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Funkenmariechen des Todes

Die erträgliche Nichtigkeit des Seins

Es gibt wieder einiges zu erzählen, weil nichts passiert ist. Es geschieht ja ständig nichts.

Da wäre die Geschichte vom Wasser, das wir eingekauft haben. Eine Story, die keinen Höhepunkt hat. Dafür einen Parkplatz, der meistens überfüllt ist. An diesem Tag nicht. Sehr seltsam. Es war wie in einem Mystery-Movie.

Es kann einem schon unheimlich um die Seele werden, wenn ein Parkplatz nicht mit Autos überläuft. Er ist dann kein Parkplatz mehr. Er ist etwas anderes geworden. Ist mutiert. Zu einem Spielbrett für die Götter. Ja!

Die wenigen Autos sind ihre Spielsteine. Man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich eine Hand aus dem Himmel fahren würde, um einen Renault (von Platz 7 links neben dem Einkaufszentrum) auf den dritten Behindertenparkplatz vor der Tierhandlung zu setzen. Die Regeln sind mir unbekannt. Eventuell spielen die Götter Mühle. Oder sie wollen die Behinderten ärgern. Nach Schach sieht es mir jedenfalls nicht aus.

Das nächste Mysterium, das diesen Ort mit Magie auflädt, ist, dass er von Einkaufszentren gesäumt ist. Eins neben dem anderen, bis in alle Ewigkeit, damit der Kunde, hat er seinen  Spielstein endlich abgestellt, sich nicht entscheiden kann, wem er sein Geld opfern soll. (Obwohl die meisten Frauen einen genauen Plan im Kopf haben. Die zücken, im linken Arm ihre schreiende Kleinausgabe, einen Einkaufszettel, und stürmen los. Nichts kann sie aufhalten, höchstens eine Freundin, die ebenfalls so ein Instrument auf dem Arm trägt. Gemeinsam steht man vor dem Laden und gibt mit seinen Kindchen ein Ständchen, das sich gewaschen hat. Rentner, die die wenigste Zeit auf Erden haben, weil ihnen der Tod im Genick sitzt, nutzen die Darbietung der Mütter und schlüpfen mit einem bösartigen Grinsen in den Laden, um sich dort die nächsten Stunden, trotz Tod, nicht entscheiden zu können.)

Wir haben zum Glück nur Wasser geholt. Nicht wie früher vom Brunnen. Aus dem Fluss. Heute wird das Wasser in krebserregende Plastikflaschen abgefüllt, damit der Konsument nicht nur trinken, sondern auch krank werden kann. Die Industrie arbeitet Hand in Hand. Würde mich nicht wundern, wenn so ein Wasserabfüller, weil Hersteller ist er ja nicht,  eine Firma besitzt, die irgendein sauteures Medikament loswerden will. Verkrebste Menschen kann es nie genug geben. Krankheit ist ein Schlager im Kapitalismus.

Ich habe die Kästen aus dem Auto in den Vorraum geschleppt, wo man sich in eine Schlange stellen darf. Die leeren Flaschen müssen nämlich in einen Automaten, der sie zählt und der einen Bon ausspuckt, auf dem die Pfandsumme steht, die man im Laden gegen neue Flaschen mit Pfand eintauschen kann. (Man kann sich die Summe auch auszahlen lassen. Aber das habe ich noch nie beobachtet.)

So ein Flaschenautomat ist ein interessantes Ungetüm. Stellt man die Kiste in sein Maul, zieht eine Zunge sie in seinen Bauch. Automaten sind die schlechteren (oder besseren?) Tiere, weil sie dauernd hungrig sind. Ein Tier macht wenigstens hin und wieder eine Pause. Der Automat kann fressen, ohne dass ihm jemals schlecht wird. (Er wird nicht krank. Höchstens kaputt gehen kann er. Das freut die Firmen, die solche Automaten bauen.)

Meist gerät man in eine Schlange, die einen Kerl an der Spitze aufzuweisen hat, der mit drei bis vier gelben Säcken voller kleiner Plastikbierflaschen sein Übermaß an Freizeit sinnvoll ausgestalten will. Es ist faszinierend, mit welcher Akribie der Automatenfütterer seinem Handwerk frönt. Der ist kein Amateur, das merkt man sofort. Zwischendurch, inzwischen ist eine halbe Stunde vergangen, zieht er seine rutschende Jogginghose nach oben, bis ihn ein Blick auf die Uhr des Hintermannes davon überzeugt, eine merkwürdige Eile an den Tag legen zu müssen, die damit zusammenhängt, dass in wenigen Minuten seine Lieblingsserie beginnt. Folge 7 859 236. Die darf er in keinem Fall verpassen. Tragisch wäre es. Er fände nie wieder in den Erzählfluss zurück. Und dann?

Also kamen wir, meine Frau und ich, die zwei Kästen, an die Reihe, den Automaten zu füttern. Die Kisten auf die Zunge. So als würde man eine Mundkommunion verteilen. Was man nicht alles wird, betritt man einen Laden. Automatenpfleger, Schlangenschwanz, Priester, Käufer.

Wir sind in das Getränkecenter und haben zwei neue Kisten geholt. Ab damit ins Auto und heim.

Wie bereits eingangs gesagt, ist nichts passiert. Das ist hier so. Anderswo auch. Man muss nur ein Auge für die Handlungsleere, für die fehlende Spannung entwickeln. Ein drittes Auge sozusagen, das gewisse Auserwählte sowieso in der Stirn tragen sollen. (So wie ein Piercing.) Vielleicht haben wir es alle. (Die Optiker dürfen es nicht erfahren. Sonst laufen wir bald mit neuen Brillen herum.)

Jetzt ist mein Kaffee kalt geworden. Scheiße! Wir lesen uns …

Eine Antwort auf „Die erträgliche Nichtigkeit des Seins“

Genau, genau!

„Was man nicht alles wird, betritt man einen Laden. Automatenpfleger, Schlangenschwanz,..“

… und vorher: Schieber.

(Wer einen Optiker sieht, klappe tunlichst den dritten Liddeckel runter und halte das Portemonnaie fest.)

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