Kategorien
Funkenmariechen des Todes

Fernsehhymne

Nach dem Abwasch, den mein falscher Vater erledigte, trieben wir uns vor dem Fernseher herum. Wir sahen uns wahllos alles an. Sendungen über Säbelzahntiger, über Menschen, die sich den ganzen Körper tätowiert hatten. Wir saßen stumm vor der Glotze und staunten uns Löcher in die Bäuche.

Die Welt war so groß, so unendlich riesig, und alles lag nur einen Druck weit entfernt. Der Daumen versenkte sich im weichen Gummipolster der Fernbedienung und schon befanden wir uns in einem Gericht in Nordkorea. Man musste nicht verreisen, wenn man einen Fernseher besaß, weil der Finger und die Augen, in Aussparung des Hirns, alles betreten konnten, wovon man nur träumte, sogar die Zukunft. Dabei gab es die momentan nicht einmal.

Die Stunden flossen an uns vorüber, ohne dass wir sie sahen. Wir achteten nicht auf die Umgebung, weil wir in einem Tunnel feststeckten, der mit einem Meer aus Bildern illuminiert wurde.

Erst gegen Mitternacht ließ Falsch-Papa die Welten versinken, indem er den Fernseher ausschaltete.

„Geh jetzt ins Bett!“, bellte er mich an.

Mit gesenktem Kopf schlich ich mich aus dem Wohnzimmer. Die Welt war ohne Fernseher so viel ärmer. Karge Wände, die mich um etwas Farbe anbettelten.

Ich verwies sie auf den Fernseher. Stumm blieben sie stehen. Es waren eben nur Wände.

Werbung

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s