Kategorien
Die Stimmen

Die Stimmen (4)

Freitag, 16. August 2013

Er hat getrödelt. Er hat den Vormittag vertrödelt, bis die Zeit, die er viel sinnvoller hätte verbringen müssen, ihm zwischen den Händen auf den Boden gerieselt ist. Da liegt sie jetzt, die Zeit, und rührt sich nicht. Tote Zeit.

Nächste Woche ist sein Urlaub vorüber, dann muss er in einem Lebensmittelladen, der tief in der osthessischen Provinz liegt, arbeiten, um sich und seine Familie durchzubringen. Er wird Dosen einräumen, wird an der Kasse sitzen. Er wird davon träumen, wie es wäre, wenn er Bücher verkaufen würde. Nicht nur ein paar, sondern Berge davon.

Neulich hat er gelesen, dass die Autorin von SHADES OF GREY 95 Millionen Dollar mit ihren Nichtbuch verdient hat. Das muss man sich mal vorstellen. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen. 95 Millionen Dollar für ein Buch, das mit Buchstaben gefüllt ist, mit schlechten Dialogen, die Seiten schaffen. Woher er das weiß? Er weiß es nicht, nicht wirklich zumindest. Seine Frau hat es ihm erzählt. Und der vertraut er. Sie ist eine Vielleserin, eine, die ohne Bücher nicht leben könnte. Vielleicht hat sie deshalb ausgerechnet ihn erwählt.

Wie das wohl wäre, wenn sich einer seiner Romane plötzlich so stark verkaufen würde, dass er in Geld schwimmt? Würde es die Sache besser machen? Schlechter? Man kann es nicht sagen. Vorurteile gibt es genug, und genau die will er sich fortan ersparen.

„Feuchtgebiete“ oder dieses Buch von Helene Hegemann. Sollte er darauf herumtreten? Nein, er hat sie nie gelesen, und er ist kein Anhänger der Theorie, dass der Kommerz nur schlechte Bücher hervorbringt. Das ist Unsinn. Blanker Unsinn.

Und im Unsinn hat er sich längst eingerichtet. Albert herum, um den Verstand nicht zu verlieren.

Er überliest seinen heutigen Tagebucheintrag, während seine Frau sich mit der Tochter auf dem Balkon unterhält. Die beiden haben bis eben in der Küche gesessen und Latein gepaukt. Die Schule fängt nächste Woche an.

Hat der Alltag sie erst wieder, müssen sie aufpassen, nicht von ihm verschluckt zu werden. Der Alltag ist ein gieriges Tier. Er frisst alles und jeden. Er schläfert einen ein, und genau in dem Moment, da man nicht damit rechnet, packt und würgt er einen hinunter, tief runter in die Magengrube, wo man zersetzt wird, bis man ins Grab ausgeschieden wird.

Nein, immer in Bewegung bleiben, denkt er. Und setzt einen Punkt.

Werbung

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s