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Motorsäge des Schicksals

Dienstag II

Kaum bin ich zu Hause, überfällt mich mein Rheuma. Ein treues Tier, dem ich unbedingt vertraue.

Ich war heute den ganzen Tag am Geheimen Ort. Der Ort ist so geheim, dass ich nicht weiß, wie er heißt oder wo er liegt. Sein Aussehen? Ein Geheimnis. Man verstopft mir die Nase und die Ohren, verbindet mir die Augen. Man führt mich mit einer Stange, die man mir in den Rücken piekst, umher. Stundenlang. Später bringt mich ein Wagen zurück. Was ich genau am Geheimen Ort tue, weiß ich nicht. Es ist geheim. Streng geheim sogar. Ich werde alle paar Wochen an den Geheimen Ort gefahren.

Am Morgen trifft ein Automobil ein, das mit Tüchern unkenntlich gemacht wurde. Ein Mann, es könnte auch eine Frau sein, führt mich, selbstverständlich vermummt, die Treppen zum Wagen hinab. Fragen werden nicht gerne gehört. Im Auto, das als Auto nicht zu identifizieren ist, bereitet man mich auf den Ort vor. Wir fahren etwa drei Stunden, es könnte auch kürzer oder länger sein, so genau kann ich das nicht sagen, weil ich die ganze Zeit über schlafe. Ich träume nicht, weil es meinem Unterbewusstsein untersagt wurde. Der Befehl kam von einem Hypnotiseur, den sie von einem weiteren Hypnotiseur hypnotisieren ließen, damit er nichts ausplaudern kann. Mit dem zweiten Hypnotiseur verfuhren sie wie mit dem ersten. Und so ging es weiter, bis sie dreihundert Hypnotiseure verbraucht hatten. Woher ich das weiß? Aus der Zeitung. Sie können nicht alles geheim halten. Ein investigativer Journalist kam hinter das Geheimnis und plauderte es in seiner Kolumne aus, gleich neben den Neuigkeiten aus dem Oval Office.

Jetzt bin ich zurück und werde von einem ausgehungerten Hunger gequält, den ich mit Nudeln besänftigen werde.

Guten Abend, Welt!

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Funkenmariechen des Todes

Karfreitag

Karfreitag! Draußen sind die Kinder der Kirche der letzten Dynastie Gottes unterwegs und drehen an ihren Glücksrädern, riesige Holzräder, die von zwei bis drei von ihnen getragen werden müssen. Sie bleiben stehen, Schweiß läuft ihnen in Strömen über das Gesicht, bis es sich in einen Wasserfall aufzulösen droht. Der Kleinste streckt sich, seine Hände reichen kaum hinauf, und dreht das Rad. Ratternd wirbelt es wie ein Propeller. Es nimmt Geschwindigkeit auf und bläst den frisch gefallenen Schnee die Straße entlang. Die Fenster der Häuser meines Personals öffnen sich. Frauen und Männer strecken aufgeregt und neugierig ihre Köpfe hinaus, starren gebannt auf das Rad, das sich nun verlangsamt, das von Untergangszenario zu Untergangsszenario schreitet, bis es sich für das Feld „Tod der Menschheit durch Pong“ entscheidet. Man applaudiert. Die Glücksräderkinder stellen ihr Rad ab und verbeugen sich.

Plötzlich schreit eine alte Frau, die für das Bügeln meiner linken Socken zuständig ist: „Quatsch!“

Der Anführer der Glückradkinder, ein langgezogenes dürres Etwas, dessen Kopf kaum auszumachen ist, tönt aus den Wolken hinab: „Die Welt wird untergehen, wie es das Rad voraussagt!“

„Quatsch“, erwidert die alte Frau. „Außerdem solltest du mich mal waschen. Du stinkst!“ Sie rümpft die Nase und schlägt das Fenster zu und verschwindet.

Damit haben die Glücksradkinder nicht gerechnet. Verdutzt bleiben sie stehen, nur ihr Anführer, ein gewisser Peter Walter (Name geändert) tritt unsicher auf der Stelle. Die anderen warten, zucken mit den Schultern, verdrehen die Augen.

„Wir müssen jetzt weiter, Peter!“, rufen sie mit einem Megafon in die Richtung, in der sie seinen Kopf vermuten.

„Die Frau hat gesagt, ich würde stinken!“, donnert Peter.

„Nein, nein“, beruhigen ihn seinen Kameraden und unterstreichen die Ernsthaftigkeit ihrer Beteuerungen mit einem unterdrückten Lachen.

„Lacht ihr etwa?“

„Nein!“ Alle schütteln die Köpfe. Man möchte weiter, immerhin sind heute noch einige hundert Weltuntergänge vorauszusagen.

Ich zog gemütlich an meiner Partagas No. 4 und genoss das Schauspiel, in meiner Linken eine Flinte, sollte sich die Menge dort unten nicht bald auflösen. Außerdem musste ich der Köchin noch Anweisungen geben, erwarten wir heute doch den Mathematiker Gauß. (Der Mathematiker Gauß ist eine Frau, blond, und sie rechnet mit dem Schlimmsten. Sie ist für diesen Rechenweg bekannt. Außerdem betätigt sich Gauß nebenher noch als Hütchenspielerin, die durch die Großstädte der Republik tingelt, um ahnungslose Banden von Rumänen auszunehmen. Dank eines von ihr ebenfalls erfundenen Rechenwegs, kann sie voraussagen, in welcher Handinnenfläche die Kugel verschwinden wird. „Das wäre Betrug“, stottern die betrügerischen Hütchenspieler meist, aber Gauß lässt sich von den drohenden Blicken nicht erweichen und fordert die Herausgabe aller Gelder. So ist Gauß, ein eiskalter Mathematiker, der hin und wieder auch schon zu Ostern mit Schnee gerechnet hat.

