarnt, dass Feder und Tintenfass stets an ihrem Platz stehen.“ Anschließend sang er ein altes Seemannslied. Er war alt und groß. Stand er, was nie vorkam, soll sein Schatten alles verschluckt haben. Die Leute nannten ihn Nachtmann. Nachdem er gesungen hatte, musste ich mich schleunigst aus dem Staub machen, weil er den Mülleimer für seine innersten Werte brauchte. Er übergab sich, dass einem vom bloßen Hinhören schlecht wurde. Ein Kotzanfall konnte bis zu drei Stunden dauern. So war er, der gute Jage Thoamsen.

Nachdem ich aufgestanden war, frönte ich meiner üblichen Gymnastik, ein gesunder Körper ist die halbe Miete für ein sorgenfreies Leben. Zunächst machte ich die Übungen mit dem Finger. Man muss den Zeigefinger anziehen. So an die zwölf Mal. Schweißgebadet verabschiedete ich mich an den Frühstückstisch. Ich troff nur so. Die ganze Suppe lief an mir runter, direkt auf den Boden. Keine schwere Arbeit für die herbeieilenden Putzfrauen, die danach einen kleinen Gospel anstimmten.

Schöne Zeiten. Ich werde sie beibehalten.

Guten Morgen, Welt!

Nürnberg August 2013 088

Seifenkiste beim Sitzen

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Funkenmariechen des Todes

Leibwächter

Nein, nein, Sie irren sich, lassen Sie mich, ich möchte jetzt nicht darüber reden. Was soll das heißen? Ich habe nicht zu viel gegessen, die paar Schnitzel, drei Flaschen Wein, lächerlich. Sie werden doch keinen Futterneid aufkommen lassen, nur weil ich mich an einem Baumkuchen verging, der, seien Sie froh, dass ich mich auf ihn stürzte, nach Medizin schmeckte, weil er verdorben war, grün vom Schimmel war er, den ich, um Sie zu schützen, in mich stopfte. Ich warf mich vor den Kuchen also wie vor eine Kugel. Fing sie auf, damit Sie nun – im Gegensatz zu mir – unverletzt weiterfressen können.

Als Weihnachtsprofi lasse ich mich natürlich von dem bisschen Schimmel nicht stoppen, ich werde alles vertilgen, den letzten Krümel, nicht aus Hunger, sondern aus einer gewissen Selbstlosigkeit heraus.

Ich möchte Sie schützen. Um nichts anderes geht es mir.

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Funkenmariechen des Todes

Guldaer Notizen (5)

Heute bringen mich keine zehn Pferde mehr in eine Messe.

Als Kind schleiften mich meine Eltern an nahezu jedem Sonntag an Bord eines der Schiffe, die dauerhaft am Guldaer Hafen ankern, um dort eine Messe zu besuchen.

Gerade an Geweihnachten finden die Menschen wieder den Weg dorthin, warum das so ist, weiß allerdings niemand. Sie strömen aus der ganzen Stadt, verstopfen die Messen der Schiffe, quetschen sich zwischen Tische und Stühle, um dort den Seeleuten beim Essen zuzusehen. Die Säfte lassen die Mäuler der Gaffer überlaufen, bis der Kapitän die Speisung seiner Leute mit einem lauten und vernehmlichen Rülpser beendet.

Mit heruntergezogenen Mundwinkeln stampfen die Guldaer von Bord, um sich unter ihren dicken Daunendecken vor Hunger und Kälte zu verstecken. Verbissen lauschen sie dem Ticktack ihrer Nachttischstanduhr, die den Geweihnachtsabend seinem Ende zutreibt.

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Funkenmariechen des Todes

Wenn die Wandlungen ein Lied pfeifen, dann geh hin und lausche

Die Wand steht ihren Mann. Standhaft erträgt sie jede Fliege, die sich auf ihr verirrt. Sie verspürt keinen Durst. Hunger ist ihr ein Fremdwort. Geduld ist ihr keine Tugend, sondern ihr Alltag, der keine Wochenenden, keiner Ferien kennt. Nie jammert sie. Fürchtet nicht das Dunkel. Und sollte sie doch Angst verspüren, so spricht sie zumindest nicht darüber. Kerzengerade salutiert sie jedem, der eintritt. Sie blinzelt nicht mit den Augen. Verliert keine überflüssigen Worte. Sie schweigt über die Gespräche, deren Zeuge sie wird. Kein Bild verschönert sie. Nichts hängt an ihr. Rechts trifft sie auf ein Fenster, links auf eine Kollegin, die von einer Tür durchwachsen ist.

Durchlässig ist die Kollegin. Menschen schreiten durch sie hindurch. Es könnte sie kitzeln. Man weiß es nicht. Ist die Tür offen, sieht es aus, als würde die Wand laut lachen. Ein schallendes Gelächter, das einem rasch unheimlich wird. Männer mit Akten gehen durch die Türöffnung, durch das Loch, das verschließbar ist.

Die Wand ohne Tür könnte sehnsüchtig zur Kollegin blicken. Sie wurde deshalb noch nicht befragt. Würde sie auf eine solche Frage antworten, wäre das allemal einen Eintrag in eine der Akten wert. Noch hat niemand gefragt. Es sieht momentan nicht danach aus, als würde sich einer oder eine finden, der oder die eine solche Frage zu stellen gewillt ist.

Nur wenige hier denken über die Wände nach, die dies bemerkt haben könnten. Auch dazu äußerten sie sich bisher nicht.

Die Wand mit Tür, ist selbige geöffnet, lacht ein zahnloses Lachen. Zähne könnten eingesetzt werden, würden aber den Eintritt erschweren. Deshalb wird es wohl auch nicht zu solchen Implantaten kommen. Über Zahnärzte für Türöffnungen ist nichts bekannt. Einem solchen Beruf scheint es an Kundinnen zu mangeln.

Sitzt man vor der Wand ohne Tür, kann es zu einem kleinen Blickaustausch kommen. Die Wand mustert die Person, die an einem Schreibtisch vor ihr sitzt, während die Augen der Person eine Träumerei auf die weiße Fläche der Wand projizieren. Bilder aus der Kindheit der Person. Eine Sehnsucht. Manchmal auch der rasche Gedankenblitz, der sich fragt, ob die Wand über eine Art von Augen und Gedächtnis verfügt.

Die Wand überhört in Ermangelung von Ohren die Frage. Es ist nicht weiter schlimm, wurde sie doch nicht ausgesprochen. Gedankenleserei ist der Wand fremd, nicht aber die stille Hoffnung, einmal gestreichelt zu werden. Gestrichen wurde sie schon oft. Es tat ihr gut. Sie nahm es mit einem unterschwelligen Kichern, kaum vernehmbar, hin. Gestreichelt hat sie noch niemand.

Sie wird die Hoffnung nicht aufgeben. Sie lauscht auf die Buchstaben, die die Menschen aussprechen. Sie will lernen. Bald schon wird sie erste Wort flüstern. Vielleicht in der Nacht, wenn sie nicht gehört wird. Sie übt fleißig. Drei Buchstaben. ICH.

Man sollte die Wände nicht länger übersehen. Sollte sich an sie lehnen und horchen, ob etwas geflüstert wird. Es könnten drei Buchstaben sein.