Heute an Schwaller und „Mittwochsdame“ gedacht.
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an Schwaller erinnern können. Kurt Schwaller. Gott, wie der reden und schreiben konnte, der Schwaller. Eine gewagte Satzkonstruktion jagte die nächste, bis sich die Worte in die Schwänze bissen. Ein Gerangel der Silben (man nannte Schwaller in Kritikerkreisen auch Silbenrücken), bis man kaum noch erkennen konnte, welches Wort zu welchem gehörte. Staub. Wirrwarr.
Es ging beim Schwaller um alles. Das betonte er unablässig. „Mir geht es um alles. Meine Literatur muss den Leser fordern. Sie muss ihn herausfordern. Sie muss ihm zeigen, dass ich der Größte bin.“
Sätze waren sein Aushängeschild. Sie priesen seinen Laden an, den er GENIE nannte. Drin Schwaller und ein paar von ihm ausgesuchte Experten, die, um ihren Job an der Uni zu rechtfertigen, Schwaller bestätigen, schreiben zu können wie kein Zweiter.
Nur an Ideen mangelte es Schwaller. Das machte er wett, indem er auf seinen Kollegen herumhackte.
Überhaupt, einer wie Schwaller machte keine Kompromisse. Er trug stets einen Anzug. Sogar im Bett und unter der Dusche. Kam ihm einer blöd, bekam er von Schwaller die Sprachpfanne um die Ohren gehauen. Und wieder Sätze, verzwickt wie ein betrunkener Irrgarten, sodass sich seine Gegner meist ab dem siebzehnten Semikolon geschlagen gaben.
Wahnsinn. Er schrieb dreißig Romane, hochgelobt, aber nicht in einem war eine Geschichte oder eine funkende Idee zu finden. Er schiss die Blätter mit Worten voll, klagte über den Literaturbetrieb, trieb sich in der Triebtäterszene herum, in der Hoffnung, so seinem Image als enfant terrible zu entsprechen. Brachte alles nichts.
Am Ende, Sie werden es wissen, überfiel er eine Bank. Drohte damit, aus seinem Opus Magnum „Die Mittwochsdame“ vorzulesen. Sie verhafteten ihn, als er gerade die Bank verließ, die Arme erhoben, siegesgewiss. „Ja!“, schrie er. Die Kameras bohrten sich in sein Gesicht. „Mein Name ist Kurt Schwaller.“ Gestrahlt hat er, der Schwaller. Die Sonne muss neidisch geworden sein.
Er fuhr dann ein, leider nicht in seinem Anzug, den musste er abgeben. Die Gefängnisleitung schottete ihn von den restlichen Gefangenen ab. Bis heute. Reden könnte er ja, sagen sie, aber keiner versteht, was er will. Und da sitzt er jetzt, der Schwaller. Sitzt ein, wie man sagt. Brüllt Hexameter in den Innenhof, die ungehört verhallen. Nächtelang trägt er aus der „Mittwochsdame“ seinen unsichtbaren Wärtern vor. Die hören gar nicht zu. iPod sei Dank. Oh, oh, wenn das der Schwaller wüsste.
Ja, ja, der Schwaller, was für ein sagenhafter Autor. Schade ist es nicht um ihn, denn Konkurrenz tötet meine Geschäfte.
Guten Abend, Welt!
2 Antworten auf „Donnerstag II“
Das Schlimmste ist für ihn wohl, dass man ihm seinen Anzug abgenommen hat … habe ich gehört …
Richtig gehört! 🙂