Die Glücksradkinder diskutieren noch immer mit Peter, der inzwischen auf dem Standpunkt steht, dass das Leben keinen Sinn hat, wenn man stinkt und er wolle es hier an dieser Stelle durch Luftanhalten beenden. „Nicht jetzt, nicht heute!“, rufen seine Kameraden. „Wir sind doch eh zum Untergang verdammt. Spätestens in dreihundert Jahren werden wir alle von einer Flutwelle weggespült“, versuchen sie Peter zu beruhigen, der endlich, sich der Argumentation beugend, aufgibt und murrend den Marsch zum nächsten Haus aufnimmt. Ein Schritt für ihn, schon sind sie da.

Kinder, denke ich und schließe mit einem verzeihenden Lächeln das Fenster.

Als ich mich umdrehe, eilen Köche, Schlangenbeschwörer und Tischplattenträger durch mein Wohnzimmer, dessen Ende einzig mit einem speziellen Teleskop auszumachen ist. Mein Pferdehalter reicht mir mein Pferd, damit ich in die Küche reiten und nach dem Rechten sehen kann. (Rechts stehen die Bananen. Man muss ausdauernd patroulieren, damit sich keine schwarzen Flecken auf die Schale setzen. Diese unseligen dreckigen schwarzen Flecken, die gekommen sind, um uns das Leben zur Hölle zu machen. Eine außerirdische Intelligenz … Aber dazu später mehr.)

Guten Morgen, Welt!

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Funkenmariechen des Todes

Donnerstag

>>>>Jean Paul hat Geburtstag. Was schert mich das? Feiern wir einen toten Schriftsteller, feiern wir überhaupt einen, ist es, als würden wir eine literarische Gestalt hochleben lassen, einen Entfernten, der nicht einmal da ist, der nicht anwesend ist, der nicht hier vor mir steht, und der vielleicht auch nie existierte, außer eben in seinem Werk, ein Autor, der ebenso wie seine Kopfgeburten ein Fantasiestück sein könnte, ersonnen vielleicht von einem, der sich einen Autoren ausdachte, der sich einen Autoren ausdachte, dessen Bücher ich lese und mit dessen Autobiografie ich mich beschäftige, die aber nicht stimmen muss, die eine Lüge sein könnte, ein Roman, der von A bis Z erstunken und erlogen ist. Nichts würde sich an der Größe (oder fehlenden Größe) des Werks ändern, die stets eine persönliche ist. Wie lässt sich die Größe eines Werks allgemein messen? An der Seitenzahl, an den Worten, die gebraucht wurden, an deren Zusammenstellung, an der Länge der Sätze, an den Ideen, die man zünden ließ?

Wird die Größe von der Literaturkritik vorherbestimmt? Gemacht? Muss man eilig Preise verleihen? Muss man den Autor an der Hand halten und ihn nur oft genug ausgestellt haben? Heute wird alle Tage ein neues Genie ausgerufen. Jeder Verlag präsentiert pro Saisons mindestens eins. Es wird geschrien, so laut wie auf dem Jahrmarkt. Das sei er jetzt endlich, bis man in einigen Monaten den nächsten armen Tropf präsentiert, aber diesmal sei man sich sicher, man habe die Götter befragt, das Orakel, alles seien sich gewiss, dieser oder diese sei es, das neue Fräulein Wunder der Literatur. Das Fräulein wird man vielleicht nicht mehr bemühen, das gab es schon, jetzt ist es die ausgekochte Göre, eine Schlampe sei sie, die es faustdick hinter den Ohren und in den Brüsten habe, die einen Slang schreibe, das habe man noch nicht gehört, der habe sich gewaschen, ein Genie, werden sie tönen, werden es vom Berg hinab ins Tal schallen lassen, damit es jeder hört, ob er nun will oder nicht.

Was kümmert mich der Autor? Nichts, wenn er es nicht versteht, eine Fabel aus sich zu machen, eine Märchengestalt, eine literarische Größe, eine Legende. Ich will mit dem schnöden Schmutz der Realität nichts zu tun haben, nicht mit den Wirklichkeiten, die können mir gestohlen bleiben, die habe ich zu Genüge um mich herumstehen, die sogenannte Realität. Luftschiffe sollen fahren, Zwerge sollen in die Wohnung dringen, ich will von Reisen lesen, die es nie gab, zumal in einem Buch wie dem Internet, ein Buch wie eine Stadt, groß und zerklüftet, mit Vororten und Spielplätzen, mit Rotlichtvierteln, die überschattet werden von Hochhäusern, Wolkenkratzern, deren Enden nicht abzusehen sind, die sich ins Weltall strecken.

Jetzt hat Jean Paul Geburtstag. Was kümmert es mich? Was schert es mich? Ich will die Lüge hochleben lassen, die Fantasiegestalt. Und die hat alle Tage Hochsaison!