An Sonntagen geht der Fuldaer in die Kirche. Früher war das so. Der Vater streifte sich seinen Mantel über, klopfte ihn ab, als müsse er sich selbst auf Schusswaffen untersuchen. Er nickte seiner Frau zu, die das verstand, obwohl sie es nie verstand. Es war ein sonntägliches Vor-der-Kirche-Nicken, das der Vater schon bei seinem Vater beobachtet hatte, und der bei seinem Vater. Die ganze Ahnenkette hinunter bis zum ersten Vater haben sie ihren Frauen zugenickt, die es mit einem stoischen Blick hinnahmen. Es wird schon etwas bedeuten, werden sie alle gedacht haben. Nie hat das Nicken etwas zur Folge gehabt. Warum also nachfragen, wo es sich so offensichtlich um einen genbedingten Defekt handelt.
Man ist dann zur Kirche gewallt. Der Vater mit seiner Frau, vor ihm die Kinder, damit man sie ihm Blick hat. Ein Kind ist eine Gefahr für einen Kirchgang. Stets kommt es auf eine dumme Idee, stellt es sich wie ein Kind an, sodass der Vater dem Kind, wenn es nicht hört, eine Gemeinheit ins Ohr flüstern muss, damit es spurt. So ein Kind, beobachtet man die Erwachsenen, kann nicht von Gott erfüllt sein, denn der macht die Glieder seiner Gläubigen steif. Er lässt sie ernst dreinblicken. Wenn man sich die Katholiken ansieht, muss man davon ausgehen, dass Kinder nicht im Plan Gottes vorgesehen waren. Es muss sich bei ihnen um einen Fehltritt handeln. Um eine Prüfung. Um einen Streich. Gott muss an dem Tag, als er die Kinder erschuf, einen über den Messwein getrunken haben. Sonst hätte der Katholik (ein Wort, das wie nach krampfartigen Darmschmerzen klingt) nicht so ein Problem mit ihnen. Und das er da einen Handlungsbedarf sieht, kann man inzwischen beinahe wöchentlich in einer Zeitung lesen. Die ganzen sexuellen Übergriffe, das ist ein schlimmes Thema.
Keins für einen Sonntag. Denn der ist heilig, auch wenn ich selbst längst aus der Kirche ausgetreten bin, nicht aus einem bestimmten Gebäude, sondern aus der Glaubensgemeinschaft. Jetzt bin ich draußen, und ich höre schon welche vor meinem Rücken laut reden, dass es kein Wunder sei, dass ich solche Verleumdungen über den Katholiken aufschreibe, wo ich als Ehemaliger bestimmt noch eine Rechnung offen habe. Das ist Unsinn, weil ich mich als Kind wohl gefühlt habe im Schoß der Kirche, die bei uns mit einem Tischfußball ausgestattet war. Wo Gott einen Tischfußball aufstellt, da muss er mitten unter den Menschen sein.
Die Zahlen der praktizierenden Kirchgänger, der Mitglieder, die ihren Beitrag vom Staat eingetrieben bekommen, schwindet, da muss man nicht mal mehr genau hinsehen. Die Kirchen werden leerer, auch die in Fulda. Ein Wunder ist das, zumal Gott hier mindestens seinen Zweitwohnsitz hat. Hier werden beinah wichtige Entscheidungen von der Bischofskonferenz getroffen. Auch die, dass es keine Rückkehrmöglichkeit für gefallene Engel wie mich geben darf. Ausgetreten ist ausgetreten. Recht so. So ein Glaube ist ja ein tiefempfundenes Gefühl, und kein Schluckauf, der vergeht, wenn man sich erschrecken lässt oder die Luft anhält. Hat man sich erst einmal, wie ich das tat, dazu entschlossen, den Pfaden Satans zu folgen, kann man mich nicht in geweihter Erde begraben. Das würde den gesamten Friedhof verseuchen. Am Ende sickert das Böse von Sarg zu Sarg und infiziert die selig Gestorbenen. Große Gefahr.
Jetzt war ich heute Morgen eine Zigarette auf dem Balkon rauchen. Das mache ich so nach dem Aufstehen. Das kommt – wer weiß – von meinem Kirchenaustritt. So ein gesundheitsschädliches Verhalten könnte eine Spätfolge sein. Wie ich da auf dem Balkon stand, blickte ich mich um, und sah lauter Fenster, bei denen die Jalousien noch unten waren. Die Autos standen vor den Häusern. Keine Bewegung auf der Straße. Da kam mir der Gedanke, dass die alle hier nicht zur Kirche gehen. Das mag natürlich Zufall sein. Einer der undurchsichtigen Winkelzüge Satans, der mich in eine Straße hat ziehen lassen, in der sich sämtliche Fuldaer Kommunisten und Atheisten sammeln.
Es könnte auch sein, dass der Glaube Probleme hat. Selbst hier bei uns. (Das Unterhaltungspotential ist flöten gegangen. Früher hat Bischof Dyba wenigstens noch im Minutentakt die Glocken wegen irgendwelcher Verfehlungen läuten lassen. Krach schlagen, war seine Devise. Und heute? Man hört nichts. Nicht mal eine Castingshow, um sich des Problems des schwindenden Priesternachwuchses anzunehmen, ist geplant.)
Ich muss das jetzt abbrechen, weil ich mich um meinen Kaffee kümmern muss.
Wir lesen uns, so Gott will.